Freitext: Katja Oskamp: "Männa! Die können ja nich zujeben, wenn wat nich jeht"

 
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08.03.2019
 
 
 
 
Freitext


 
"Männa! Die können ja nich zujeben, wenn wat nich jeht"
 
Unsere Autorin arbeitet als Fußpflegerin in Berlin-Marzahn. Heute kommt Frau Janusch, die 15 Jahre lang ihren kranken Peter betreut hat, und erzählt ihre Geschichte.
VON KATJA OSKAMP

 
Ende der Siebziger legten sich die Januschs einen Garten in Pankow zu. © Lena Mucha für ZEIT ONLINE
 

Dieser Artikel ist erschienen auf unserer Schriftstellerplattform "Freitext". Dort schreibt Katja Oskamp ihre Kolumne "Fußpflege in Marzahn".


Meine Marzahner Fußpflegekundschaft besteht größtenteils aus Rentnern. Wäre ich Soziologin, würde ich ihre Hobbys in drei Kategorien unterteilen: Hund, Garten, Kurzreise. In Kombination treten gehäuft Hund plus Garten und Garten plus Kurzreise auf. Kurzreise plus Hund kommt praktisch nie vor. Die Hobbys sind Übernahmen aus einer Zeit, da die Rentner jung waren, arbeiteten und Kinder aufzogen. Im Rentenalter werden die Hobbys weiter gepflegt, sogar intensiviert, doch irgendwann war's der letzte Hund, die letzte Kurzreise, der letzte Sommer im Garten.
 
Frau Janusch gehört in die Kombination Garten plus Kurzreise. Als ich sie kennenlernte, trug Frau Janusch einen Kurzhaarschnitt in Pink und eine blaue Lederjacke. Sie fiel auf mit ihrem extravaganten Stil, schlenderte aufs Studio zu, hob den Kopf, um einer Elster im Geäst eines Baumes zuzuschauen oder die Nase in die Sonne zu halten. Hatte sie vor dem Fußpflegetermin im Einkaufscenter auf die Schnelle irgendeinen Fummel oder ein paar teure Lederschuhe erstanden, führte sie mir die neuen Stücke glücklich vor. Wir flachsten herum, weil Frau Januschs pinkfarbene Haare so hervorragend zum pinkfarbenen Thron, dem Fußpflegestuhl, passten.
 
Während ich vor ihr kauerte und ihr die Füße wusch, erzählte sie von ihrem Mann, der Tag und Nacht am Sauerstoffgerät hing und die Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Ich guckte betreten, doch bevor ich etwas sagen konnte, machte Frau Janusch jene Ansage, an die ich mich fortan hielt: "Keen Mitleid!"
 
Frau Janusch ist Jahrgang 1942 und ein Kind des Prenzlauer Bergs. Zuerst wohnte sie mit ihren Eltern in der Pasteurstraße, dann in der Käthe-Niederkirchner-Straße, die damals noch Lippehner Straße hieß. Nach der Schule absolvierte Jutta Janusch eine Schneiderinnenlehre und spezialisierte sich auf Leder. Sie arbeitete bald bei VEB Perfekt in der Heinrich-Roller-Straße, einem Betrieb, der Handtaschen, Geldbörsen, Lederbekleidung produzierte. Ihren Mann Peter Janusch, Jahrgang 1943, lernte sie auf der Tanzfläche kennen. Er hatte seine Lehre in der Möbeltischlerei VEB Aufstieg in Friedrichshain gerade hinter sich und diente anderthalb Jahre bei der Armee. An den Wochenenden scharwenzelten Jutta und Peter durch die Berliner Tanzsäle, Behrens Casino, Clärchens Ballhaus, Bar Lolott. "Eene Pulle Tokajer ham wa uns jeleistet und n janzen Abend dran rumjenippelt." Ihre erste gemeinsame Wohnung hatten sie in der Gaudystraße, "Een Zimma. Erdjeschoss. Da liefen de Ameisen uffn Fenstabrett rum." 
 
Mit dreiundzwanzig wurde Jutta Janusch schwanger, bekam 1965 eine Tochter. 1967 heirateten sie und Peter und zogen in die Immanuelkirchstraße, zwei Zimmer, Seitenflügel, vierter Stock, Ofenheizung, Außenklo. Auf dem Hochzeitsfoto, das sie mir zeigte, trägt sie spitze Schuhe mit Pfennigabsätzen. Das Hochzeitskleid reicht bis knapp unter die Knie, die Taille ist gertenschlank. Eine schöne Braut. Neben ihr Peter mit Schnurrbart, im schmal geschnittenen dunklen Anzug mit Krawatte, geschmackvoll, lässig. Ein Hauch Westen.
 
Peter Janusch legte die Meisterprüfung ab, kündigte beim VEB Aufstieg und eröffnete seine eigene Möbeltischlerei in der Nähe der Prenzlauer Promenade. Zwei Stockwerke, zwölf Angestellte. Die Möbeltischlerei Peter Janusch stellte Inneneinrichtungen für Gaststätten her, restaurierte Möbel, und aus Spanplatten fertigte sie in Serie das Gehäuse für einen Radiorecorder vom VEB RFT Sternradio Berlin. Die Auftragslage war gut. In Stoßzeiten half Frau Janusch nach Feierabend in der Tischlerei ihres Mannes. Aber sie blieb immer Angestellte bei VEB Perfekt, unabhängig vom Mann, was aus heutiger Sicht ein Segen ist wegen der Versicherung und der Rente.
 
Den Garten in Pankow-Heinersdorf legten sie sich Ende der Siebziger zu. Mit festem Steinhaus, um drei Ecken übernommen von einem Verwandten, der 1961 in den Westen gegangen war. In jenen Jahren fing Peter Janusch auch an, sich für Malerei zu interessieren und besuchte Abendkurse an einer Kunstschule. Er war ein geschickter und erfinderischer Handwerker. Er veredelte das Haus und den Garten genauso wie die alten Möbelstücke, die die Kunden ihm in der Tischlerei anvertrauten. Das Restaurieren war seine Leidenschaft. Bei allem half das berühmte Vitamin B, B für Beziehungen. Die Anmeldung für den Wartburg kauften sie einem Bekannten ab. Mit dem ersten eigenen Auto fuhren sie samt Anhänger nach Pasewalk und besorgten die begehrte Mangelware: Holzbalken für die Tischlerei.


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