Kiyaks Deutschstunde: Fuffzig Mio für jeden Diss

 
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Kiyaks Deutschstunde
22.03.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Fuffzig Mio für jeden Diss
 
Der Hass in sozialen Netzwerken wird mit schärferen Gesetzen wohl kaum verschwinden. Vielleicht hilft einfach nur: abmelden!
VON MELY KIYAK

Jeden Morgen steht man auf, liest die Zeitung und denkt: Ach, ist noch gestern? Dann überprüft man Wochentag und Datum und stellt fest, dass wieder ein Tag ist, an dem Heiko Maas oder Renate Künast oder irgendwer anders meint, das Problem der hassenden Gesellschaften in den Griff kriegen zu können, indem man das Problem dort zu beheben versucht, wo man den Verursacher vermutet.

Dabei tragen nicht das Internet und seine daraus entstandenen Netzwerke Schuld daran, dass wir eine Gesellschaft der Hassenden geworden sind.

Am gestrigen Dienstag dem internationalen Tag gegen Rassismus twitterte Renate Künast

Wir brauchen auch im Netz einen respektvollen Umgang miteinander.

Die Verursacher der politischen Hassrede sind auch die Politiker selbst. Wer hat denn jüngst den Rassismus, den Menschenhass salonfähig gemacht? Diese Leute sitzen in Parlamenten. Die Netzwerke garantieren lediglich Redefreiheit. Beide, die Politik sowie Facebook, Twitter und YouTube verdienen am Kontrollverlust derjenigen, die über einen Internetanschluss verfügen. Sie verstärken die Enthemmung. Der eine generiert daraus Stimmen, der andere Klicks. Die Teilnehmer auf den öffentlichen Redeplätzen, die sich nicht mehr im Griff haben, genauso wie diejenigen, die es gerne zivilisierter hätten, spielen hierbei eigentlich nur die Rolle der Statisten.

Dabei könnten gerade diejenigen User, die vom Ton und Umgang im Internet angewidert sind, versuchen zu erkennen, dass sie nicht warten müssen, bis ein Politiker für sie einen Diskutierraum, ähnlich dem politischen Seminar an der Uni, organisiert. Denn Facebook, Twitter etc. sind profitorientierte Unternehmen.

Wie die Süchtigen

Und wie im Kapitalismus üblich entscheiden Angebot und Nachfrage über Verbleib und Position eines Unternehmens im Wirtschaftskreislauf. Es ist wie mit Colatrinken. Wenn du Angst vor Nebenwirkungen hast, bestellste halt Mineralwasser! Die einfachste Methode, Facebook zu domestizieren, wäre nämlich, das Produkt nicht zu verwenden. Gilt auch für über 300 Millionen monatliche Nutzer von Twitter. Einfach abmelden. Schon ist man nicht mehr Teil eines Vereins, der es ermöglicht, zuzuschauen, wie ein Haufen Leute sich in abstoßenden Bemerkungen gegenseitig überbieten und andere daraus politisches Kapital schlagen.

Die Vorstellung, nicht mehr mitzumachen und dem Mob sich selbst zu überlassen, scheint eine genauso schwerwiegende Entscheidung zu sein, wie die eines Süchtigen, der ständig behauptet, die Sache im Griff zu haben, jederzeit damit aufhören zu können, und doch nie auf den nächsten Schuss verzichten wird.

Trotzdem: Ein User oder Nutzer ist ein Konsument. Er hat ein stärkeres Instrument in der Hand als Heiko Maas mit seinen Gesetzesvorhaben. Nämlich die totale Freiheit zu entscheiden, ob er sich, seine Privatsphäre, seine Daten und seine Nerven sklavisch an ein Unternehmen abtritt oder es sein lässt.

Die Politik hat es verpasst, das Internet zu einem Rechtsraum zu erklären

Facebook wäre geradezu töricht, wenn es Hassenden demnächst den Zutritt verweigert. Wer beraubt sich denn freiwillig seiner Geschäftsgrundlage? 1,8 Milliarden Nutzer, die jeden Monat ein Medium betreten, benehmen sich doch in vielerlei Hinsicht verhaltensauffällig. Hassrede ist nur ein Aspekt davon. Kinderfotos ein anderer. Aufnahmen von romantischen Sonnenauf-, und -untergängen gehören schon lange gesetzlich verboten. Und Selfies sind ohnehin ein sicheres Zeichen von totalem Zusammenbruch der Psyche.

Das Charmante an Heiko Maas' Kampf ist natürlich diese heldenhafte Pose. Dieses Ich-mach-ein-Gesetz-und-dann-blechst-du-fuffzig-Mio-für-jeden-Diss, schönen Gruß aus dem Saarland, global wettbewerb my friend. Das hat auf den ersten Blick Format. Auf den zweiten Blick aber fragt man sich, ob die Kommentare bei YouTube nicht genauso scheußlich sind und warum Google nicht mit der gleichen Leidenschaft gemaßregelt wird?

Doch völlig abgesehen davon, und das ist der dritte Blick, wäre es nicht noch charmanter, wenn Heiko Maas sagen würde, zahlt endlich Steuern, Facebook, Google, Apple und wie ihr alle heißt!

Kann sich noch jemand erinnern, wie das war, als vor einigen Jahren die Google-Autos die Vermessung der Welt vornahmen, um in aller Seelenruhe unsere steuerfinanzierten Straßen für ihr Produkt zu verwenden? Würde man das einem rumänischen Bauern erlauben? Dass er einfach nach Deutschland kommt, ein paar Maisfelder anbaut, daraus Chips macht, verkauft und den Gewinn steuerfrei nach Bukarest trägt? Und dass er dann gemeinsam mit der Kanzlerin speist und plaudert über Diesunddas aber keinesfalls über Steuern, Arbeitsgenehmigungen, Arbeitnehmerschutzrechte und so weiter? Wohl kaum.

Kiyaks Deutschstunde

Die Politik hat es verpasst, das Internet zu einem Rechtsraum zu erklären und mit internationalen Gesetzen zu kontrollieren und zu verwalten. Das Internet ist nicht nur voll mit Hassrede, sondern auch mit Menschenrechtsverletzungen. Die kostenlosen Pornoportale zwingen uns, Zeuge von Ausbeutung, Vergewaltigungsverherrlichung und allerhand anderen menschlichen Abgründen zu sein. Kann man allen Ernstes für ein Kopftuchverbot im Namen von Frauenrechten streiten und die Pornoindustrie, die ausschließlich das Produkt westlicher Gesellschaften ist, links liegen lassen? Eben! Umso seltsamer mutet es an, wenn Politiker sich einzelne Aspekte des Internets herausgreifen und in den rechtsfreien Raum hineinrufen: Seid nett! Hasst nicht! Zieht euch wieder an! Ooch, menno, nennt doch mal eure richtigen Namen!

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