Wenn Angela Merkel Anfang dieser Woche im Weißen Haus zum ersten Mal auf Donald Trump trifft, werden die ganze Zeit unweigerlich zwei Fragen mitschwingen: Sind wir, sind Deutschland und Amerika noch Freunde?
Zur historischen Wahrheit gehört, dass schon über mancher Kanzlervisite in Washington ein Schatten lag. Keineswegs herrschte in den Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten stets eitel Sonnenschein. Doch nie war die Stimmung so mies wie jetzt.
Gründe dafür gibt es viele: Trump hat die Bundeskanzlerin mehrmals öffentlich kritisiert, er hat ihre Flüchtlingspolitik "katastrophal" genannt und den Deutschen vorgeworfen, sich mithilfe der EU und des Euro zu Lasten anderer Staaten zu bereichern. Trump droht dem deutschen Exportweltmeister außerdem mit Importstrafzöllen, winkt Großbritannien und östlichen EU-Ländern mit bilateralen Freihandelsabkommen und zeigt offen Sympathien für den Zerfall der Union und des Euro.
Im Gegenzug – auch das ein Novum im deutsch-amerikanischen Verhältnis – hat die Kanzlerin dem neuen 45. Präsidenten zu seinem Wahlsieg einen konditionierten Glückwunsch überreicht und ihm eine gute Zusammenarbeit angeboten auf der Grundlage der gemeinsamen Werte und der Menschenrechte. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, muss unter Donald Trump leider besonders betont werden.
Denn dreierlei hat er in den vergangenen Wochen sehr deutlich gemacht: Deutschland, vor allem die starke deutsche Exportwirtschaft, ist ihm ein Dorn im Auge. Die EU hält er für einen historischen Irrtum. Wladimir Putin vertraut er nach seinen eigenen Worten ebenso wie der deutschen Kanzlerin. Und auch für die liberale Nachkriegsordnung, die Freiheit, Demokratie und Freihandel gewährleistet und sich auf gemeinsame Institutionen wie Nato, Weltbank, Weltwährungsfonds und die UN stützt, hat er nicht viel übrig.
Amerikas Autorität ist ausgehöhlt
Kurzum: Mit der Trump-Präsidentschaft geraten viele bisherigen Gewissheiten ins Wanken. Es ist bislang völlig unklar, welche Rolle die Vereinigten Staaten in der Welt spielen wollen. Ob sie an der gemeinsamen westlichen Wertegemeinschaft festhalten und sie weiter führen werden. Oder ob Trump Amerikas moralische Autorität mit Einreisesperren, Handelskriegen und den Flirts mit autoritären Herrschern weiter aushöhlen wird – eine Autorität, die unter dem völkerrechtswidrigen Irak-Krieg, unter Guantanamo Bay und den Drohnenangriffen sowieso schon sehr gelitten hat.
Kein Wunder also, dass Amerikas Ansehen hierzulande absolut in den Keller gerutscht ist: Sieben von zehn Deutschen (70 Prozent) finden, den USA könne man nicht mehr vertrauen, fast ebenso wenig wie Russland (74 Prozent). Laut dem Deutschlandtrend des Umfrageinstituts Dimap ist dieser Wert gegenüber den USA seit der Wahl Trumps um 37 Punkte gefallen.
Sind wir also noch Freunde? WIR werden Freunde bleiben. Das große "Wir" umschließt die Völker, die Beziehung zwischen Amerikanern und Deutschen, zwischen den Menschen dies- und jenseits des Atlantiks. Diese Bande bleiben zwar nicht unbeeinflusst von der Politik, aber sie sind stark genug, um selbst große Spannungen auszuhalten.
Überall bilden sich Anti-Trump-Koalitionen
Trotz allem darf man nicht vergessen: Die Mehrheit der Amerikaner hat Trump nicht gewählt, er erhielt fast drei Millionen Stimmen weniger als die ebenfalls unbeliebte Hillary Clinton. Außerdem: Zwischen New York und Los Angeles regt sich allerorten heftiger Widerstand, Millionen von Amerikanern haben in den vergangenen Wochen und Monaten gegen Trump und seine Politik protestiert, Gouverneure und Bürgermeister widersetzen sich und bilden Anti-Trump-Koalitionen, die Gerichte ziehen der Regierung immer wieder Grenzen, die Medien sind wachsam und stocken ihr Personal auf.
Aber auch das ist ein Fakt: Donald Trump wird einstweilen Präsident bleiben, aller Voraussicht nach vier, vielleicht sogar acht Jahre. Ein impeachment, ein Amtsenthebungsverfahren, gegen ihn ist höchst unwahrscheinlich.
Zum einen gibt es dafür bislang keinen hinreichenden rechtlichen Grund. Zum anderen ist bereits die Einleitung eines solchen Verfahrens juristisch und praktisch wahnsinnig kompliziert. Zwei Mal kam es in der amerikanischen Geschichte dazu, eine Verurteilung erfolgte jedoch nie. Außerdem braucht man dazu die Mitwirkung des Kongresses. Doch viele Republikaner, die in beiden Häusern die Mehrheit stellen, haben derzeit ein großes Interesse daran, dass Trump im Weißen Haus bleibt.
Denn mit seiner Hilfe wollen sie ihren eigenen Wunschzettel durchboxen: zum Beispiel einen höheren Verteidigungsetat; Steuerkürzungen; die Abschaffung von Obamacare, der besonders unter Republikanern verhassten Gesundheitsreform; die Förderung von Öl, Kohle und Gas; die teilweise Privatisierung der Sozialversicherung und so weiter.
Merkel soll Trump die Stirn bieten
Deshalb kommt es besonders darauf an, Trump zu kontrollieren und ihm dort, wo er die Gesetze, die gemeinsamen Werte und die internationale Ordnung zu brechen droht, ein deutliches Stoppschild aufzustellen. Daheim wie in der ganzen Welt.
Viele Amerikaner setzen nicht nur darauf, sondern bitten Deutschland, die Kanzlerin und andere geradezu inständig, Trump die Stirn zu bieten. So hat Merkel zum Beispiel nach Washington viele deutsche Unternehmer und Wirtschaftsfachleute mitgenommen, die dem Präsidenten und seinen Beratern klarmachen wollen, dass Strafzölle, Freihandelsbeschränkungen und eine geschwächte EU zwar zunächst uns, aber auf längere Sicht ebenso Amerika schaden werden.
Nachhaltiger Widerstand und ein selbstbewusster Auftritt der Deutschen und der Europäer sind absolut wichtig. Weil Donald Trump aller Voraussicht nach keine Eintagsfliege sein wird. |
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