| »Es wird in Vorgärten gepinkelt und in Briefkästen gekotzt!« Der Tourismus in Hamburg boomt: 13,3 Millionen Übernachtungen wurden im vergangenen Jahr gezählt. Doch während sich Hamburg seit Mittwoch auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin in bestem Licht präsentiert, sind die negativen Folgen des Tourismus in St. Pauli schon lange spürbar, findet Quartiersmanagerin Julia Staron vom BID (Business Improvement District) Reeperbahn. Sie fordert einen »nachhaltigen Tourismus«. Wieso?
Elbvertiefung: Frau Staron, seit einiger Zeit häufen sich die Beschwerden der Anwohner über Touristen auf St. Pauli. Wo liegt das Problem?
Staron: Tourismus und Party gehören zu St. Pauli, klar. Doch seit ein paar Jahren nehmen die üblen Begleiterscheinungen zu: Menschentrauben blockieren die Bürgersteige, es wird in Vorgärten gepinkelt und in Briefkästen gekotzt. Viele Touristen denken wohl, dass man sich auf St. Pauli besonders schlecht benehmen könne, einige Stadtführer feuern auch noch dazu an: »Hier könnt ihr so richtig die Sau rauslassen«, heißt es dann ... Dass hier aber ganz normal gewohnt und gearbeitet wird, wird ausgeblendet. Elbvertiefung: Apropos Stadtführer: Vor knapp zwei Jahren wurde auf St. Pauli schon einmal über einen »Kiezkodex« für diese Berufsgruppe diskutiert ...
Staron: Es gibt immer mehr Tourguides im Viertel: Vor zwei Jahren haben wir 183 Thementouren gezählt, wie viele es heute sind, können wir nur schätzen. Der Beruf ist nicht geschützt, einige Reiseführer arbeiten für Vereine, andere selbstständig. Viele Reiseführer laufen mit Megafonen durchs Viertel, versperren Zufahrtswege, bepöbeln einander auf offener Straße. Da mangelt es an Respekt! Der »Kiezkodex« soll eine Selbstverpflichtung mit festen Regeln sein: etwa dass man nicht mehr als 25 Personen herumführen, Megafone nur auf der Reeperbahn benutzen darf. Wer sich daran hält, bekommt ein Gütesiegel. Elbvertiefung: Gute Idee. Warum hat die Umsetzung bisher nicht geklappt?
Staron: Wir haben den Konkurrenzkampf der Touristenführer unterschätzt, es war schwierig, einen Nenner zu finden. Nun haben wir den Plan auf einer Reeperbahn-Runde vergangene Woche noch mal aufgegriffen und verhandeln gerade mit Gewerbetreibenden, Anwohnern und Tourismusvereinen. Elbvertiefung: Sie plädieren auch für einen »Nachhaltigen Tourismus« – wie soll der aussehen?
Staron: Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor, doch er sollte sich in die Stadtteilkultur integrieren lassen, das Leben der Anwohner nicht massiv stören. Da die Touristenzahlen in Zukunft weiter steigen werden, sollte die Stadt dies im Hinterkopf behalten und Beschwerden ernst nehmen. Elbvertiefung: Nun fahren auch wieder die berüchtigten Bierbikes durch St. Pauli, die 2015 eigentlich verboten wurden ... Staron: Ja, wir haben ein paar Mehrpersonenfahrräder gesichtet, die jetzt »Sportybikes« heißen, aber nur eine Abwandlung des alten Modells und somit auch verboten sind: Die haben auf St. Paulis Straßen nichts verloren.
Diskussion um Tempo-30-Zonen Lange war es kompliziert, eine Tempo-30-Zone zu beantragen – für diese »verkehrsbeschränkende Maßnahme« brauchte man eine handfeste Begründung. So musste bis Ende letzten Jahres nachgewiesen werden, dass an dieser Stelle eine besondere Gefahrenlage bestehe, also beispielsweise dass es dort besonders viele Unfälle gab; wurde jemand überfahren, war das so tragisch wie hilfreich. Eine Novellierung der Straßenverkehrsordnung erleichterte 2016 dann das Verfahren: Vor schützenswerten Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Krankenhäusern oder Seniorenheimen konnte eine 30er-Zone auch ohne große Nachweise beantragt werden. Damit Bürger diese Option noch leichter nutzen konnten, hat der ADFC im November vergangenen Jahres ein Online-Tool für das Beantragen einer Tempo-30-Zone eingerichtet, mit dem jeder überprüfen kann, ob auch die gesetzlichen Grenzwerte für Lärm- und Luftschadstoffe in seiner Straße überschritten werden, also »verkehrsbeschränkende Maßnahmen zum Gesundheitsschutz« nötig wären. »Wir schätzen, dass es in ganz Hamburg bis zu 200 Anträge infolge unserer Online-Hilfe gibt«, sagt Dirk Lau, Sprecher des ADFC. Heute könnte die Diskussion erneut entfacht werden, da kommt das Thema vor den Bundesrat, denn Bedenkenträger im Verkehrs- und Innenausschuss des Bundesrates wollen die schöne neue Regelung wieder aufweichen zu einer »Kann-Vorschrift«, auch an mehrspurigen Straßen. Es muss sich um kinder- oder zumindest verantwortungslose Bedenkenträger handeln, denn Tempo 30 ist genau dort sinnvoll, wo Kinder eine Straße überqueren müssen. »Wir fordern, dass Tempo 30 innerorts zur Regel wird«, sagt Lau, »und die Anordnung von Tempo 50 begründet werden muss.« Das wäre die bessere Regelung. |
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