| Liebe Leserinnen und Leser, in der vergangenen Ausgabe von Christ & Welt bescheinigte Hannes Leitlein der evangelischen Kirche, die Digitalisierung gründlich zu verschlafen – und das ausgerechnet 500 Jahre nachdem Luther vormachte, wie man mit den medialen Mitteln der Zeit die Welt verändern kann. »In der digitalisierten Welt«, schrieb er, »gibt es keine Trennung zwischen Sendern und Empfängern, keine Hierarchien, keine Orthodoxie, alle sind gleich und gleichermaßen Kirche – ein sehr protestantischer Gedanke, der die Digitalisierung zu einer Revolution im protestantischen Geiste macht, auch wenn viele Promi-Protestanten das nicht sehen wollen.« Der Text wurde in der analogen wie in der digitalen Welt stark beachtet. So fragt etwa Nikolaus Schleicher im Blog »Netzwerk Theologie in der Kirche«, ob wir »die Digitalisierung für die Möglichkeit feiern wollen, die verfasste Kirche mit ihren spezialisierten Ämtern abzuräumen und durch eine Cloud fluider Cybersekten zu ersetzen.« Der Gedanke an Cybersekten für digital believers mag verführerisch sein für Science-Fiction-Autoren, Hannes Leitlein jedoch liegt er fern. Es ging in seinem Text eben nicht darum, die verfasste Kirche mit den Mitteln des Internets zu überwinden, sondern sie dazu bringen, die Digitalisierung zur Kenntnis zu nehmen in ihrer ganzen Tragweite.
Das sei gar nicht Aufgabe von Kirche, wendet Werner Thiede, Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen, ein. Sie müsse vielmehr die »weißen Flecken« und »analogen Reservate« verteidigen: »Es braucht«, so Thiede, »eine analoge Konterrevolution – im Wissen darum, dass die Beschwörung der Alternativlosigkeit das Kommen des Gottesreiches verkennt. Die Technokratie, die uns sogar ein digitales Überleben des Todes verheißt, wird nicht das letzte Wort behalten.« Doch was ist von einer analogen Konterrevolution zu halten, die auf digitalem Weg die Redaktion erreicht, statt als handgeschriebenes Manuskript? Bestätigt sich hier nicht vielmehr die Alternativlosigkeit eines Wandels, der eben gerade dadurch alternativlos ist, weil sich niemand ihm entziehen kann, auch nicht Ängstliche und Skeptiker? Natürlich besteht auch aus ihnen Kirche. Wer heute in die Kirche geht, wurde oft in einer Zeit sozialisiert, als Briefe nur der Postbote brachte und Telefone grau waren. Die Angst der Menschen vor einer Zeit, die viele nicht mehr so ganz verstehen, lässt sich nicht im Spamfilter entsorgen. Nur, die Zeit schert das leider wenig. Sie ist grausam. Sie vergeht, nimmt das Alte mit sich. Doch zum Glück ist für Trost und Hoffnung nicht sie verantwortlich, sondern die Kirche – analog wie digital.
Ihr Raoul Löbbert |
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