10 nach 8: Annett Gröschner über den Frauentag

 
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07.03.2019
 
 
 
 
10 nach 8


Na? Schon Angst?
 
Am 8. März feiert Berlin den Frauentag. Den gab es einst auch in der DDR. Mit der Wiedervereinigung wurden jedoch neben der Folklore auch einige Frauenrechte abgeschafft.
VON ANNETT GRÖSCHNER

In Sydney nahmen im vergangenen Jahr zahlreiche Menschen an einem Marsch zum Internationalen Frauentag teil. © Ben Rushton/dpa/dpa
 
In Sydney nahmen im vergangenen Jahr zahlreiche Menschen an einem Marsch zum Internationalen Frauentag teil. © Ben Rushton/dpa/dpa
 
 

Der diesjährige 8. März ist in Berlin erstmalig gesetzlicher Feiertag . Zwischen Parlamentsbeschluss und Umsetzung lagen nur sechs Wochen. Ein unglaubliches Tempo in einer Stadt, wo der Säugling schon zahnt, ehe die Geburtsurkunde ausgestellt ist und vom neuen Flughafengebäude die Buchstaben des Namensgebers schon abgefallen sein werden, ehe der BER eingeweiht ist.

Dass es ausgerechnet der Frauentag ist, kam selbst für organisierte Feminist*innen überraschend. Er ist quasi ein Geschenk, das auf keinem Wunschzettel stand. Der 8. März war ein Kompromiss der im Abgeordnetenhaus regierenden Parteien SPD, Die Linke und Bündnis 90/Grüne. Es gab andere Vorschläge für einen Feiertag, den Berlin nötig hatte, gab es doch hier bisher nur neun freie Tage im Jahr. Zum Vergleich: Bayern hat 13 Feiertage. Es hätte auch der 18. März, der 8. Mai oder der 9. November werden können, aber keiner dieser Vorschläge bekam eine Mehrheit. Nun also der Frauentag. Die Berliner*innen sind nicht allein, in 26 Ländern, darunter Georgien, Angola, Nordkorea, der Ukraine und auf Kuba, ist der "Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden" ein arbeitsfreier Tag. Die Frauenrechtlerin und spätere Kommunistin Clara Zetkin hatte ihn 1911 initiiert. Doch kaum fiel das Wort Frauentag, schon gab es Leute, die Angst hatten, mit Piccolo und Peitschen bewaffnete Frauenhorden auf Bierbikes könnten das an diesem Tag weiter hart arbeitende Brandenburg unsicher machen. Dabei ist es das Ganze keine schlechte Idee.

Showtag für die Rechte der Frauen

Das sage ich, obwohl ich als im Osten Deutschlands Aufgewachsene ein gespaltenes Verhältnis zu diesem Showtag für die Rechte der Frauen habe. In einem der besten Dokumentarfilme über Frauen, Winter adé von Helke Misselwitz aus dem Jahr 1988, trifft die Filmemacherin auf ihrer Reise durch die DDR Frauen verschiedenen Alters, Familienstands, politischer Haltung. Als sie in Berlin ankommt, wird am Alexanderplatz in den Fernsehern der Schaufenster vom Centrum-Warenhaus flackernd der Festakt zum Internationalen Frauentag übertragen. Der Nachrichtensprecher stellt die "45-jährige Anita Hoffmann, Elektromonteur im Gaskombinat Schwarze Pumpe" vor. "Erich Honecker dankt der Mutter von vier Kindern besonders für die Arbeit bei 20 Grad Minus. Die Gasversorgung erfolgte zu dieser Zeit pünktlich und ohne Schwankungen." Dann Schnitt auf die anderen sorgsam frisierten Ausgezeichneten mit den müden Augen. Chor und Orchester der Staatsoper und das Ballett des Friedrichstadtpalastes interpretieren: "Untern Linden, Untern Linden, da spaziern die Mägdelein …"

Mein Vater stellte sich am 7. März stundenlang mit anderen Kollektivleitern vorm Blumenladen an, ein lustiges Bild, sonst bildeten überwiegend Frauen die Schlangen. Oder er bestach seine Parteifreunde von der Bauernpartei, die Gewächshäuser hatten, für ein paar Nelken, die ohne Draht nicht in der Vase stehen konnten. Seine Kolleginnen, allesamt Kälteingenieurinnen, revanchierten sich mit selbst gebastelten Pornodarstellerinnencollagen aus in den Osten geschmuggelten Sexzeitschriften, die sie ihren Männern geklaut hatten. Meinem Vater war das peinlich. Meine Mutter zeigte sie ihren Freundinnen auf den Partys mit selbst gemachtem Eierlikör, für den die Chemiefacharbeiterinnen den Primasprit aus dem Labor entwendeten, bis sie so blau waren, dass sie die Pornoposen nachstellten und danach vor Lachen unter den Tisch fielen. Kein Wunder, dass die Wirtschaft implodierte. Als ich im Herbst 1989 mit ein paar Frauen eine unabhängige feministische Gruppe gründete, war mein Namensvorschlag "Nie mehr 8. März".

Dreißig Jahre später bin ich etwas milder, was den Frauentag angeht. Ihn nicht zu begehen, ist ja auch keine Lösung. Die Geschlechterverhältnisse werden dadurch keinen Deut besser. Als die Ostfrauen per Beschluss der Bundesrepublik beitraten, trafen sie im Westen zwar auf viele Feministinnen, waren jetzt aber Bürgerinnen eines Entwicklungslandes, was die Rechte der Frauen anging. Sie mussten erst mal dafür kämpfen, dass ihnen die Rechte, die sie in der DDR hatten, nicht wieder weggenommen wurden. Vom Haushaltstag über die Fristenlösung bis zu den Vollzeit-Kindertagesstätten gelang ihnen das nicht. Sie konnten und wollten nicht das gut gemeinte Angebot ihres zuständigen Arbeitsamts annehmen, die Männer arbeiten zu lassen, zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern.

1990 traf Internationaler Frauentag auf Weltfrauentag, oft gab es in den folgenden Jahren in Berlin mehrere Demonstrationen zum 8. März. Er wurde mehr Kampf- als Feiertag. Feministinnen in Ost und West sprachen die gleiche Sprache, meinten aber oft etwas anderes. Westfrauen hielten Ostfrauen für unemanzipiert, weil die ihre Berufsbezeichungen im generischen Maskulinum formulierten und nicht gegen die Männer kämpften, sondern sie einbeziehen wollten in den Kampf gegen patriarchale Verhältnisse. Die Ostfeministinnen fanden die Westfeministinnen humorlos, aus undurchsichtigen Gründen zerstritten und in einem Müttermythos gefangen, egal, ob sie sich vehement dagegen auflehnten oder sich ihm hingaben. Diese Kämpfe sind Geschichte. Als mir neulich mein Uni-Diplom in die Hände fiel, war ich drauf und dran, das Dokument ungültig zu machen, indem ich an das "Diplom-Germanist" ein "in" anhängen wollte. Die männliche Bezeichnung hatte nichts mehr mit mir zu tun.

Ostfrauen spielen in den feministischen Bilanzen selten eine Rolle

Der nachhaltigste Protest, den Ostfrauen hervorgebracht haben, war der kollektive Gebärstreik einer ganzen Frauengeneration Anfang der 1990er-Jahre. Man kann ihn heute noch sehr gut sehen in den Alterspyramiden, die schon lange keine Pyramiden, sondern Tannenbäume sind. In der Altersklasse zwischen 25 und 30 ist da im Osten eine gut sichtbare Kerbe im Stamm, in manchen Landkreisen aber wurden auch danach keine Kinder mehr geboren, weil die jungen, gut ausgebildeten Frauen aus den deindustrialisierten und so gar nicht blühen wollenden Landschaften weggingen. Dort sieht die Alterspyramide inzwischen aus wie ein Laubbaum.

Die Mehrheit der Ostfrauen war pragmatisch. Sich von einem Mann aushalten zu lassen, gar abhängig zu sein, das konnten sie sich nicht vorstellen. Also haben sie alles gemacht, was ihnen möglich war: vom BMSR-Techniker zur Blumenbinderin umgeschult, fürs halbe Geld. Jede ABM-Stelle angenommen, Minijobs, Leiharbeit, Pendelei. Für junge Frauen mag es heute nicht mehr wichtig sein, ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen kommen. In einem Punkt aber gibt es immer noch große Unterschiede: Im Osten war es nämlich seit Generationen üblich, als Frau Vollzeit arbeiten zu gehen und trotzdem eine Familie zu haben. Und es gibt weibliche role models, die ihre Töchter nicht mit überkommenen Rollenmustern verunsichern. Heute ist der Kreißsaal, was die Rollenverteilung angeht, wieder das Tor zum 19. Jahrhundert und das Ehegattensplitting eine Subvention des Konservatismus.

Fernstudium bei vollem Schichtbetrieb

Ostfrauen spielen in feministischen Bilanzen selten eine Rolle. Wie käme es sonst, dass die meisten nicht merken, dass der viel zitierte Satz, in Deutschland habe bis 1977 eine Frau keinen Beruf ausüben dürfen, wenn der Ehemann nicht einverstanden war, nicht korrekt ist. In der Bundesrepublik war das zweifelsohne so. In der DDR dagegen war es zur selben Zeit ein anerkannter Scheidungsgrund, wenn der Mann seine Ehefrau nicht in ihrer Qualifizierung, meist Fernstudium bei vollem Schichtbetrieb, unterstützte. Unter jüngeren Feminist*innen ist es immer noch nahezu unbekannt, dass eine gar nicht so kleine Gruppe von Frauen, die anfangs geschätzte 800.000 Ostfrauen vertrat, sich bis in die frauenpolitischen Gremien der UN vorgekämpft hat, um gegen ein Unrecht aufzubegehren, das ihnen der Einigungsvertrag bescherte: Wegen des fehlenden Versorgungsausgleichs, den es in der DDR nicht gab, und einer anderen Rentenberechnung bekommen in der DDR geschiedene Frauen bis heute trotz vieler Jahre Vollzeitarbeit in Facharbeiter- und akademischen Berufen nur eine sehr geringe Rente. Die Bundesregierung hat jede Regelung zugunsten der Frauen bisher ausgesessen, die Zeit lief gegen die Geschiedenen. Mehr als die Hälfte ist inzwischen gestorben. Im Februar 2017 bestätigte der Frauenrechtsausschuss der Vereinten Nationen den noch Lebenden, dass es sich um ein Unrecht handelt, für das ihnen eine Entschädigung zusteht. Die Angelegenheit liegt jetzt bei der Bundesregierung. Die Frist, die das UN-Gremium der Bundesrepublik für eine Lösung eingeräumt hat, läuft in diesem Monat ab.

Dass die in der DDR geschiedenen Frauen im Einigungsvertrag nur "vergessen" wurden, ist eine Legende. Es ist auch unwahrscheinlich, dass es passierte, um die Frauen im Nachhinein für ihre Unabhängigkeit zu bestrafen. Es zeigt aber, dass der Einigungsvertrag, in dem Frauenrechte so gut wie gar nicht vorkamen, von konservativen Männern gemacht wurde. Es hätte der gemeinsamen Bundesrepublik gut zu Gesicht gestanden, die Frauenrechte in Ost und West zu vereinheitlichen, anstatt die im Osten abzuschaffen.

1994 hatte es am 8. März, koordiniert vom in der Wendezeit gegründeten Unabhängigen Frauenverband, einen gemeinsamen Frauenstreiktag gegeben, und es ist bezeichnend, dass sich nur wenige daran erinnern können. Danach war die Luft erst einmal raus aus der politischen Frauenbewegung. Zu viele Niederlagen hatten müde gemacht. Der Unabhängige Frauenverband löste sich 1998 auf.

Sicherlich ist in den vergangenen 30 Jahren einiges an gesetzlicher Gleichstellung erreicht worden. Aber in vielen anderen Punkten treten wir nach wie vor auf der Stelle oder müssen Frauenrechte gegen einen neuen alten Konservatismus verteidigen.

So gibt es nach wie vor eine Unterrepräsentanz von Frauen, Ostdeutschen, Migrant*innen. Dabei hat eine Erhebung im Rahmen des Projekts "Ostfrauen" des Rundfunks Berlin Brandenburg und des Mitteldeutschen Rundfunks interessante Ergebnisse gebracht: Unter den Ostdeutschen, die es in Führungspositionen geschafft haben, befinden sich überproportional viele Frauen. Je höher die Leitungsposition ist, desto häufiger handelt es sich um eine Frau. Aber es sind eben viel zu wenige.

Der 8. März mag in Berlin frei sein, streiken lässt sich trotzdem

Geschafft haben sie es oft nur durch absoluten Pragmatismus. Man könnte auch sagen, sie haben die Zähne zusammengebissen, wie sie es schon im Kindergarten gelernt haben. Und oft, indem sie sowohl ihr Geschlecht als auch ihre Herkunft so gut wie verleugnet haben, auch unter Preisgabe der Solidarität mit ihren Geschlechtsgenossinnen. Zu welchem persönlichen Preis das geschah, werden sie uns sagen, wenn sie im Ruhestand sind, so wie auch Angela Merkel mit jedem Tag, an dem sie wieder ein bisschen Macht abgibt, zu einer Frau mit ostdeutschen Wurzeln wird.

Seit ein paar Jahren erfreut sich der 8. März in vielen Ländern wieder größerer Beliebtheit als Kampftag für Frauenrechte und gegen Gewalt. Im vergangenen Jahr gingen allein in Spanien fünf Millionen Frauen auf die Straße.

Ein Bündnis hat in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1994 wieder zu einem Frauenstreik in Deutschland aufgerufen , leider nur sehr leise. Unter dem Hashtag #ichstreike8M sind bundesweit "alle Frauen und Queers* um 5 vor 12 dazu aufgerufen, sich in den öffentlichen Raum zu setzen und jegliche Arbeit niederzulegen". Gründe gibt es viele, hier ein kleines unvollständiges Potpourri: Wie kommt es, dass die Regierung seit Jahren keine vernünftige Lösung für den Versicherungsschutz von Hebammen findet, aber im Handumdrehen fünf Millionen für eine sinnlose Studie über psychische Auswirkungen von Schwangerschaftsabbrüchen genehmigt? Wieso kann in Kommunen das Recht auf einen Kitaplatz missachtet werden? Wie können geflüchtete LQBTI besser gegen Gewalt in Unterkünften und vor Abschiebung geschützt werden? Wieso werden auf Binden und Tampons 19 Prozent Mehrwertsteuer berechnet, obwohl sich nicht verleugnen lässt, dass ein lebensnotwendiger Bedarf danach besteht, der sieben Prozent wie bei Hygieneprodukten rechtfertigt? Wieso dürfen Frauen nach wie vor nicht straffrei abtreiben und sich auch nach der Gesetzesänderung des §129a nicht einmal barrierefrei darüber im Netz informieren? Wieso sind so viele Alleinerziehende auf Hartz IV angewiesen? Wieso wird nach wie vor über den Körper von Frauen bestimmt und der Diskriminierung von Queers und People of Color, ob auf der Straße oder im Netz, nicht endlich durch wirksame Maßnahmen ein Ende gemacht?

Steuererlass für Familien statt Ehegattensplitting

Wieso findet die Regierung keine Mietpreisbremse, die verhindert, dass Kinder aus der gewohnten Umgebung gerissen werden, weil sich Familien die Innenstadtlagen nicht mehr leisten können? Wer macht endlich aus dem Ehegattensplitting einen Steuererlass für Familien? Wie könnten wirksame Mittel gegen Gewalt gegen Frauen aussehen, und wie zwingt man Väter, ihren Unterhalt zu bezahlen? Wieso ist es in so einem reichen und aufgeklärten Land wie der Bundesrepublik möglich, dass Frauen aufs Jahr gerechnet 77 Tage ohne Bezahlung bleiben (so stark wirkt sich der Gender-Pay-Gap aus)? Wie lässt sich Armut im Alter verhindern?

Wieso sieht der öffentlich-rechtliche Rundfunk es erst jetzt als Problem an, dass laut Diversitätsbericht des Bundesverbandes Regie nur in 16,9 Prozent aller Sendungen Frauen Regie führen? Wieso gibt es immer noch Talkshows oder Podien, die ohne Konsequenzen ohne Frauen auskommen? Undsoweiterundsofort.

Der 8. März mag in Berlin frei sein, streiken lässt sich trotzdem, denn unbezahlte Arbeit fällt auch an Feiertagen an und es gibt genügend Jobs, die in einer Großstadt einfach immer gemacht werden müssen: Straßenbahn fahren, Leute bedienen, Radio machen, Kranke versorgen, Karten abreißen. Im Gorkitheater wird eine Premiere verschoben, weil es dort, anders als in anderen Berliner Theatern, genügend Frauen in allen Gewerken gibt, deren Streik den Betrieb lahmlegt. Und vielleicht ist ja der diesjährigen Frauenstreik nur eine Übung für den nächsten größeren, breiter aufgestellten und besser vernetzten.

Annett Gröschner lebt als Schriftstellerin und Publizistin in Berlin. Sie schreibt Romane, Erzählungen, Essays, Theaterstücke, Radiofeatures und Reportagen. Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8".


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Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen. Auf dieser Seite sammeln wir alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen.