Streit um den Bundesetat | Angela Dorn startet Hessens Aufholjagd | Schlagabtausch an der ETH Zürich | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: FH-Promotion in NRW

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
im Streit um die Forschungsmillionen des Bundes melden sich die vier großen Wissenschaftsorganisationen zu Wort. In Hessen startet Angela Dorn eine Aufholjagd. Die ETH Zürich versinkt in der Mobbing-Affäre (Das ist wichtig). Und in Nordrhein-Westfalen tobt der Kampf um die FH-Promotion. Jan-Martin Wiarda analysiert die Lage im Standpunkt, und in der Fußnote geht es um den Wow-Effekt.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Bundesetat: Wissenschaft erhebt die Stimme
Wann gab es das zuletzt? In einem öffentlichen Brandbrief haben die Präsidenten der vier großen außeruniversitären Wissenschaftsorganisationen die geplante Kürzung des BMBF-Etats um eine halbe Milliarde Euro im Jahr 2020 als „fatales Signal“ kritisiert. Eine „solch massive Reduzierung der Finanzmittel gefährdet den Wissenschafts- wie Wirtschaftsstandort Deutschland“, schreiben Matthias Kleiner (Leibniz-Gemeinschaft), Reimund Neugebauer (Fraunhofer Gesellschaft), Martin Stratmann (Max-Planck-Gesellschaft) und Otmar Wiestler (Helmholtz-Gemeinschaft) in der gestrigen Print-Ausgabe der FAZ. Damit erhöhen die vier den Druck auf die Bundesregierung, den Etatentwurf von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nachzubessern. Seit einer Woche prasselt Kritik auf Scholz ein, sie kommt nicht nur aus der Wissenschaft (Tagesschau). Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) kündigte selbst schon Gegenwehr an, sie möchte die Kürzung abwenden (Süddeutsche Zeitung, BR, Deutschlandfunk). Seit zehn Jahren steigt der BMBF-Etat, von 2013 an konnte das Ressort allein ein Plus von fünf Milliarden verbuchen. Deutschland wurde in der Wissenschaftsfinanzierung so zum Musterschüler in Europa, wie eine EUA-Studie zeigt (PDF). Bei der Verteidigung der aktuell 18,3 Etat-Milliarden kann Karliczek auf die Wissenschaft zählen. „Wir unterstützen nach Kräften die Bemühungen der Bundesforschungsministerin und der Forschungspolitiker, beim Haushalt die richtigen Prioritäten zu setzen“, erklären die außeruniversitären Forschungsorganisationen. Die parlamentarische Etatdebatte beginnt im Juni, im Herbst soll der Bundeshaushalt 2020 verabschiedet sein.
  
 
 
Chancengleichheit, 200 neue Professoren, bessere Betreuungsquoten
Sie ist noch keine 100 Tage im Amt, drückt aber bereits mächtig aufs Gas: Angela Dorn (Grüne), seit Mitte Januar Wissenschaftsministerin in Hessen, möchte den Frauenanteil in der Professorenschaft von derzeit 25 Prozent auf 50 Prozent verdoppeln; den Hochschulen verspricht sie eine höhere Grundfinanzierung (ab 2021 um jährlich 4 Prozent) und 200 neue Professorenstellen; den Fachhochschulen stellt sie den heiß ersehnten Mittelbau für die angewandte Forschung in Aussicht (Frankfurter Rundschau, Hessenschau, n-tv). Damit läutet die Nachfolgerin von Boris Rhein (CDU) die Aufholjagd ein. Bei den Betreuungsrelationen bildet Hessen (1:72) im bundesweiten Ländervergleich zusammen mit Nordrhein-Westfalen (1:91) das Schlusslicht (Forschung und Lehre).
  
 
 
Schlagabtausch an der ETH Zürich
Kurz vor der endgültigen Trennung der ETH Zürich von der weltweit renommierten Astrophysikerin Marcella Carollo hat ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen der unter Mobbing-Verdacht stehenden Spitzenforscherin und der Schweizer Eliteuniversität eingesetzt. Carollo gab der Weltwoche vor wenigen Tagen ein Interview, und kurz darauf ließ sich Carollos Kollegin, die ETH-Physikerin Ursula Keller, vom Online-Magazin Republik interviewen. In den Gesprächen erheben beide schwere Vorwürfe. Die Medien-Berichterstattung sei tendenziös gewesen, und die ETH habe sich unethisch verhalten. Die ETH weist die Vorwürfe zurück und kündigt in ihrer Stellungnahme an, „den gesamten Untersuchungsbericht nach Abschluss des Entlassungsverfahrens“ zu publizieren. Zur Erinnerung: Die NZZ am Sonntag hatte 2017 als erstes über Mobbingvorwürfe von Doktoranden gegenüber Carollo berichtet. Die Affäre machte weltweit Schlagzeilen (Science).
  
   
   
   
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Susanne Bowen wird Staatssekretärin in Schwerin
Die ehemalige Kanzlerin der Hochschule Stralsund, Susanne Bowen, wird Bildungsstaatssekretärin in Mecklenburg-Vorpommern. Sie übernimmt die Aufgabe im Sommer von Sebastian Schröder, der aus familiären Gründen unbezahlten Urlaub nimmt. "Ich finde es gut, dass es in diesem Fall einmal der Mann ist, der sich für einen bestimmten Zeitraum ganz der Familie widmen will", kommentierte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) die Entscheidung.
 
Hameln und Zwickau: Zwei Männerriegen in der Hochschulleitung
Die Hochschule Weserbergland in Hameln und die Hochschule Zwickau haben fast zeitgleich neue Vizepräsidenten und Prorektoren gewählt. Wolfgang Golubski und Torsten Merkel komplettieren in Zwickau das Führungsteam um Rektor Stephan Kassel und Kanzler Ralf Steiner. An der Hochschule Weserbergland rücken Karsten Lillje und Meik Friedrich ins Präsidium auf, das Hans Ludwig Meyer als Präsident führt.
 
  
 
Frankreich wirbt drei deutsche Spitzenforscher ab
Im Wettbewerb um kluge Wissenschaftler muss Deutschland einen Dämpfer hinnehmen und drei Forscher nach Frankreich ziehen lassen. Das von Staatspräsident Emmanuel Macron initiierte Spitzenforschungsprogramm „Make Your Planet Great Again“ bietet Wissenschaftlern zwischen einer Million und 1,5 Millionen Euro. Die Summe erhalten aus Deutschland Ludmila Cojocaru (Chemikerin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Carlo Jaeger (Volkswirt, emeritierter Professor der Universität Potsdam) und Rainer Kiko (Meeresbiologe und Datenwissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel). Sie wechseln an die Universität Bordeaux, an das CNRS bezeihungsweise an die Universität Sorbonne (Kooperation International).
  
 
Job: Berliner Universität der Künste sucht Präsident/in
Nach mehr als einem Jahrzehnt an der Spitze der Berliner Universität der Künste geht Martin Rennert in den Ruhestand. Die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin hat begonnen. Die Bewerbungsfrist endet Mitte April, im Januar 2020 soll der Wechsel vollzogen sein. Mehr zur Ausschreibung im Stellenmarkt der ZEIT.
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Jan-Martin Wiarda
   
 
   
Leute, es ist nur ein Promotionskolleg...
… will man den Unirektoren in Nordrhein-Westfalen zurufen. Doch die befürchten offenbar Schlimmstes. Die schwarz-gelbe Landesregierung will das Hochschulgesetz grundsätzlich reformieren, und zu den geplanten Änderungen gehört, das bestehende „Graduierteninstitut“ NRW umzuwandeln. Am Graduierteninstitut können Fachhochschulabsolventen promovieren, bislang kooperativ betreut von FH- und Uniprofessoren. Als „Promotionskolleg für angewandte Forschung der Fachhochschulen“ mit eigenem Promotionsrecht würde es die Unibeteiligung nicht mehr brauchen, die beteiligten FHs könnten über das Promotionskolleg allein den Doktorgrad verleihen.
Und das regt die Universitäten so auf, dass sie publizistisch aus allen Rohren feuern. Seit vergangenem Donnerstag, dem Tag einer Landtags-Anhörung, sind allein in der FAZ drei alarmistische Beiträge erschienen, zwei direkt aus der Feder von Uniprofessoren. Man dürfe „Den Doktor nicht mit dem Bade ausschütten“, fordert der Prorektor der Universität Köln, Christian von Coelln, der zugleich Landesvorsitzender der Uniprofessoren-Gewerkschaft DHV ist. „Kontraproduktiv und verhängnisvoll“ seien die Pläne, mahnt der Physikprofessor Jürgen Jahns von der Fernuni Hagen. Im dritten Artikel wird der Rektor der Universität Duisburg-Essen, Ulrich Radtke, zitiert, der vor einer „Low-Quality“-Promotion an den Fachhochschulen warnt.
Publizistisch deutlich weniger Raum erhielten in den vergangenen Tagen die Fachhochschulen, um ihre Argumente darzulegen. Dabei könnte eine gewisse Versachlichung der Debatte nur guttun. Drei Punkte, die mir wichtig erscheinen.
Erstens: Ja, das Promotionskolleg nach den NRW-Plänen würde das Promotionsrecht bedeuten. Aber (anders als in Hessen) nicht für einzelne Fachhochschulen, sondern für eine gemeinsame Einrichtung, die – dafür werden die Unis und der Wissenschaftsrat schon sorgen – strengste Auflagen erhalten wird. Während jeder einzelne Uni-Fachbereich, auch der forschungs- und personalschwächste, traditionell ein eigenes Promotionsrecht hat.
Zweitens: Eine „Desintegration der Hochschulformen“, wie Radtke sie befürchtet, droht genau nicht. Die FH-Promotionen werden anders ausgerichtet sein, wie die Forschung an Fachhochschulen sich von der Uni unterscheidet: schon von den Disziplinen her, vor allem aber auch vom Grad ihrer Angewandtheit. Gut geregelt könnten FH-Promotionen die unterschiedlichen Hochschulprofile sogar eher noch stärken.
Drittens: Die – ohne Zweifel – nötigen strengen Auflagen für FH-Promotionen werden dafür sorgen, dass deutlich mehr Forschungsprofessuren mit geringerem Lehrdeputat (Normalfall: 18 Semesterwochenstunden versus neun an Unis) entstehen werden. Mit der Änderung des Promotionsrechts geht die NRW-Landesregierung also gewollt oder ungewollt eine gravierende finanzielle Verpflichtung ein.
Ist das womöglich der wahre Grund für die Empörung der Unis? Haben Sie Angst vor einer Verschiebung der Hochschulbudgets zu ihren Ungunsten? Wenn ja, dann wäre es angemessener, genau diese Debatte zu führen. Ein pauschales Schlechtreden der Fachhochschul-Forschung ist das eigentlich Kontraproduktive und Verhängnisvolle. 
   
 
   
 
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Weltmeister im Ausgrenzen Seit zehn Jahren versucht Deutschland weitgehend erfolglos, Förderschüler in den Regelunterricht zu integrieren. Dabei ist längst klar, wie es besser gehen könnte  

Was halten Sie von Inklusion? Eine aktuelle Umfrage unter Eltern Geht alles anders Henri wollte mit Down-Syndrom aufs Gymnasium. Das löste eine bundesweite Debatte aus. Was wurde aus ihm? Ich werde abgeworben Karriere oder Familie? In der Rushhour des Lebens wird es ernst. Rudi Novotny kriegt das zu spüren

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Wow-Faktor
Schon mal in Heilbronn gewesen? Da ist neuerdings der Superlativ zu Hause. Erst setzte die Dieter Schwarz Stiftung mit ihrem 20-Stiftungsprofessuren-auf-einen-Streich ein bundesweit einzigartiges wissenschaftspolitisches Zeichen. Jetzt trumpft die Stiftung erneut auf und macht Deutschlands größtes Science Center möglich, die Experimenta. Premium-Partner sind die Discounter Lidl und Kaufland, die Adolf Würth GmbH & Co. KG gehört zu den weiteren Sponsoren. Eine „einzigartige Wissens- und Erlebniswelt mit rund 275 interaktiven Exponaten, vier Kreativstudios und neun Laboren sowie einer Sternwarte und einem außergewöhnlichen Science Dome mit spektakulären Wissenschafts-Shows“ wird Experimenta-Besuchern im Promo-Text versprochen. Die privat finanzierte Disney-World für die Wissenschaft öffnet am Sonntag. Die öffentlich-rechtliche Antwort darauf gibt es erst ein halbes Jahr später in Berlin zu sehen, das Futurium öffnet im September. 
Christine Prußky
   
 
   
 
 
   
Gestern die erste Ameisenstraße der Saison gesichtet!

Ihr CHANCEN-Team


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