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Guten Morgen,
was der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan allmorgendlich zu sich nimmt, um sich bei Eskalationslaune zu halten, darüber können wir nur spekulieren. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa sind jedenfalls mittlerweile auf einem Tiefpunkt. Nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hatte, dass Kopftücher am Arbeitsplatz unter Umständen verboten werden können, hat die Türkei die EU erneut scharf angegriffen, vor »Religionskriegen« in Europa gewarnt und die Aufkündigung des Flüchtlingspakts mit der EU angedroht. (Daran, dass das Urteil auch für stark bekennende Christen gilt, dachte die Türkei nicht.) Kurz zur Wiederholung: Ein Grund für die Krise ist der Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Minister im europäischen Ausland. Die Türkei stimmt am 16. April über ein Präsidialsystem ab, das Erdoğan mehr Macht verleihen würde; auch türkische Bürger, die nicht in der Türkei leben, sind zur Wahl aufgerufen. Nachdem die Niederlande Wahlkampfauftritte verboten hatten, kamen aus Ankara nicht nur die mittlerweile bekannten Nazi-Vorwürfe. Laut Medien, die sich auf die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berufen, kündigte der türkische Verband der Viehproduzenten an, eine Gruppe niederländischer Milchkühe der Türkei zu verweisen. Nähmen die Niederlande ihre Holstein-Rinder nicht zurück, werde man sie schlachten; ein Istanbuler Bezirksbürgermeister sei ganz wild darauf, seine Kuh in jedem Fall zu töten. Es gibt auch Bilder von jungen Türken, die mit grimmigen Gesichtern haufenweise Orangen auspressen – und mit der Aktion angeblich auf die Niederlande zielen – Orange gilt als Nationalfarbe des Landes. Welch bizarre Aktion als Nächstes kommt, – ein türkisches Einfuhrverbot für niederländischen Käse oder gleich dessen Steinigung, eine Tulpenverbrennung –, man wird sehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt weiter auf Deeskalation und will Wahlkampfauftritte türkischer Politiker nicht generell verbieten, sofern sie »rechtzeitig und transparent angemeldet werden und deutsches beziehungsweise französisches Recht und Gesetz strikt einhalten«. Aktuell steht im Hamburg der Besuch der stellvertretenden AKP-Vorsitzenden Nükhet Hotar an. Wo genau sie auftreten und wie sie für das umstrittene Verfassungsreferendum in der Türkei werben wird, dazu war bis Redaktionsschluss noch nichts Konkretes bekannt. Auch nicht, ob diese Intransparenz am Ende schon als »nicht rechtzeitige Anmeldung« zu werten ist.
»Ich werde nie wieder sagen, dass Satire nichts bewirken kann«
Vor genau einem Jahr sorgte ein Beitrag der satirischen NDR-Sendung »extra 3« für große Aufregung: In dem Lied »Erdowie, Erdowo, Erdoğan« (gesungen zur Melodie von Nenas »Irgendwie, irgendwo, irgendwann«) hat sich die Redaktion mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auseinandergesetzt. Sehr zu seinem Missfallen. Wir sprachen mit »extra-3«-Moderator Christian Ehring über die Folgen des Beitrags. Elbvertiefung: Herr Ehring, vor genau einem Jahr haben Sie bei »extra 3« ein satirisches Lied über den türkischen Präsidenten Erdoğan gesendet – was ist danach passiert? Christian Ehring: Erst mal gar nichts, wir hatten das Gefühl, dass es eine gute Sendung war. Mit zeitlicher Verzögerung ist das Lied dann in Ankara angekommen. Wie es angekommen ist, habe ich an einem Montagabend auf »Spiegel Online« erfahren – die Schlagzeile war in etwa: »Erdoğan beruft deutschen Botschafter wegen extra-3-Satire ein.« Da ist mir die Kinnlade runtergefallen! Elbvertiefung: Wie haben Sie reagiert? Ehring: Mein erster Gedanke war: Erst mal locker bleiben. In den Tagen darauf habe ich täglich mehrere Interviews gegeben. In der Redaktion haben wir innerlich und äußerlich gefeiert und gesagt, mal abwarten, ob auch die »New York Times« über uns berichtet – und das hat sie getan. Das Lied ging um die Welt, es wurde auch mit türkischen Untertiteln wahnsinnig oft geteilt. Wie das auf diplomatischer Ebene geregelt wurde, haben wir gar nicht mitbekommen, bei uns hat jedenfalls kein Minister angerufen. Aber viele Deutschtürken haben sich gemeldet – von begeistert bis sehr wütend war alles dabei. Elbvertiefung: Was haben Sie daraus gelernt, aus dem Umgang mit Satire und den Reaktionen auf das Lied? Ehring: Ich persönlich habe den Schluss gezogen: Ich werde nie wieder sagen, dass Satire nichts bewirken kann. Wir merken ja ohnehin, dass die Sendung unsere Zuschauer auch beschäftigt, bewegt oder wütend macht. Und bei der Reaktion auf dieses Lied hat man sehr nachdrücklich gespürt, was Satire auslösen kann, sogar diplomatische Krisen. Das fand ich beeindruckend. An der Art unserer Arbeit hat das aber nichts verändert. Elbvertiefung: Würden Sie das Lied denn heute wieder so machen? Ehring: Die politische Situation hat sich im letzten Jahr dramatisch verschärft. Damals war das Lied angemessen, heute wäre es mir fast zu harmlos. Wir reden auch in der Sendung über die Lage in der Türkei, aber es fällt mir zunehmend schwer, die passenden Gags zu finden und gegen diesen Menschen Erdoğan anzuwitzeln, weil mich das Thema emotional berührt. Elbvertiefung: Planen Sie jetzt zum einjährigen Jubiläum des Liedes etwas Neues in der Richtung? Aktuelle Aufhänger gäbe es ja genug ... Ehring: Erdoğan ist natürlich immer noch Thema – aktuell stellt sich die Frage: Müssen wir aushalten, dass auf deutschem Boden Wahlkampf gemacht wird. Elbvertiefung: Und, müssen wir? Ehring: Im Moment bin ich noch der Meinung, dass wir das sollten. Aber auch ich ändere bisweilen meine Meinung. Doch, ich finde, zu einer Demokratie gehört auch, dass man das aushält. Man kann Dummheit nicht verbieten. Dass fanatische Anhänger jemandem zujubeln, der Blödsinn verbreitet … Florian Silbereisen wird ja auch nicht verboten. Elbvertiefung: Erinnern Sie sich eigentlich noch an den Liedtext? Ehring: Er lebt auf großem Fuß, der Boss vom Bosporus, Erdowie, Erdowo, Erdoğan, weiter weiß ich nicht. Ach doch: Ein Journalist, der was verfasst, das Erdoğan nicht passt, ist morgen schon im Knast ... Es bleibt doch einiges im Ohr. |
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