Türkische Gastfreundschaft sah mal anders aus. Ich erinnere mich an Zeiten, da wurde die Pressekarte für den ausländischen Korrespondenten bei einem Tee und einem netten Gespräch pünktlich zum Jahresanfang serviert. Heute bekommen manche Türkeikorrespondenten monatelang keine Antwort auf ihren Akkreditierungsantrag. Am Ende wird so mancher Antrag abgelehnt. So widerfuhr es jetzt Thomas Seibert vom Tagesspiegel und Halil Gülbeyaz, der für den NDR arbeitet. Oder der Antrag wurde nach Ablehnung und Aufregung plötzlich doch bewilligt, wie bei Jörg Brase vom ZDF. Was geht da vor in der Türkei?
Die bekannte Antwort ist: Hier handelt der autoritäre Herrscher, der die freie Presse unterdrückt, das freie Wort nicht will und Korrespondenten ausweist. Das ist sicher richtig, aber nicht die ganze Erklärung. Das Bild von der gut geölten Unterdrückungsmaschine trügt. Das Hin und Her in der Korrespondentenaffäre sieht vielmehr nach einer Art von Staatsversagen aus.
Das hat zunächst mit dem Mann zu tun, der den Staat erobert hat: Recep Tayyip Erdoğan. Nach seinem Willen verloren in den vergangenen Jahren Hunderttausende von Beamten, Offizieren, Juristen und Polizisten ihre Arbeit, ganze Behörden und Brigaden wurden ausgewechselt. Heute sind viele Institutionen neu besetzt, zerrissen, teilweise nicht funktionsfähig. Die tief greifende Umwälzung des Apparats hat neue Menschen in ungeahnte Machtpositionen gebracht, viele davon nicht ihrer Eignung, sondern ihrer Loyalität wegen. Mit drei Folgen.
Viele haben Angst, zu entscheiden. Es ist schwer, vorauszusagen, was der Alles-Entscheider im Präsidentenpalast am Ende wünscht oder nicht. Und bevor sich Erdoğan entschieden hat, bleibt der Bürokrat lieber in Deckung. So erklärt sich, warum sich so viele Gerichtsprozesse ewig hinziehen, warum Untersuchungshaft eine Ewigkeit dauern kann, warum Lizenzen, Genehmigungen und Akkreditierungen liegen bleiben.
Einzelpersonen, die blockieren
Das mussten in den vergangenen Jahren viele türkische Journalistinnen und Journalisten erfahren, die unendlich in Untersuchungshaft saßen. Die Brüder Ahmet und Mehmet Altan zum Beispiel, ehemals Chefredakteure und Fernsehkommentatoren, die sehr lange auf ihren Prozess warteten und dann lebenslänglich verurteilt wurden. Oder die Investigativjournalistin Pelin Ünker, die über den Privatbesitz der Familien von AKP-Politikern geschrieben hatte und dafür ins Gefängnis musste.
Weil die Behörden und Institutionen nicht mehr funktionieren, entscheiden nur noch sehr wenige: jene, die den Mut oder die Macht dazu haben. Im Fall der Akkreditierungen von ausländischen Journalisten deutet einiges darauf hin, dass wir es mit einem Machtkampf zu tun haben. Die deutschen Journalisten sind nämlich nicht die einzigen, die auf ihre Akkreditierung warten. Auch englische, französische und andere Korrespondenten sind betroffen. In der Regierung gibt es einflussreiche Leute, die das Hickhack um die Reporter gerne beenden würden. Aber in anderen Behörden sieht man das als Gelegenheit, die eigene Macht und Zuständigkeit auszudehnen. Da können dann Einzelpersonen auf eine Weise blockieren, dass es dem Staat als Ganzes schadet.
Wiederholt ist es in den vergangenen Jahren auch zu persönlichen Verfolgungsjagden gekommen. So im Fall von Osman Kavala, dem türkischen Kulturunternehmer und Mäzen, der jetzt schon 500 Tage im Gefängnis sitzt. Zu Beginn sah es alles wie ein Irrtum aus, als er im Oktober 2017 am Flughafen von Istanbul festgenommen wurde. Dann schien es so, als habe sich ein Ermittler an ihm festgebissen. Schließlich hat sich die oberste juristische Instanz, in der Türkei ist das faktisch der Staatspräsident, eingeschaltet. Die Dysfunktion der türkischen Justiz besteht unter anderem darin, dass sein Wort schon das Urteil ist. Erdoğan bezeichnete Osman Kavala als den "türkischen Soros", verglich ihn also mit dem Investor und Bürgerrechtssponsor George Soros, der von Viktor Orbán und Wladimir Putin verfolgt wird. Der Fall Kavala war kein Justizfall mehr, sondern persönlich geworden.
So verändert sich die Türkei, wo früher viele Journalisten, Schriftstellerinnen und Forscher frei über das Land und den ganzen Nahen Osten schrieben. Künftig könnte die Türkei eher das Problem ihrer Nachbarstaaten bekommen. Journalisten schreiben und berichten viel über Saudi-Arabien, Iran oder Aserbaidschan; sie leben und arbeiten aber ganz woanders. Wer richtig schlechte Presse haben will, wählt diese Variante.