Als die Aufstände in Syrien begannen, vor sechs Jahren, berichtete ich aus Kairo, wo gerade der Herrscher gestürzt war. Ich erinnere mich noch, dass ich nicht glaubte, die syrischen Demonstrationen würden dem Regime in ähnlicher Weise gefährlich werden. Der junge Präsident Baschar al-Assad war bei seinem Volk viel beliebter als der alte ägyptische Präsident Hosni Mubarak. Die syrische Opposition war vergleichsweise zahm, Christen und Alawiten waren für Assad, die syrischen Muslimbrüder im Londoner Exil. Mit ein paar Reförmchen, salbungsvollen Reden und wirtschaftlichen Zugeständnissen, dachte ich, könnte der syrische Herrscher davonkommen. Ich habe mich geirrt. Aber nicht in der Reaktion des Volkes, sondern in der von Baschar al-Assad.
Auf die Demonstrationen reagierten er und sein Geheimdienst panisch. Sie schossen auf unbewaffnete Protestierende, ließen Kinder foltern und Panzer gegen Bürger auffahren. Als sich daraufhin der Widerstand verhärtete, versuchten Assad und sein Regime ihr Überleben durch einen Krieg gegen das eigene Volk zu sichern. Den "Islamischen Staat" (IS) gab es noch nicht, die Terroristen betraten erst später die Bühne. Einige von ihnen ließ der syrische Staat gezielt aus den Gefängnissen frei. Im Kampf gegen die Opposition waren sie Assad hoch willkommen.
Seitdem der Krieg in Syrien mit vielen Fronten und Kämpfern unübersichtlich wurde, forderten Wladimir Putin in Moskau und manche im Westen, man müsse mit Assad reden. Es gäbe keine Lösung ohne ihn. Diese Forderung trugen sie wie eine Monstranz vor sich her, während Amerikaner, Türken, die EU und die arabische Anti-Assad-Allianz eine Friedenslösung ohne das syrische Regime suchten. Sie scheiterten – auch, weil Russland und der Iran diese Lösung nicht wollten.
Im September 2015 begann die russische Intervention. Seitdem hat sich viel gedreht. Die Opposition hat die sunnitische Großstadt Aleppo an Pro-Assad-Milizen verloren. In vielen Gegenden Syriens sind die Freie Syrische Armee, sunnitische Kämpfer und islamistische Milizen auf dem Rückzug. Assad triumphiert. Gibt es jetzt eine Lösung mit ihm?
Das zumindest behaupten die Kriegsparteien Russland und der Iran, die in diesen Monaten nach einer Friedenslösung suchen und sich im März wieder in der kasachischen Hauptstadt Astana getroffen haben. Die syrische Opposition sagte ab. Man sprach also im Wesentlichen mit sich selbst.
600.000 ohne Hilfe
Den augenblicklichen Zustand in Syrien beschreiben die Kriegsparteien als Waffenstillstand. So sieht er aus: Täglich gibt es Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung, an vielen Frontabschnitten wird noch gekämpft. Damaskus leidet unter Terroranschlägen. Rund 600.000 Menschen sind komplett von humanitärer Hilfe abgeschnitten. In vielen Städten gibt es keine medizinische Versorgung, keine Kinderbetreuung und keinen Unterricht, weil das Regime und die Russen bei der vermeintlichen Befreiung Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen zerstört haben.
Zugleich arbeiten die Kriegsparteien an einem brutalen Bevölkerungsaustausch, zum Teil durch Vertreibung, zum Teil durch Verhandlung. Der Iran und das syrische Regime wollen die Gegend zwischen Damaskus und der libanesischen Grenze von Sunniten räumen. Ziel ist ein schiitisch besiedelter syrischer Westen, der an jene Gebiete des Libanon grenzt, die von der schiitischen Hisbollah kontrolliert werden. Iranische Offiziere verhandeln mit syrischen Oppositionsgruppen über die sunnitischen Orte Zabadani und Madaja westlich von Damaskus, für welche dann im Austausch Schiiten einige Vororte von Aleppo räumen sollen. In anderen Gegenden siedeln das Regime und der Iran schiitische Familien gezielt in Orten an, aus denen Sunniten geflohen sind.
Vertreibung oder verhandelte ethnische Säuberung sind Kriegsverbrechen. Genauso wie die Zerstörung von Krankenhäusern und die Aushungerung von ganzen Städten. Der Terrorismus – wie jetzt in Damaskus – wird zunehmen. Mit dieser Art von vermeintlichem Waffenstillstand werden Russen und Iraner das Land nicht befrieden. Sie werden in Astana genauso wenig zu einem Ergebnis kommen wie zuvor Amerikaner, Europäer und die UN bei den Genfer Gesprächen. Es gibt nach sechs Jahren keine Lösung mit Assad und keine ohne ihn. |
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