Kiyaks Deutschstunde: Geraspeltes Knäckebrot

 
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Kiyaks Deutschstunde
01.02.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Geraspeltes Knäckebrot
 
Der neue SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz verkündet eine "Zeit für Gerechtigkeit" und eine "klare Kante gegen Rechts". Wie soll das aussehen?
VON MELY KIYAK

Wie ein Mensch eine Stunde lang reden kann, ohne jede Spur von Idee, Witz oder Esprit, hat Martin Schulz, Kanzlerkandidat der SPD in seiner Antrittsrede gezeigt. Eine Stunde lang hat er Knäckebrot geraspelt, Hartfasertapeten zerstückelt, Spanplatten ausgewrungen. Seine Genossen erwachten aus ihrer politischen Nahtoderfahrung und versicherten nun, dass sie immer an ein Weiterleben geglaubt hätten, denn da war dieses Licht am Ende des Tunnels. Manche Sozialdemokraten schwören mittlerweile, dass ihre Toastbrote morgens mit einem gerösteten Porträt des weinenden Martin Schulz aus den Röstschlitzen springen. 600 Parteieintritte innerhalb einer Woche liest man in der Partei übrigens als Begrüßungsgeschenk an den Neuen und nicht als Abschiedsgeschenk an den Alten.

So also sieht ein deutscher Politiker im Jahr 2017 aus, der das Land davor retten soll, dass rechtsradikale Kräfte in Europa die Demokratie unablässig erwürgen! So einer wird also, man nimmt es interessiert zur Kenntnis, als Gegengewicht zu dem monströsen Menschenhass aufgestellt. Wie lautet der Slogan, der stärker wirken soll als der primitive Hass gegen Muslime, Hass gegen Roma, Hass gegen Juden, Hass gegen Homosexuelle, Hass auf Reiche, Hass auf Politiker, Hass auf Flüchtlinge, Hass auf die Parlamente, Hass auf Werte wie Menschenwürde und Solidarität unter den Völkern. Wie also klingt die Botschaft, die dagegen halten will und nicht wie Pudding an Beton herunterschlonzen soll? Man kneift die Augen zusammen und möchte erkennen, was unter dem Mikrofon des Sprechers steht und steht plötzlich vor dem Empfangsgerät wie eine Eidechse bei Temperatursturz und liest:

Zeit für mehr Gerechtigkeit

Das also ist der Spruch, der dagegen halten soll, das nationalsozialistische Revival auf den deutschen Straßen aufzuhalten? War soziale Gerechtigkeit das Problem, weshalb Professoren, Richter, Journalisten zuhauf zur AfD wechselten, weil sie mit ihren Gehältern und Pensionen benachteiligt wurden? Man begreift, dass die SPD kein Gegengewicht zu einer Stimmung aufstellte, sondern ein Gegenwicht zu Angela Merkel

Selbstverständlich kann man bei seiner Ernennung als Kanzlerkandidat das berühmte Danke-Lied anstimmen und damit zwanzig Minuten Redezeit füllen. Man lernt noch etwas. Will man einen erfolglosen Politiker um den verbliebenen Krümel Restwürde bringen, macht man es so:

Sigmar, du bist ein toller Typ!

Und dann nahtlos weiter, weil, was will man auch sagen, man hat ja kein Programm oder keine Vision, man hat einfach Bock auf Weitermachen aus Mangel an beruflichen Perspektiven. Andrea Nahles: Danke für den Kampf für Mindestlohn. Manuela Schwesig: Danke für den Kampf für gleichen Lohn für Männer und Frauen. Heiko Maas: Danke für den Kampf für Bürgerechte, und, jetzt festhalten:

Klare Kante gegen Rechts.

Ach so? Klare Kante gegen Rechts heißt wohl in der SPD, die Empörungsmaschine anzuwerfen, wenn einer bei Facebook eine Vernichtungsfantasie gegen Minderheiten äußert. Dass diese Klare-Kante-gegen-Rechts-Partei aber Regierungspartei ist und daran beteiligt war, als die Asylgesetze und Verschärfungen gegen Flüchtlinge ohne jede Notwendigkeit, ohne jedes Maß, ohne jeden Sinn verschärft wurden, einzig, um sich bei Pegida und ihren Freunden anzuwanzen, ist der glaubwürdige, mutige und entschlossene Kampf für Menschenwürde und Solidarität und gegen Rechtsextremismus?

Diese Klare-Kante-gegen-Rechts-Partei, die an jeder Regierung beteiligt war, als es um die Niederschlagung von Minderheitenrechten in Sachen Doppelpass und Wahlrecht für Millionen von Menschen in diesem Land ging, ist Martin Luther King aus Würselen offenbar entfallen.

Um Rassismus etwas entgegensetzen zu können, muss man sich mit Rassismus auseinandersetzen

Das Wort Gerechtigkeit tauchte gefühlt in jeden Satz der Inaugurationsrede auf. Das Wort Wahlrecht für Menschen, die vor drei (!!!) Generationen einwanderten, kein einziges Mal.

Es gehört zum seltsamen Ton dieser Tage, dass man extrem schockiert über "das Dekret" ist, oder "das Einreiseverbot", obwohl es doch eigentlich um "die" Muslime geht, beziehungsweise was man in radikaldebilen Kreisen für muslimisch hält. Man ist so schockiert, dass man es nicht ausspricht. Es geht aber um Muslime und zwar in der ganzen christlich geprägten Welt. Es sollte wohl der rhetorische Höhepunkt der Rede sein, als er tief Luft holte und über Donald Trumps Politik sagte, sie sei ein:

Maximaler Tabubruch

Dass der maximale Tabubruch gegenüber Muslimen in Deutschland von dem bekennenden und leidenschaftlichen Sozialdemokraten Thilo Sarrazin eingeführt wurde und der AfD den Weg bereitet hat, ist natürlich blöd, nicht wahr? Ach komm, Demenz und schwamm drüber!

Und weil das alles so unwichtig ist, wurden die Themen – keine Übertreibung! – Nationalismus, Populismus, radikalisierte Rechte, AfD, in einem Satz abgehandelt.

Um Rassismus etwas entgegensetzen zu können, muss man sich mit Rassismus auseinandersetzen. Am besten in den eigenen Reihen beginnen, bringt am meisten Glaubwürdigkeit. Das sichtbarste Zeichen gegen Rassismus setzt man durch die Aufstellung seines Personals. Beispiel Kanada. Vielfältigkeit als politisches Programm nicht fordern oder behaupten, sondern vorleben.

Gegen soziale Gerechtigkeit ist nichts einzuwenden. Auch nicht gegen das Bemühen für ein gerechteres Steuer-, Lohn- und Rentensystem. Wie auch? Das wird dem eigentlichen Thema dieser Zeit aber nicht gerecht. Den europäischen Gesellschaften geht die Lust an der Überwindung von Segregation und Diskriminierung verloren. Ausgerechnet Europa, das sich doch gerade eben erst, bedingt durch eine schmerzhafte Phase des Verlustes von Frieden, auf den Weg in eine Welt ohne Nationalismus, Chauvinismus und autoritäre Strukturen befand.

Diese Konflikte bedingen zwangsläufig eine andere Sprache als die eines Martin Schulz, der anbot:

Pragmatische Lösungen im Dienste der Menschen

Wenn man Staubsauger verkauft oder elektrische Handrührgeräte, wenn man der Manager eines Haushaltswarenkonzerns ist, wäre so ein Motto zwar verstaubt, aber immerhin okay.

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