"Haltet eure Finger aus den Ländern anderer Leute heraus"Er kämpfte für die IRA, saß fast 20 Jahre im Gefängnis, heute ist Anthony McIntyre Historiker und Journalist. Ein besonderer Blick auf die Terrorabwehr in Großbritannien VON JOCHEN BITTNER |
|
|
13 Anschläge, so berichtete die britische Premierministerin Theresa May nach dem jüngsten Terrorakt vor dem Parlament in Westminster, seien seit 2013 von den britischen Sicherheitsdiensten vereitelt worden. Wenn das stimmt, dann haben Geheimdienste und Polizei auf der Insel eine regelrechte Terrorkampagne mit durchschnittlich einem Angriff alle drei Monate verhindert. Den britischen Diensten wird nachgesagt, auch deswegen effektiv zu sein, weil sie jahrzehntelang die Irisch-Republikanische Armee (IRA) bekämpft haben – also Erfahrung haben im Unterwandern und Vereiteln. Aus dem Nordirland-Konflikt wurden später viele Fälle öffentlich, in denen IRA-Mitglieder als britische Einflussagenten etwa Sprengstoff so anmischten, dass er nicht explodierte, oder Ziele von Mordkommandos rechtzeitig warnten.
Wenn das stimmt, welche Lehren lassen sich aus dem Anti-Terror-Kampf von damals ziehen? Dazu habe ich der vormals anderen Seite einige Fragen gestellt, nämlich dem ehemaligen IRA-Mitglied Anthony McIntyre. McIntyre, der bis 1996 eine 18-jährige Gefängnisstrafe wegen Mordes verbüßte, promovierte nach der Haftzeit an der Universität Belfast und arbeitet heute als Historiker und Journalist. Unter anderem betreibt der 59-Jährige das Blog The Pensive Quill.
ZEIT ONLINE: Herr McIntyre, es heißt, die britischen Sicherheitsbehörden seien deswegen recht erfolgreich bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors, weil sie 30 Jahre an der IRA geübt haben. Stimmt das aus Ihrer Sicht?
Anthony McIntyre: Sie haben sicher Erfahrungen mit der IRA gemacht, die sie heute nutzen. Aber die Attacke in London wurde ja nicht im Voraus durch Geheimdienstarbeit gestoppt, sondern durch Sicherheitsbeamte vor Ort. Hätte der Täter keine so gut geschützte Institution angegriffen, sondern einfach einen beliebten Orte wie die Promenade in Nizza oder den Weihnachtsmarkt in Berlin, wäre die Anzahl der Todesopfer viel höher gewesen.
ZEIT ONLINE: Dennoch, was glauben Sie, gestützt auf die Erfahrung des Nordirland-Konflikts, wie gut dürfte der britische Geheimdienst die Islamistenszene infiltriert haben?
McIntyre: Nun ja, die IRA war enorm infiltriert. Es gibt Schätzungen, nach denen jedes dritte IRA-Mitglied als Agent für die Briten gearbeitet hat. Ob das Einflussagenten waren oder Leute in der IRA-Führung, oder wie viele Anschläge auf diese Art vereitelt wurden, darüber kann man nur spekulieren.
ZEIT ONLINE: Jeder Dritte? Das ist eine sehr hohe Zahl.
McIntyre: Ja, das ist sie. Sie ist natürlich eine Schätzung, aber auch der ehemalige Chef der Anti-Terror-Spezialabteilung der nordirischen Polizei hat mir gesagt, dass die Unterwanderung sehr weitgehend war. Die Briten werden das heute sicher wieder versuchen. Aber ich kann mir vorstellen, dass aufgrund der technischen Möglichkeiten, die es heute es zum Abhören von Telefonen und zur Überwachung des Internets gibt, die Notwendigkeit abgenommen hat, menschliche Quellen zu führen. Deswegen sind islamistische Gruppen wahrscheinlich nicht so stark infiltriert wie die IRA es damals war. Aber natürlich werden die Briten Informanten rekrutieren, wo immer sie können.
ZEIT ONLINE: Haben die Unterwanderungserfolge des MI5 und der Polizei die IRA letztlich gezwungen, der Gewalt abzuschwören?
McIntyre: Sie waren ein Aspekt. Die IRA konnte den Krieg gegen die Briten nicht gewinnen. Der hohe Grad der Infiltrierung hat militärische Aktionen immer unattraktiver erscheinen lassen, einfach weil viele dieser Aktionen vereitelt wurden. Es gibt auch Beispiele von hochrangigen IRA-Mitgliedern, von denen wir mittlerweile wissen, dass sie britische Einflussagenten waren, und die sich stark für den Friedensprozess eingesetzt haben. Am Ende hat sich die IRA den britischen Bedingungen gebeugt, ob und wann die Briten Nordirland verlassen. Insofern hat die IRA ihre gesteckten politischen Ziel nie erreicht.
ZEIT ONLINE: Anders als bei Islamisten gab es für friedensgeneigte IRA-Leute damals vielleicht den Anreiz, irgendwann auf einen politischen Posten zu wechseln.
McIntyre: Möglich. Aber ich glaube nicht, dass viele Informanten so weit voraus gedacht haben. Die meisten wurden in kompromitierenden Situationen erwischt und haben sich dann entschieden, für die Briten zu arbeiten. Die Leute innerhalb der IRA, die sich um die Sicherheit der Organisation kümmerten, waren überzeugt davon, dass es einen Hauptgrund dafür gab, ein Informer zu werden: die Angst vorm Gefängnis. Ich glaube nicht so sehr, dass es um Karriere oder um Geld ging.
ZEIT ONLINE: Es gibt den Fall von Alfredo Scappaticci, dem Chef der IRA-internen Nutting Squad, einer Einheit, die Verräter umbrachte. Scappaticci, der mindestens vierzig Morde befohlen haben soll, soll selbst für die Briten gearbeitet und dafür 80.000 Pfund pro Jahr bekommen haben.
McIntyre: Und er ging nicht ins Gefängnis. Obwohl er in all diese Verbrechen verwickelt war, konnte er frei herumlaufen, weil der britische Staat ihn deckte. Auch Leute innerhalb der IRA deckten ihn, weil sie, wie ich glaube, ebenso als Agenten arbeiteten. Die Informationen, die Scappaticci den Briten lieferte, haben zu einer ganzen Reihe wichtiger Festnahmen geführt.
ZEIT ONLINE: Aber Sie sind pessimistisch, dass solche Anreize heute helfen könnten, Informanten innerhalb islamistischer Gruppen anzuwerben?
"Sie stecken immer noch tief drin in all diesem Schmutz"
McIntyre: Ich bin nicht pessimistisch. Ich glaube nur nicht, dass diese Anwerbungen so notwendig sind wie früher. Das Spionagehandwerk ändert sich mit dem technischen Fortschritt. Solche altmodischen Methoden werden weniger wichtig, in Großbritannien wie auch in Deutschland, Belgien oder Frankreich. Die Informationen, die früher von solchen Agenten geliefert wurden, können heute auf anderem Wege beschafft werden. Das heißt natürlich nicht, dass die Briten keine Leute in diesen Gruppen haben dürften. Aber ich würde mich wundern, wenn der Grad der Unterwanderung des IS auch nur annähernd an das 3-zu-1-Verhältnis heranreichen würde, zu dem die IRA unterwandert war.
ZEIT ONLINE: Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Geheimdienstkulturen in europäischen Ländern. Die Briten haben während des Nordirland-Konflikts regelmäßig mit Terroristen zusammengearbeitet, die Morde auf dem Gewissen hatten ...
McIntyre: Das würde die Briten nicht abhalten!
ZEIT ONLINE: … während die deutschen Geheimdienste behaupten, dass sie dies niemals tun würden.
McIntyre: Ich denke, es wäre naiv, das zu glauben. Sie hatten doch auch sicher Zuträger in der RAF, in den siebziger, achtziger Jahren, die gemordet und Bomben gelegt haben.
ZEIT ONLINE: Na ja, auch insofern haben sich die Zeiten geändert – behaupten jedenfalls deutsche Geheimdienstler. Der BND schaltet heute nach Rücksprache mit dem Generalbundesanwalt Informanten innerhalb des IS ab, wenn diese Leute Morde begehen sollen.
McIntyre: Oh, das passiert in Großbritannien auch, jedenfalls wenn die Sache vor Gericht kommt. Trotzdem würden Geheimdienste solche Leute weiter führen, solange sie damit davonkommen. Die Briten haben islamistische Verdächtige entführt und in Flugzeugen außer Landes gebracht. Sie steckten, nach den Anschlägen vom 7. Juli 2005 in London, bis zur Halskrause in Foltertechniken, die in anderen Ländern praktiziert wurden. Es gibt ein großartiges Buch von Ian Cobain, Cruel Britannia, über die Geschichte der Folter durch die Briten. Sie stecken immer noch tief drin in all diesem Schmutz. Natürlich würden sie einen Informanten, der vorhat, jemanden umzubringen, von der Tat abhalten. Aber sie sind sehr willens, das Recht zu brechen, wenn es ihnen nutzt.
ZEIT ONLINE: Welchen Rat würden Sie heute der britischen Regierung geben, wenn Sie ihr einen Tipp zur Bekämpfung des islamistischen Terrors geben könnten?
McIntyre: Also, ich will nicht im Beratungsgeschäft für die britische Regierung tätig werden, aber was ich sagen würde, wäre: Wenn man anfängt eine Politik und eine Sprache zu übernehmen, wie sie Donald Trump gegenüber Muslimen einschlägt, dann ist das einzige, was man ernten wird, eine Gemeinschaft des Widerstands. Mein Rat an die Briten wäre: Haltet eure Finger aus den Ländern anderer Leute heraus. Hört auf, Bomben zu werfen, die auch Zivilisten töten. Lasst diese sinnlose Kriege wie im Irak, in Afghanistan oder Libyen sein. Haltet euch von diesen Ländern fern, dann werden sich höchstwahrscheinlich auch die Bombenleger von eurem Land fernhalten. |
|
|
FÜNF VOR 8:00Die Morgenkolumne auf ZEIT ONLINE
|
|
|
|
|
|