Fünf vor 8:00: Xi, der Großmeister der Ankündigungspolitik - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
30.04.2019
 
 
 
   
 
Xi, der Großmeister der Ankündigungspolitik
 
Auf dem Seidenstraßen-Forum reagiert Xi Jinping auf Kritik an dem Megaprojekt und verspricht den Partnern mehr Transparenz und Mitsprache. Aber Skepsis ist erlaubt.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   

Fünf Jahre lang hat Chinas Staatspräsident Xi Jinping machtstolz aufgetrumpft. Sein Jahrhundertprojekt der Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) war nicht bloß eine Nostalgie-Veranstaltung, die auf die historische Seidenstraße Marco Polos (1254–1324) im Norden und die maritimen Expeditionsrouten des Admirals Zheng He (1371–1535) im Süden verweisen sollte. Sie war auch kein Entwicklungsprogramm klassischen Stils – denn die Chinesen wollen ja kräftig daran verdienen. Xis Seidenstraße war von Anfang ein geopolitisches Projekt. Sie sollte China weltweit Einfluss und Gestaltungsmacht verschaffen.
 
Je rücksichtsloser das Vorhaben ins Werk gesetzt wurde, desto mehr Kritik, Widerstand und Gegenreaktion löste es freilich aus. Es brachte China in Verruf. Jetzt ist Xi Jinping offenbar in sich gegangen: Vorige Woche schlug er beim zweiten Seidenstraßen-Forum in Peking ganz neue, leisere Töne an. Der Kolumnist Fred Kempe vom Atlantic Council sieht darin einen Schritt von hubris to humility – vom Übermut zur Demut. Ich füge hinzu: Falls es wirklich mehr ist als Verbalkosmetik.
 
China hat inzwischen mit über hundert Ländern und über zwei Dutzend internationalen Einrichtungen Kooperationsabkommen abgeschlossen. "Konnektivität" lautet die Parole, die Infrastruktur auszubauen ist das Ziel: Eisenbahnen und Straßen, Pipelines und Stromleitungen, Kraftwerke, Staudämme und Glasfasernetze sollen in mehreren Wirtschaftskorridoren, die nach Süd-und Südostasien, nach Zentralasien und den Mittleren Osten über Europa und Afrika bis nach Lateinamerika führen, einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung auslösen. Dafür stellt Peking die sagenhafte Summe von einer Billion Dollar bereit, von denen schon 440 Milliarden verplant sein sollen. Zum Vergleich: Der Marshall-Plan der USA für Europa belief sich auf ganze 13 Milliarden Dollar, nach heutigem Wert wären es 130 Milliarden. Zielbewusst haben die Chinesen alle anderen Staaten aus der Planung, der Organisation und der Ausführung herausgehalten. 90 Prozent der Aufträge gingen an ihre eigenen Firmen.
 
Win-win: China gewinnt zweimal
 
Kein Wunder, dass die Kritik allenthalben lauter wurde: Es hieß, chinesische Unternehmen würden bevorzugt, dem Ausschreibungsverfahren mangele es an Transparenz, auch verschlössen die Chinesen die Augen vor der grassierenden Korruption und förderten sie sogar bei der Auftragsvergabe. Von den Malediven, Malaysia und Myanmar bis hin nach Montenegro lockten sie arme Länder in eine Schuldenfalle. Können sie nicht bezahlen, ob bar oder mit Rohstoffen, müssen die Schuldner der Volksrepublik die von ihr finanzierten und gebauten Infrastrukturvorhaben übereignen. So geschah es beispielsweise mit dem Hafen von Hambantota auf Sri Lanka, den sich Peking auf 99 Jahre verpachten ließ. Win-win, Xi Lieblingsvokabel, heißt dann eben: China gewinnt zweimal.
 
Kein Wunder auch, dass die Spannungen wuchsen. Mit den Vereinigten Staaten unter Donald Trump sowieso. Doch inzwischen auch mit der Europäischen Union. Die Europäer sehen in der Volkrepublik einen Kooperationspartner und Kontrahenten in Verhandlungen – aber auch einen wirtschaftlichen Konkurrenten, und neuerdings sogar einen Rivalen im Wettstreit der politischen Systeme. Die USA und die EU – und neben ihnen viele andere Staaten und ihre Wirtschaftsunternehmen – beklagen den beschränkten Marktzugang, den zwangsweisen Technologietransfer, die üppigen staatlichen Subventionen für chinesische Firmen und die Einflussnahme der Partei auf die Geschäftsführung. Sie alle verlangen Reziprozität: ein ebenes Spielfeld für alle und ohne die bisherigen hohen Hindernisse für Ausländer.
 
Kritik in Partnerstaaten und in China selbst
 
Selbst in vielen Partnerstaaten des Seidenstraßenprojekts rührt sich zunehmend Kritik: daran, dass die Chinesen zu wenig Arbeitsplätze für Einheimische schaffen und weit überhöhte Preise ansetzen; dass ihre mit Karacho gebauten  Bauprojekte oft von geringer Qualität sind, außerdem umweltschädlich und wenig nachhaltig. Immer häufiger gibt es in afrikanischen und zentralasiatischen Ländern Demonstrationen gegen die chinesischen Unternehmer und ihre Arbeiterlegionen. Und auch in China selbst wird im Internet kritisch gefragt, ob man die Seidenstraßenmilliarden nicht besser im eigenen Land investieren solle.
 
All dies scheint Xi Jinping nun aufgenommen haben. Er vollführte, was Australiens ehemaliger Premierminister Kevin Rudd, ein ausgewiesener China-Fachmann, einen "policy refresh" nennt: Xi passte sein Vorgehen an, um China aus der Schusslinie zu nehmen und die Kritiker zu besänftigen.

Vor 37 Staats- und Regierungschefs und 5.000 Delegierten aus 150 Ländern schwelgte Xi beim zweiten BRI-Forum in der vergangenen Woche nicht mehr in Visionen über die großartige, Länder und Kontinente verbindende Wirkung seiner Seidenstraße. Stattdessen ging er, wenn auch indirekt, auf die laut gewordene Kritik ein. Er versprach, China werde seine Zusagen und Verpflichtung getreulich einhalten; es werde den Schutz des geistigen Eigentums verstärken, Handelsmarken wie Geschäftsgeheimnisse schützen und Ideendiebstahl bekämpfen; zudem wolle es den Marktzugang erweitern und die Negativlisten drastisch kürzen, die Zölle weiter senken und seine Einfuhren massiv erhöhen; und nicht zuletzt werde künftig ein neues Verfahren die Kreditbelastungsfähigkeit möglicher Partner prüfen. Auch sollen die privaten Unternehmen wieder stärker in das Großprojekt eingebunden werden.
 
"Null Toleranz für Korruption"
 
"Alles soll auf transparente Weise getan werden, und wir sollten null Toleranz für Korruption zeigen", war Xi Jinpings Kernbotschaft. Die wichtigste Neuerung, die er verkündete, war jedoch eine andere: "Wir müssen die volle Beteiligung von mehr Ländern und Firmen ermutigen", sagte er. "Dies ist kein exklusiver Klub." Er setzte hinzu: "Wir begrüßen die Teilnahme multilateraler und internationaler Finanzinstitutionen." China will also die Projekte der Seidenstraße nicht länger nur aus eigener Tasche bezahlen. Aber wird es anderen wirklich mehr Mitsprache und Entscheidungsrechte einräumen – was ja hieße, ein gutes Stück Kontrolle aus der Hand zu geben?
 
Eine Portion Skepsis ist erlaubt. Xi hat sich bisher als Großmeister reiner Ankündigungspolitik erwiesen. Zusagen hat er Mal für Mal wiederholt, die Ausführung ließ jedoch jedes Mal auf sich warten. In Verhandlungen bot er dann gern als Konzession aufs Neue an, was er längst schon zugesagt hatte. Tempo und Ausmaß der Vertragserfüllung bestimmte er ganz allein.
 
Hoffnung liegt indes darin, dass dem chinesischen Staatschef inzwischen eines aufgegangen sein muss: dass Chinas Großmachtehrgeiz sich nur dann entfalten kann, wenn die westliche Welt seinem Seidenstraßen-Projekt positiv gegenübersteht und es unterstützt. Was Xi Jinping an Kontrolle verliert, wird er an Zustimmung gewinnen – vorausgesetzt, dass er es diesmal ernst meint.

 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS

Fred Kempe, Atlantic Council China’s Global Power Play.
Julia Löhr, Frankfurter Allgemeine Zeitung Wohlfeile Worte in Peking.
Bernhard Zand, Der Spiegel (paywall) Wie weit kann die Welt Peking trauen?
Saibal Dasgupta, Voice of America Xi Signals Change in Belt and Road Initiative Amid Criticism

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.