Fünf vor 8:00: Die Liberalen verstehen die Welt nicht mehr - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
21.03.2019
 
 
 
   
 
Die Liberalen verstehen die Welt nicht mehr
 
Was ist nur aus der stolzen liberalen Partei geworden, wenn ihr Chef bei "Freiheit und Wohlstand" vor allem an Fleisch, Fahren und Fliegen denkt? Da war doch mal mehr.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   

Da hat Christian Lindner wirklich mal recht. Kürzlich sagte der FDP-Chef, seine Partei wolle "den Klimaschutz so gestalten, dass wir weiter ein Land mit Wohlstand und individuellen Freiheiten sein können". Das ist schön. Denn natürlich soll Klimapolitik die Menschen nicht in die Armut treiben. Und unfrei fühlen sollen sie sich auch nicht.
 
Leider nur sagte Lindner dann im nächsten Satz: "Die Menschen sollen weiter Fleisch essen, Auto fahren und mit dem Flugzeug verreisen dürfen." Und das ist nun wiederum ziemlich traurig. Was ist nur aus der stolzen liberalen Partei geworden, wenn ihr Chef bei "Freiheit und Wohlstand" erst mal und vor allem an Fleisch, Fahren und Fliegen denkt? Da war doch mal mehr. Freiheit, ging es da nicht um die Verantwortung des Einzelnen für sich und für die Gesellschaft, also auch für die Kinder und die, die in echter Unfreiheit leben, und ferner um Toleranz?
 
Was würden wohl die vielen Menschen denken, die in Diktaturen leben, wenn sie hörten, wie der Freiheitsbegriff mal eben auf ein gut gegrilltes Steak und einen Flug nach Malle zusammenschrumpft? Was würden die Armen denken, die dort wohnen, wo schon heute der Meeresspiegel steigt oder Dürren die Äcker verdorren lassen, wenn sie wüssten, dass Liberale bei Wohlstand erst mal ans Autofahren denken?
 
Hilflos und wütend
 
Doch interessant ist die neue liberale Weltsicht, die Lindner mit der ihm eigenen Eleganz so gut auf den Punkt bringt, doch auch aus einem anderen Grund: Sie beruht auf einem großen Unverständnis. Der FDP-Chef und auch viele andere Politiker, die sich dieser Tage über die neue Ökologiebewegung aufregen und ihr alles Mögliche, vor allem aber Lust, Luxus und Freiheitsfeindlichkeit vorwerfen, verstehen schlicht die Welt nicht mehr. Und das wiederum macht sie hilflos und wütend.
 
Viele Politiker und auch viele meinungsbildende Journalisten haben bestimmte Kulturtechniken gelernt, durch die sie zu erfolgreichen Menschen geworden sind. Die meisten von ihnen (mich eingeschlossen) haben irgendeine Gesellschaftswissenschaft studiert, meist Politik, Ökonomie oder Jura. Und dabei haben sie gelernt: Man kann und sollte über fast alles diskutieren. Denn so entstehen oft genug die besten Lösungen, gute Gesetze, neue Programme, neue Institutionen.
 
Dummerweise nur passen diese Kulturtechniken (das Diskutieren und das Finden von Kompromissen) eher selten, um Phänomene wie den Klimawandel zu verstehen und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Und das wollen sie nicht wahrhaben. Mit der Physik, so sagen Naturwissenschaftler zu Recht, kann man nicht diskutieren. Ihre Gesetze kann man zwar studieren, man kann herausfinden, was richtig und falsch ist, und dabei immer besser erkennen, wie sie funktioniert. Aber man kann die Natur nicht vom Gegenteil überzeugen. Oder das Klima. Oder die Schwerkraft. Der Apfel fällt nun mal vom Baum – und nicht nach oben.
 
Mit der Natur können die Politiker nicht umgehen
 
Doch genau damit kann die redegewandte Politgemeinde schlicht nicht umgehen. Dieser Totalitarismus der Natur beleidigt sie in ihrem tiefsten Inneren, er macht sie schlicht hilflos. Denn er steht gegen alles, was sie gelernt haben: Er lässt sich nicht relativieren oder wegdiskutieren.
 
Natürlich sollen Parteien und Politiker darüber streiten, wie und mit welchen Mitteln sie beispielsweise den Klimawandel bekämpfen. Wie sie die Insekten schützen und die Abholzung der Wälder verhindern können, wie gute Umweltpolitik aussieht. Doch sie machen sich einfach lächerlich, wenn sie über das Phänomen des Klimawandels an sich diskutieren wollen. Oder lieber über das "Schwänzen" der Fridays-for-Future-Schüler statt über ihre Forderungen. Dass es den Klimawandel gibt, lässt sich inzwischen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen. Das sollte man schlicht akzeptieren und Konsequenzen ziehen, bevor es zu spät ist. Da ist es schlicht albern, wie ein kleines Kind zu trotzen und zu sagen: Ich will aber weiter mit meinem Auto spielen.
 
Genauso aber reagiert Lindner. Genauso reagiert auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier, wenn er sagt: "Klimaschutz funktioniert nur, wenn er den Wohlstand nicht gefährdet." Das Gegenteil ist richtig: Wohlstand lässt sich auf Dauer nur bewahren, wenn das Klima nicht kippt.
 
Leider beschränkt sich die kindische Sicht auf die Welt (ich will mein Räppelchen nicht hergeben) nicht auf den Klimawandel. Politiker wie Lindner oder Altmaier empfinden offensichtlich schlicht alle ökologischen Grenzen als Beleidigung ihres Intellekts und ihrer diskursiven Fähigkeiten. Weil sie jedoch mit der Natur auf Dauer schlecht diskutieren können, übertragen sie ihren Ärger einfach auf den politischen Gegner. Denn sie tun so, als hätten die bösen Grünen oder die verrückten Schüler die planetarischen Grenzen erfunden. Und wollten nur aus reiner Boshaftigkeit das Porschefahren teurer machen.
 
Wahrscheinlich kommt diese Mischung aus mutwilliger Ignoranz und vermeintlicher Diskussionsfreude sogar bei einem Teil der Wähler an, jedenfalls bei all denen, die einfach aus Denkfaulheit nichts an ihrem Leben ändern wollen. Und denen laute Schüler sowieso auf die Nerven gehen. Nur mal ganz ehrlich, Herr Linder, Herr Altmaier, ist diese Art der Diskussion nicht weit unter Ihrem Niveau?

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.