Ist der Spuk nun schon vorbei? Sind die Separatisten am Ende? Der entthronte katalanische Premierminister, Carles Puigdemont, ist nach Belgien geflüchtet, um einer Verhaftung zu entgehen. Spanische Beamte übernehmen die Macht in Katalonien. Der Präsident der autonomen Region Kurdistan im Irak, Massud Barzani, hat seinen Rücktritt angekündigt. Die irakische Armee hat sich Landesteile zurückgeholt, in denen zumeist Kurden leben. Abspalterei zahlt sich nicht aus, so scheint es, die Zentralstaaten Spanien und Irak haben sich fürs Erste durchgesetzt. Wohlgemerkt: Fürs Erste, denn die Madrider und Bagdader Regierung haben nur Etappensiege erzielt. Das Ringen zwischen Zentralstaat und Randregion entscheidet sich nicht mit einigen schnellen Verhaftungen und Armeebewegungen. Es hängt von vielen Faktoren und Interessen ab, die sich über längere Zeit entwickeln. Wann führt Separatismus eigentlich zum Erfolg, ab wann zerbricht ein Staat? In den vergangenen dreißig Jahren hatten die Europäer das zweifelhafte Vergnügen, so einigen großen Staaten beim Kollaps zuzuschauen, von denen man das nie erwartet hätte. Ich selbst konnte aus der Nähe die Beispiele Sowjetunion und Jugoslawien beobachten. Von ihren Erfahrungen lässt sich einiges lernen. Separatismus führt zum Erfolg, wenn die Zentralstaaten selbst das Interesse am vereinten Staatsgebilde verlieren. Das war 1990 in Russland der Fall, als sich die Russische Föderation unter der Führung von Boris Jelzin von der Sowjetunion und ihrem Präsidenten Michail Gorbatschow distanzierte und für unabhängig erklärte. Auch hat der brodelnde serbische Nationalismus der Achtzigerjahre dazu beigetragen, Kroaten und Slowenen zu überzeugen, dass Jugoslawien als Staat kaum Zukunft hatte. Die Serben als größtes Volk der Föderation hatten nur noch sich im Blick, das Zentrum zerbrach. Das ist heute in Spanien überhaupt nicht der Fall, aber im Irak darf man sich nicht so sicher sein. Die Machtübernahme radikaler Schiiten in der Armee, das permanente Ringen zwischen gemäßigten und radikalen Schiiten in Bagdad entfremdet die Kurden von der Hauptstadt. Im Irak drängen schiitischer Egoismus und die Schwäche des Staates Kurden und auch Sunniten dazu, ihr eigenes staatliches Glück zu suchen. Separatisten haben dann Erfolg, wenn die Zentralregierung mit nackter militärischer Gewalt gegen die Abtrünnigen vorgeht. Das brutalste Beispiel lieferte die jugoslawische Bundesarmee unter serbischer Führung, die erst in Kroatien und später in Bosnien mordete, Städte zerstörte und die Bevölkerung vertrieb. Sie verspielte die Legitimation des Einheitsstaates. Aber auch in unklaren Situationen ist der Einsatz des Militärs heikel. Als sich der georgische Staatschef Michael Saakaschwili die abtrünnige Region Südossetien zurückholen wollte, nutzte Russland die Chance, mit seiner Panzermacht nach Georgien einzurollen. Seither scheint Südossetien für Georgien endgültig verloren. Die spanische Regierung wendet nun auch staatliche Gewalt nach Artikel 155 der Verfassung an, aber da sind nur Beamte und Polizisten im Einsatz. Panzer rollen dagegen im Irak. Bisher kam es in Kurdistan nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen, weil sich die kurdischen Peschmerga freiwillig zurückzogen. Doch je weiter die irakisch-schiitischen Soldaten nach Kurdistan einmarschieren, desto mehr wächst die Gefahr von Scharmützeln. Das Gefühl der Besatzung ist jetzt schon da. Es hängt von der Behutsamkeit der spanischen Beamten ab Separatisten haben dann Erfolg, wenn die Nachbarländer nur zuschauen – oder dem Zerfall mit einem gewissen Wohlwollen zusehen, ihn vielleicht sogar fördern. Beim Kollaps der Sowjetunion schaute die Welt mit Staunen und einem mulmigen Gefühl zu, wie sich die neben den USA größte Atommacht der Welt zerlegte. In Jugoslawien setzte sich Deutschland 1991 unter Führung von Kanzler Kohl und Außenminister Genscher für Slowenen und Kroaten ein, später halfen die Russen den Serben und die Amerikaner Kroaten und Bosniern. Hilfestellung für den Zerfall. Hier ist der größte Unterschied zu heute. Die katalanischen Separatisten finden keine Verbündeten in Europa, die EU zeigt die kalte Schulter, der Nachbar Frankreich sowieso. Im Irak machen die Nachbarländer Türkei und Iran demonstrativ mobil gegen die kurdische Unabhängigkeit, türkische Truppen haben die Grenze überschritten, Iraner kämpfen im Irak. Aus der Ferne warnten Amerikaner und Europäer. Kein Herz für Kurdistan, keine Sehnsucht nach Katalonistan und anderen neuen Flecken auf der Landkarte, so sieht es aus. Wenn die spanische Zentralmacht jetzt keine großen Fehler macht, wird sie Katalonien wohl im spanischen Staatsverband halten. Gleichwohl hängt es sehr von der Behutsamkeit der spanischen Beamten ab, ob sich die Katalanen künftig mit ihrem Status in Spanien abfinden und wie stark die Separatisten sein werden. Im Irak dagegen ist alles offen. Die Kurden haben mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit gestimmt, die proirakische Lobby in Kurdistan ist schwach. Die schiitischen Parteien in Bagdad scheinen militärische Lösungen zu bevorzugen. Wenn sie die kurdische Autonomie zerstören sollten, würden sie die Kurden aus dem Land drängen. Der Irak hält noch zusammen, weil die Nachbarmächte, allen voran die Türkei und der Iran, es so wollen. Von innen heraus ist das Land längst zerfallen. |
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