Mitte März kamen sich zwei ehemalige politische Gegner richtig nahe. Matthias Platzeck und Edmund Stoiber plädierten auf der Jahrestagung des Deutsch-Russischen Forums für die allmähliche Aufhebung von Sanktionen gegen Russland. Der SPD-Mann bemerkte, er habe nie gedacht, dass er sich mit dem Ex-CSU-Chef Stoiber mal so einig sein könne.
Sanktionen aufheben – das ist so leicht gesagt. Aber es hat Gründe, warum es so schwer ist. Vor wenigen Wochen traf ich Alexander Hug, den stellvertretenden Chef der OSZE-Mission in der Ukraine. Wenn man ihm zuhört, begreift man, dass die Hindernisse nicht in der EU oder in Washington liegen, sondern bei den Kriegsparteien selbst.
Kurz vor dem Treffen mit Alexander Hug hatte die Ostukraine wieder eine unruhige Nacht erlebt. Innerhalb von 24 Stunden hatte die OSZE-Mission über 2.000 Explosionen an der sogenannten Kontaktlinie registriert, an der Front zwischen den von Russland bewaffneten Separatisten und den ukrainischen Regierungstruppen. "Das ist leider üblich", sagte Alexander Hug. "Aber nicht normal."
Die Diplomaten nennen die augenblickliche Situation in der Ostukraine "Waffenstillstand". Das Mobiliar der Waffenruhe sind Granatwerfer, 82-Millimeter-Mörsergranaten, Handfeuerwaffen, schwere Maschinengewehre, Artilleriefahrzeuge, Grad- und Totschka-U-Raketenwerfer direkt an der Frontlinie. Diese Waffen sollten gemäß der Minsker Vereinbarungen längst weit hinter die Kontaktlinie zurückgezogen sein.
Schützengräben wie im Ersten Weltkrieg
Doch die Umsetzung des Minsker Abkommens stockt. Die Vermittler aus der OSZE, aus Deutschland und Frankreich kehren bei jeder Sitzung mit Ukrainern, Russen und Separatisten ganz an den Anfang zurück und sprechen über den Waffenstillstand. Das hat viel damit zu tun, dass Minsk ein Siegfrieden ist, den die Ukrainer 2015 unterzeichnen mussten, um nicht noch mehr Territorium an die von Russland hochgerüsteten Separatisten zu verlieren. So sind alle für Kiew unangenehmen Dinge zuerst zu erledigen, zum Beispiel das Sonderwahlgesetz und Wahlen in den Separatistengebieten. Erst ganz am Ende würde Kiew die Kontrolle über die Grenze zu Russland zurückerhalten, jene Grenze, über die der Nachschub an die Separatisten rollt. Ob es je dazu kommt, hängt auch von einer dauerhaften Waffenruhe ab.
Alexander Hug hat genaue Vorstellungen, wie die zu erreichen wäre. Die schweren Waffen müssten hinter die Rückzugslinie gebracht werden, unter Kontrolle der OSZE und mit genauer Auflistung der Waffen und ihres neuen Standorts. Die Kriegsparteien müssten mehrere Kilometer auseinanderrücken und sich nicht die ganze Zeit an der Kontaktlinie belauern. "All das ist schon lange beschlossen", sagt Hug, "man müsste sich nur daran halten." Tatsächlich aber richten sich beide Seiten auf einen langen Konflikt ein. Hinter der Frontlinie haben Separatisten und ukrainische Regierungstruppen tiefe Schützengräben mit Holz, Metall und Beton angelegt. "Wie im Ersten Weltkrieg" bei den Abnutzungsschlachten in Frankreich, sagt Hug.
Längst richten sich Russen, ihre Helfer in der Ostukraine und die Ukrainer im verlustreichen Patt ein. Das hat Folgen, auch für die Sanktionspolitik. Kiew will den Separatisten keine Wahlen gönnen, um die Ostukraine langfristig zurückzugewinnen. Angesichts des riesigen Schadens für die ukrainische Wirtschaft und Gesellschaft hat die Regierung kein Interesse daran, den Russen zur Aufhebung der EU-Sanktionen zu verhelfen. Umgekehrt ist es der russischen Regierung wichtiger, die Ukraine durch den offenen Konflikt langsam ausbluten zu lassen, als sich durch Zugeständnisse endlich von Sanktionen zu befreien. Russland hat schon andere Nachbarn mit gezielten Abspaltungen geschwächt: Georgien und Moldau.
Außerdem haben Sanktionen auch Vorteile für die Moskauer Regierung. Durch ihre Gegensanktionen auf EU-Lebensmittel hält sich Russland unerwünschte Konkurrenz vom Leibe, zum Beispiel die bayerische Milchwirtschaft. Russische Produzenten werden derzeit alle Lebensmittel los, egal wie der Käse schmeckt. Sie wollen, dass der Protektionismus bleibt, selbst wenn westliche Sanktionen fielen.
Edmund Stoiber und Matthias Platzeck sagen, Sanktionen würden allen schaden. Das ist westlich gedacht. Im Osten ist es leider manchmal wichtiger, dem Nachbarn zu schaden, egal, was es einen selbst kostet. Und wenn man die Bevölkerung an den Schaden gewöhnt hat, lebt man einfach damit. |
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