Woher kommt nur diese Angst vor China? Als sei die Volksrepublik in ihrem Wachstumswahn drauf und dran, die Volkswirtschaften des Westens einfach plattzumachen, so wird vor der neuen Gefahr aus Fernost gewarnt. Der deutsche Wirtschaftsminister begründet gar seine "Nationale Industriestrategie 2030" mit dem chinesischen Streben nach Dominanz in strategisch entscheidenden Märkten. Dagegen gelte es, deutsche "Champions" wie Siemens, BASF oder ThyssenKrupp zu schützen – notfalls durch eine Beteiligung des Staates.
Donald Trump lässt grüßen, auch für ihn geht die größte Gefahr von China aus. Er hat einen regelrechten Handelskrieg gegen Peking entfacht. Was ihn von Peter Altmaier unterscheidet? Der US-Präsident hat ein feines Gespür für die gegenwärtige Schwächephase des Rivalen. Er treibt die chinesische Führung in den Gesprächen über Handelsbilanzen, Zolltarife und Technologiediebstahl regelrecht vor sich her. Und China gibt nach, auf ganzer Linie.
Der Grund dafür ist einfach. Nach 40 Jahren Reformpolitik flacht die Wachstumskurve in China ab. Die 6,6 Prozent Zuwachs, die die Regierung in Peking für das vergangene Jahr gemeldet hat, sind – wenn man der Statistik denn überhaupt trauen darf – der niedrigste seit Jahrzehnten. Und für das laufende Jahr erwartet China noch weniger Wachstum, 6 bis 6,5 Prozent. Zahlen, die Chinas Führung nervös machen und Regierungschef Li Keqiang bei seinem Rechenschaftsbericht vor dem Nationalen Volkskongress vergangene Woche regelrecht ins Schwitzen brachten. "Der Abwärtsdruck auf die chinesische Wirtschaft nimmt weiter zu", sagte Premier Li vor den Delegierten.
Die Führer der KP wissen genau, dass es in ihrem Land derzeit nicht zum Besten steht. Die Expansionspolitik der vergangenen Jahre ist mit einer gigantischen Verschuldung von Regierung, Unternehmen, Banken und privaten Haushalten erkauft worden. Die Industrie kämpft mit Überkapazitäten. Trump nutzt die Probleme brutal aus, und der chinesischen Führung bleibt nichts anderes übrig, als klein beizugeben.
Der Volkskongress, das chinesische Akklamationsparlament, wird noch in dieser Woche ein Investitionsschutzgesetz verabschieden. Der Zwang, Joint Ventures mit chinesischen Firmen einzugehen, soll wegfallen; ausländische Unternehmen sollen auch nicht länger zum Technologietransfer an ihre Partner gezwungen werden können.
Es sind bei Weitem nicht nur die Amerikaner, die Chinas eigensüchtigen Umgang mit ausländischen Investoren seit Jahren kritisieren. Die Europäer teilen die Vorwürfe. Anfang des Jahres meldete sich der BDI mit der Forderung zu Wort, Bundesregierung und die EU-Kommission sollten deutsche und europäische Unternehmen im Wettbewerb mit China stärker unterstützen.
Die Stimmung in der Wirtschaft ist umgeschlagen. Bisher lebte man gut mit dem autoritären System, fand eigentlich alles prima, vor allem die schnellen Entscheidungen: In Deutschland wird nur geredet, hieß es, in China wird gehandelt! Nun spricht man offen auch über die Schattenseiten des Staatskapitalismus: die Subventionen für die Staatskonzerne, die Dumpingpreise auf dem Weltmarkt, den Ideenklau, das Dreinreden der Partei – und die Familie kann nicht frei im Netz surfen. Alles nicht so prickelnd. BDI-Chef Dieter Kempf meinte bei der Vorlage des Grundsatzpapiers zu China im Januar denn auch, niemand dürfe "die Herausforderungen, vor die China die EU und Deutschland stellt, einfach ausblenden".
Der BDI-Chef wurde grundsätzlich: "Die Volksrepublik etabliert ihr eigenes politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Modell." China sei in einen systemischen Wettbewerb zu liberalen marktwirtschaftlichen Staaten wie Deutschland getreten. Darauf müsse die Politik eine Antwort finden.
Die Frage ist: Wie fällt diese Antwort aus? Ängstlich oder gar hysterisch? Sind wir der chinesischen wirtschaftlichen Aggression wirklich so hilflos ausgesetzt, dass wir unsere Firmen, unsere "nationalen Champions", mit Staatsbeteiligung schützen müssen? Greift China nach der Weltmacht?
Ganz so schlimm ist es nicht. Nachdem die Bundesregierung den Kauf einiger strategisch wichtiger Unternehmen verboten hat, ist die Zahl der Übernahmen deutscher Firmen durch chinesische Käufer im vergangenen Jahr sogleich um 35 Prozent zurückgegangen – von 54 auf 35 Übernahmen. Nach Angaben des BDI belaufen sich die deutschen Direktinvestitionen in China auf 76 Milliarden; die chinesischen Investitionen hierzulande schätzt der BDI auf 13 Milliarden. Eine Bilanz, die auf keinen baldigen Ausverkauf deutscher Interessen hindeutet.
Was kein Grund sein sollte, im Umgang mit China und seinen dem Staat eng verbundenen Firmen naiv zu sein. Wenn sich also Huawei hierzulande am Bau des 5G-Netzes beteiligen will, dann muss sich der Technologiekonzern aus Shenzhen peinlichste Fragen und Überprüfungen gefallen lassen. In den USA bekommt Huawei wegen des Vorwurfs der Spionage keine öffentlichen Aufträge mehr. Und auch Australien und Neuseeland wollen ihr 5G-Netz ohne Huawei aufbauen.
Der künftige Mobilfunkstandard ist zu wichtig, argumentieren diese Länder, um ihn einer Firma anzuvertrauen, die möglicherweise für die eigene Regierung spioniert. Diesen Verdacht muss Huawei gegenüber der Bundesregierung glaubhaft ausräumen. Dann wird das Unternehmen in Deutschland bei 5G dabei sein können. Sonst nicht. Da bedarf es keiner Belehrungen und Warnungen durch den amerikanischen Botschafter in Berlin.
Es war immer klar, dass auch China eines Tages an die Grenzen des Wachstums gelangen würde. Klar war auch, dass dies der Test für die Funktionsfähigkeit des eigenen politischen Modells sein würde. Die Nervosität in Peking zeigt, dass sich die KP der Schwächen dieses Modells bewusst ist. Das Regime reagiert mit zunehmender Repression und Überwachung im Inneren und einem überzogen selbstbewussten Auftreten nach außen.
Dem gilt es, ruhig und besonnen zu begegnen. Der Westen muss den Wettbewerb mit dem autoritären Staatskapitalismus nicht fürchten. China ist eine Herausforderung für uns, eine Bedrohung ist es nicht.