| Obdachlose werden zwangsgeweckt Der Bezirk Hamburg Mitte ergreift radikale Maßnahmen gegen Obdachlose: Ab Ende März sollen etwa 20 Menschen, die mit ihren Schlafsäcken in Hauseingängen in der Innenstadt übernachten, früh morgens von der Polizei geweckt werden, um die Plätze zu räumen – um 6.30 Uhr. »Das scheint mir sehr früh, da deutet sich eine härtere Gangart an«, sagte uns Eva Lindemann von der gemeinnützigen Stiftung Hoffnungsorte Hamburg, die sich für Obdachlose einsetzt. Die Maßnahme richte sich nicht generell gegen Obdachlose, sagte die Sprecherin des Bezirksamtes Mitte, Sorina Weiland. »Wir haben im Bereich Mönckeberg massive Probleme mit einer bestimmten Gruppe Obdachloser – das sind nach unseren Erkenntnissen Familienverbände aus Rumänien und Bulgarien.« Die Mitarbeiter-Eingänge und Notausgänge von zwei Kaufhäusern würden als Bedürfnisanstalt genutzt. »Es ist unzumutbar«, sagte Weiland der dpa. Nun solle dort morgens gereinigt werden. »Es muss gewährleistet sein, dass Mitarbeiter und Passanten ungehindert diese öffentlichen Flächen benutzen können und nicht erst über Kotberge steigen müssen.« Laut Bezirksamt handele es sich bei den Betreffenden um EU-Bürger, die in ihrer Heimat Wohnungen und Häuser hätten und deshalb nicht am Winternotprogramm teilnehmen könnten. Fraglich ist nur, ob sich so das Problem mit der Verdrängungsmaßnahme lösen lässt, »wahrscheinlich weichen die Menschen einfach auf andere Straßen und Bezirke aus«, sagt Lindemann. Die richtige Lösung wäre eher, »dafür zu sorgen, dass es den Menschen in ihren Herkunftsländern besser geht«.
»Wenn die Resozialisierung scheitert, leben wir alle unsicherer« Der Vorsitzende des Bundes der Justizvollzugsbeamten, René Müller, warnt: Viele Gefangene fänden sich nach der Haft nicht mehr in der Gesellschaft zurecht, Schuld sei der Personalmangel in den Haftanstalten. Warum das ein Problem für die ganze Gesellschaft ist, erklärt Müller im Interview. Elbvertiefung: Herr Müller, wofür steht der Begriff Resozialisierung? René Müller: Viele Insassen müssen erst wieder lernen, sich in ein soziales Gefüge einzufügen, alltägliche Aufgaben zu bewältigen. In Einzelgesprächen arbeiten Psychologen und Justizvollzugsbeamte mit ihnen ihre Straftaten auf, dazu kommen Anti-Aggressionstrainings, Sport, Ausbildungsprogramme, regelmäßige Ausgänge. Das Ziel dieser Betreuung ist, die Gefangenen auf ein straffreies Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Elbvertiefung: Und warum funktioniert das nicht? Müller: Weil die Resozialisierung eine der Kernaufgaben der Justizvollzugsbeamten ist, aber in allen Bundesländern Personal fehlt. Wenn ein Beamter für 70 bis 100 Gefangene zuständig ist, er mehrere Stationen allein versorgen muss, und das kommt häufig vor, dann kann er gerade noch so Sicherungsaufgaben erledigen. Für vertrauliche Gespräche bleibt keine Zeit, oft muss der Sport oder die Ausbildung in den Betrieben ausfallen. Die Insassen spüren das; das Konfliktpotenzial steigt. Und weil die Häftlinge schlechter auf die Zeit in Freiheit vorbereitet werden, steigt das Risiko, dass sie draußen wieder straffällig werden. Elbvertiefung: War das denn früher mal anders? Müller: Ja, vor der Föderalismusreform im Jahr 2009 gab es mehr Personal, in dieser Hinsicht war die Lage etwas entspannter. Doch seit die Länder den Strafvollzug selbst verwalten, gilt überall das Spardiktat. Allein in Hamburg fehlen 120 Beamte in den drei JVAs, der G20-Gipfel im Juli wird sicher zur Mammutaufgabe für die Hamburger Justiz. Elbvertiefung: Was kann man da tun? Müller: Die Justizbehörden bilden ihr Personal zwei Jahre lang selbst aus – und sollten dies auch regelmäßig tun! In Hamburg entschied der Justizsenator 2009, die Ausbildung auszusetzen, erst 2013 kam ein neuer Lehrgang, der jüngste startete im Dezember. Diese Abstände sind zu groß und werden dem Bedarf in den Gefängnissen nicht gerecht. Elbvertiefung: Wenn Straftäter sich nicht mehr in die Gesellschaft einfinden, welche Probleme kommen dann auf uns zu? Müller: Ganz pragmatisch gesehen: Wiederholungstäter verursachen hohe Folgekosten, der Strafvollzug kostet den Staat jedes Jahr Milliarden. Insofern ist es absurd, am Gefängnispersonal zu sparen. Und wenn wir es nicht schaffen, Gewalttäter zu resozialisieren, dann leben wir alle unsicherer. Im vergangenen Herbst wandte sich ein Vollzugsbeamter der JVA Fuhlsbüttel an die ZEIT:Hamburg, auch er beklagte den Personalmangel in der Einrichtung, berichtete von Chaos und Gewalt. Den Text von Autor Sebastian Kempkens, der damals für ein großes Echo gesorgt hat, können sie hier nachlesen. |
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