Vergangene Woche war Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zu Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Diese Woche, am Donnerstag, den 30. März, kommt ein beeindruckender Dokumentarfilm über Palästinenser in die deutschen Kinos. Er heißt Gaza Surf Club und erzählt von einer kleinen Gruppe meist junger Wellenreiter im Gazastreifen.
Hohe Politik und Wasservergnügen? Auf den ersten Blick haben die beiden Ereignisse nichts gemein, ihr Zusammentreffen ist bloßer Zufall. Abbas wollte sich in Deutschland der Unterstützung für die Zweistaatenlösung versichern, die in immer weitere Ferne zu rücken droht. Er wollte den Nahostkonflikt, der nichts an seiner Brisanz verloren hat, aber inmitten der anderen großen Krisen in Vergessenheit gerät, wieder einmal ins Bewusstsein rücken.
Ein selbstständiger palästinensischer Staat an der Seite Israels erscheint immer unrealistischer, weil Israelis, aber ebenso Palästinenser alles tun, um dieses Vorhaben zu zerstören. Und weil offenbar auch der amerikanische Präsident Trump kein sonderliches Interesse daran hat. Ihm sei es egal, worauf sich Palästinenser und Israelis einigten, hat er gesagt. Hauptsache, es komme am Ende ein "großartiger Deal" dabei heraus.
Auf den zweiten Blick aber passen Abbas' Auftritt in Berlin und die Filmpremiere geradezu perfekt zusammen, spiegeln sie doch haargenau, was sich im Nahen Osten derzeit abspielt. Während der palästinensische Staat ungeachtet vollmundiger Bekenntnisse immer mehr zu einer Fiktion wird, müssen die Wellenreiter des Gazastreifens mit den brutalen Folgen leben. Auf ihre eigene Weise trotzen sie der Tristesse aus israelischer Bevormundung, wirtschaftlicher Not und islamischem Fundamentalismus.
Wenn sie sich auf ihre Surfbretter stellen und ins Meer hinausgleiten, gewinnen sie – zumindest für einen kurzen Moment – ein Stück Freiheit. Ihr Wellenglück ist ein Protest gegen den politischen Irrsinn und ein Ausbruch aus der ihnen von Israel und der eigenen palästinensischen Regierung aufgezwungenen Enge.
Eine Szene aus dem Kinofilm "Gaza Surf Club" © Little Bridge Pictures Die Surfer vom Gazastreifen sind stille Helden, Präsident Mahmud Abbas hingegen ist eine tragische Figur. Als Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert er mit seiner Fatah-Bewegung lediglich im Westjordanland und damit nur über das halbe Palästina. Im weiter entfernt liegenden Gazastreifen hat er nichts zu sagen, über die knapp zwei Millionen Palästinenser dort, also auch über die Surfer, herrscht seit exakt zehn Jahren die radikalislamistische Hamas.
Fatah und Hamas sind sich zwar spinnefeind, aber sie haben ein gemeinsames Problem. Die Palästinenser sind zunehmend wütend auf sie. Abbas ist schwach und alt, er wurde an diesem Wochenende 82, Fatah und die Autonomiebehörde sind bis in die Haarspitzen korrupt. Auch Hamas ist bestechlich und regiert außerdem brutal und diktatorisch.
Junge Menschen ohne Hoffnung
Für die allermeisten Palästinenser ist das Leben in den vergangenen Jahren immer härter geworden, oft unerträglich hart – und nicht nur weil die Israelis selbstherrlich den Alltag bestimmen. Im Westjordanland wie im Gazastreifen tragen die unfähigen palästinensischen Regenten mit Schuld an der großen Not.
Darum begehren immer mehr Menschen auf. Selbst im mit harter Hand verwalteten Gazastreifen gingen vor Kurzem zum ersten Mal einige Tausend Menschen auf die Straße und wagten es, öffentlich gegen Hamas zu protestieren. Viele von ihnen wurden von der Polizei verprügelt und ins Gefängnis gesperrt. Die meisten Demonstranten sind jung. Mehr als 70 Prozent der Palästinenser im Westjordanland wie im Gazastreifen sind unter 29 Jahre alt. Sie haben keine Arbeit, keine Hoffnung, keine Zukunft, ihr Leben wird fremdbestimmt.
Am allerschlimmsten trifft es die Bewohner des Gazastreifens. Sie sind eingesperrt, die Israelis haben um das schmale Land am Mittelmeer einen hohen Zaun gezogen und kontrollieren den einzigen Grenzübergang. Nur wenige Menschen dürfen hinein, noch weniger heraus.
Übers Wasser entkommen sie der Enge
Die Handvoll Wellenreiter zum Beispiel hat den Gazastreifen seit Jahren nicht verlassen, dem riesengroßen Gefängnis können sie nur Dank ihrer Bretter entfliehen. Das Wasser zwischen dem Strand und der von Israel kontrollierten Sechs-Meilen-Grenze ist ihr Paradies, hier sind sie selbstbestimmt. Ein König, der ein Surfboard besitzt!
Der deutsche Regisseur Philip Gnadt und sein Koproduzent Mickey Yamine haben die Gaza-Surfer 2015 über viele Monate begleitet. Ihr Film bietet überraschende Einblicke in eine verschlossene Welt. Er offenbart Träume von jungen Menschen, die jeder Hoffnung beraubt sind – und trotzdem nicht aufgeben.
Einer der Wellenreiter zieht das große Los und erhält eine Einladung zum Surfen auf Hawaii. Er kehrt nicht mehr zurück in den Gazastreifen. Ein junges Mädchen, sie ist damals 15, fährt, beschützt von ihrem Vater, in einem Boot hinaus aufs Meer. Dort darf sie den Schleier ablegen und springt fröhlich in die Fluten. Schwimmen ist für sie Freiheit. Im Wasser entkommt sie dem immer stärker um sich greifenden Fundamentalismus. Inzwischen ist Sabah verheiratet. Ihr Mann verbietet ihr die Ausflüge ins Meer. Das Gefängnis namens Gazastreifen ist für die junge Frau noch enger geworden.
"Wir wollen leben wie Menschen", schrieben die Demonstranten in Gaza-Stadt neulich auf ihre Protestschilder. Wenn sie auf ihren Surfbrettern stehen, sagen die Wellenreiter vom Gaza Surf Club, fühlen sie sich einen kleinen Augenblick lang wie Menschen. |
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