Die Tipp-Ex Im 19. Jahrhundert war das Sekretariat eine rein männliche und im 20. eine rein weibliche Angelegenheit. Im 21. haben wir es abgeschafft. Warum eigentlich? VON HEIKE-MELBA FENDEL |
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| | Die Frau im Büro in den fünziger Jahren © George Marks/Retrofile/Getty Images |
Der FBI-Agent Dale Cooper war in David Lynchs TV-Serie Twin Peaks nicht allein "verdammt gutem Kaffee" zugetan, sondern auch seinem Diktiergerät, das er sich unter sein imposantes Kinn hielt, als wolle er sich damit rasieren. Alle Beobachtungen und Einfälle rund um Laura Palmers mysteriösen Tod landeten auf den Minikassetten im Inneren des schmalen schwarzen Geräts, das er liebevoll "Diane" nannte.
Als sich im Sommer 1991 abzeichnete, dass Twin Peaks auch in Deutschland eine Riesensache werden würde, brachte Sony als Merchandising-Item ein Diktiergerät mit der Aufschrift "Diane" auf den Markt, das ein großer Erfolg wurde.
Nun hatte Dale Cooper eine Reihe seltsamer Angewohnheiten. Das Diktiergerät als Frau zu adressieren, war vor einem guten Vierteljahrhundert jedoch keine: Vollbetextete Bänder landeten allerorts in den Abspielgeräten der Sekretärinnen, die von diesen mittels Fußtaste vor- und zurückgespult werden konnten, während beide Hände damit beschäftigt waren, die mehr oder weniger bedeutenden Männerworte in die elektrische Schreibmaschine zu tippen – und das Zehnfinger-blind.
Triumph Adler produzierte in diesen Jahren eine beliebte Schreibmaschine mit Kugelkopf und automatischer Tipp-Ex-Funktion. Sie hieß "Gabriele", und es gab sie – mit jeweils neuen dreistelligen Zahlenkombinationen versehen – in mehreren Generationen. Das hatte sie mit dem ICE gemeinsam, der etwa zur selben Zeit wie die Gabriele 103 und Twin Peaks aufs Gleis gebracht wurde. In den Erste-Klasse-Abteilen saßen vor allem am frühen Morgen Männer in dreiteiligen Anzügen und pastellfarbenen Hemden. Sie rochen nach Antaeus von Chanel oder Grey Flanell von Geoffrey Beene und lasen den Wirtschaftsteil der FAZ.
Zwischendurch holten sie ihre Diktiergeräte aus mit Zahlenschlössern versehenen Aktentaschen und raunten Sätze in sie hinein. Einzig die Satzzeichen und die Ansage "Absatz!" wurden zackig gesprochen. Besonderer Beliebtheit erfreute sich das Semikolon.
Die wichtigen Geschäftsmänner schienen zudem kein großes Vertrauen in die grammatikalischen Fähigkeiten ihrer Sekretärinnen zu haben. So wurden nicht nur die Satzzeichen, sondern auch die sich anschließende Groß- und Kleinschreibung in der Regel mitdiktiert. "Nach Diktat verreist" stand nicht umsonst unter den vielen, "vorab per Fax" versandten, mit dem vorangestellten Kürzel i.A. von der Sekretärin unterschriebenen Briefen. "i.A." hieß: Mögliche Fehler hat nicht der Chef gemacht, sondern immer und in jedem Fall die Sekretärin.
"Ohne deine Mutter wäre ich verloren"
Ich saß in jenen Jahren im frühen ICE, weil auch ich eine Geschäftsfrau war. Natürlich mit Sekretärin. Ja, vielleicht hatte ich überhaupt nur eine Firma gegründet, um eine Sekretärin zu haben. Wenn ich als Kind nach meinem Berufswunsch gefragt wurde, lautete die Antwort stets: irgendwas mit Sekretärin.
Meine Mutter war Sekretärin. Sie hatte nach der Geburt ihrer beiden Töchter ein paar Jahre ausgesetzt, kehrte jedoch nach meiner Einschulung an ihren Arbeitsplatz zurück, eine vis-à-vis vom Kölner Hauptbahnhof gelegene Anwaltskanzlei. Manchmal nahm sie mich mit und ich sah, wie sie mit Notizblock und Bleistift auf einem schmalen Sessel saß, während ein unendlich alter Mann aus der Tiefe des Raumes Worte sagte, aus denen sie auf ihrem Block Striche und Kringel formte. Einmal stand einer dieser Männer auf und winkte mich huldvoll heran. "Ohne deine Mutter wäre ich verloren", bekannte er, "sie ist meine rechte und meine linke Hand." Wie zum Beweis legte er mir beide Hände schwer auf die Schultern.
Ich sollte diese Worte nie vergessen. Nachdem ich beschlossen hatte, eine Firma zu gründen, gab ich als erste Amtshandlung eine Stellenanzeige für eine Sekretärin auf. Am besten gefiel mir eine Bewerberin mit pechschwarzem Haar und gelber Schlaghose. Sie hieß Susanna Türke und war Europasekretärin, konnte also bei Bedarf mehrsprachig tippen.
Fortan saß sie an der Gabriele 110 und tippte meine aus dem Modell Diane herausgepulten Kassetten ab, die ich meinerseits inmitten der duftenden Anzugträger besprochen hatte. Sie brachte jeden Morgen meine Lieblingsbrötchen aus meiner Lieblingsbäckerei Zimmermann mit und lachte viel. Alle hatten sie gern.
Die Göttin der kleinen Dinge
Als die Firma wuchs und mit ihr Arbeit, Mitarbeiter und Zahl der Anrufe, vermerkte sie jeden unerledigten Vorgang auf einem gelben Post-it und klebte ihn an die Wand über ihrem Schreibtisch. Manchmal war die ganze Wand beklebt. Susanna tippte, klebte Zettel auf und nahm sie ab und sprach immer schneller, als könne sie ihre Arbeitsgeschwindigkeit stufenlos regeln. Traurig war sie nur ein paarmal, nachdem Anrufer sie irrtümlich als Ausländerin beschimpft hatten, weil die dachten, wer Türke heißt, sei Türkin. Nach fünf Jahren verließ sie meine Firma, weil sie im Leben noch einmal etwas Sinnvolles machen wollte, wie sie sagte. "Aber Susanna", sagte ich, "du bist doch meine linke und meine rechte Hand."
Wir stellten keine neue Sekretärin ein. Niemand tat das mehr Ende der neunziger Jahre – in Firmen, die irgendwas mit Medien machten, schon gar nicht. Das bisschen Büro kann so schwer nicht sein, dachte man sich und freute sich über die Einsparung eines Gehaltes, das ohnehin keinen Umsatz erwirtschaftete. Ans Telefon konnte man auch Praktikanten setzen, Reise- und Hotelbuchungen hatte man schnell selbst erledigt. Für die Projektarbeit waren ohnehin "Assistenten der Geschäftsführung" gefragt, da brauchte es ja Fachwissen, das so eine Sekretärin, Europa hin oder her, gar nicht hatte.
Neben den wirtschaftlichen Totschlagargumenten schien die Sekretärin auch moralisch alles andere als "pc": Der würdevolle, seit jeher von Männern ausgeübte, Beruf des "Schreibers" war mit dem Siegeszug der Schreibmaschine zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem der kleinen Sekretärin, vulgo Tippse, gewichen. War sie also bloß die Hausfrau im Büro, also ein nährendes, dienendes, selbstloses Geschöpf mit viel Arbeit und wenig Anerkennung? Waren die hübschen unter ihnen nicht bloß marrying material für amourös einfallslose Vorgesetzte und die älteren schnöder Mutti-Ersatz?
Mit der linken und rechten Hand des Teufels
Wirtschaftlich und moralisch als fragwürdig eingestuft wurden Position und Person der Sekretärin seit der Jahrtausendwende zum Auslaufmodell. Und das ist nicht gut so.
Es gibt Berufe, über die die Zeit hinweggegangen ist, Schriftsetzer oder Avon-Beraterin etwa. Und solche, die dieses Schicksal hoffentlich bald ereilen wird wie Fließbandarbeiter oder Immobilienmakler. Die Sekretärin jedoch brauchen wir heute dringender denn je. Und das weder in Form von zu sogenannten Officemanagern euphemisierten, Controllern, noch in der von "Assistenz der Geschäftsführung", die danach trachten, eben diese Geschäftsführung entweder beizeiten zu verlassen oder zu ersetzen.
Die Abschaffung der Sekretärin wurde von der linken und der rechten Hand des Teufels geführt. In Unternehmen steckt dieser Teufel in jedem Detail des Effizienzstrebens: Macht das Umsatz oder kann das weg? Eine Sekretärin, die diesen Namen verdient, steigert mit der linken und der rechten Hand, die sie für den Betrieb und die Führungsebene ist, jedoch sehr wohl den Umsatz. Sie erhöht und verkörpert das seelische Kapital.
Die "gute Seele" des Betriebs gewesen zu sein, geht heute allenfalls bei Grabreden als Wertschätzung durch. Das bisschen Verantwortung, das man sich in Unternehmen außerhalb des Primats des Funktionierens gönnt, nennt man lieber CSR, corporate social responsability, oder HRM, human resource management, und ist ansonsten der Meinung, dass auch die Investition in Menschlichkeit oder "Betriebsklima" einen return on investment bringen sollte.
Ich hätte einen anderen Vorschlag: Zurück zur Sekretärin! Wir trinken ja auch wieder Filterkaffee, der in vielfältigen "Drip"-Varianten viel zu teuer ist, wir beten Wohneigentum an, wie unsere Vorfahren in den fünfziger Jahren und machen aus Hochzeiten wieder Großveranstaltungen. Und, liebe Controller, this one's for you: Die Abschaffung der Göttin der kleinen Dinge treibt den Rest des Teams in fluchend absolvierte Zusatztätigkeiten, die den Burn-out begünstigen und die Kernarbeitszeit vernichten.
Nein, es muss nicht die Dame in Pumps und Perlenkette sein. Macht die Sekretärin divers, gendert sie und findet einen politisch korrekten Namen für sie, aber stellt sie ein: die Person, die begrüßt und empfängt, die puffert und tröstet, die entlastet und schweigt, die Schlunzmails lektoriert und redigiert, die Geburtstage kennt und Geschenke findet, die Zahlen sortiert und Kreditoren beruhigt, die den Vertretern, Lieferanten und Handwerkern den Weg weist, die die Wiedervorlage zum Freund und Diskretion als oberstes Gebot hat.
Nein, sie muss keinen verdammt guten Kaffee kochen, sie muss auch längst nicht mehr zum Diktat schreiten. Sie muss nur wiederkommen. Genauso wie Dale Cooper in diesem Jahr zurück auf unsere Bildschirme kommen wird: heiß geliebt, lang vermisst und herzlich Willkommen.
Heike-Melba Fendel ist Autorin und Inhaberin der Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment. Sie lebt in Köln und Berlin. Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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