Fünf vor 8:00: Wir müssen über Geld reden - Die Morgenkolumne heute von Mark Schieritz

 
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FÜNF VOR 8:00
15.04.2019
 
 
 
   
 
Wir müssen über Geld reden
 
Neue ökonomische Theorien verändern den Blick auf unser Zahlungsmittel. Wir können uns mehr leisten als wir denken – deshalb ist Sparpolitik von gestern.
VON MARK SCHIERITZ
 
   
 
 
   
 
   

Stellen Sie sich einen Biber vor, der einen Damm gebaut hat. Würden Sie auf die Idee kommen, den Biber zu fragen, woher er das Geld für den Damm hat? Wahrscheinlich nicht. Das wäre auch Unsinn. Ein Biber nimmt sich einfach Äste und Zweige vom Uferrand – und baut seinen Damm.
 
Stellen Sie sich weiter eine baufällige Schule vor, in Berlin oder im Ruhrgebiet. In der Nähe der Schule wohnen arbeitslose Maurer und Zimmerleute, die sie in Ordnung bringen können. Sie tun es aber nicht, weil das Geld dafür fehlt. Die Schule verfällt weiter. Die Maurer und Zimmerleute bleiben arbeitslos.
 
Einfach frisches Geld drucken
 
Das Beispiel stammt von der Ökonomin Stephanie Kelton, einer Vertreterin der so genannten Modernen Geldtheorie. Das ist eine sehr spezielle und umstrittene ökonomische Theorie, die derzeit in den USA für Furore sorgt. Ihre Kernaussage lautet: Solange es keine Inflation gibt, können sich Staaten mit eigener Währung alles leisten. Sie können also einfach frisches Geld drucken und damit die Maurer und Zimmerleute bezahlen, die die Schule reparieren.
 
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Theorie würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aber sie lenkt den Blick auf ein Defizit unseres wirtschaftspolitischen Denkens: Wir lassen uns zu oft vom Geld die Sinne verwirren.

Das liegt vor allem daran, dass Geld intuitiv mit materiellem Wohlstand gleichgesetzt wird. Aus der Sicht eines Privathaushalts ist das auch sinnvoll: Wenn ich viel Geld anhäufe, kann ich mir viel kaufen. Ein wenig technischer formuliert: Mit der Maximierung meines Geldeinkommens maximiere ich auch meine Konsummöglichkeiten. Das Symbol dieser Weltsicht ist Dagobert Duck, der seinen Geldspeicher mit Münzen und Scheinen füllt.
 
Mehr Geld – weniger Wohlstand
 
In der heutigen Zeit ist Geld aber zunächst einmal nur das: ein Stück Papier. Es ist nicht durch Gold, Silber oder andere Rohstoffe gedeckt. Es bekommt seinen Wert allein dadurch, dass man sich davon Waren kaufen kann. Das geht aber nur, wenn diese Waren von irgendjemandem erzeugt werden.
 
Damit aber können auf der Ebene der Volkswirtschaft zwei Ziele auseinanderfallen: die Maximierung des Geldeinkommens und die Maximierung der Konsummöglichkeiten. Wenn der Staat nicht bereit ist, die Maurer und Zimmerleute zu bezahlen, weil er Geld sparen will, dann werden weniger Güter erzeugt: Die Schule wird nicht repariert. Es gibt also mehr Geld, aber weniger Wohlstand.
 
Das Anhäufen von Geld ist noch kein Wohlstand
 
Auch in der Debatte über die Altersvorsorge wird Geld häufig fälschlicherweise mit Wohlstand gleichgesetzt. Was würde passieren, wenn alle Menschen auf der Welt ihr Geld unter ihre Matratze legen würden, weil sie im Alter mehr davon haben wollen? Es gäbe zehn oder 20 Jahre später jede Menge Geld, aber nicht unbedingt mehr Güter. Womöglich gäbe es sogar weniger, weil wegen der mangelnden Nachfrage aufgrund des Sparens einige Fabriken geschlossen werden mussten.
 
Der Staat muss investieren
 
Was diese Beispiele zeigen: Der materielle Wohlstand wird dadurch maximiert, dass die produktiven Kapazitäten der Volkswirtschaft maximiert werden. Durch Investitionen in neue Fabriken, intelligente Antriebstechniken oder Schulen. Manchmal fällt das mit dem Anhäufen von Geld zusammen, manchmal aber auch nicht.
 
In der Politik aber ist die Vorstellung verbreitet, dass das Geld selbst schon Wohlstand sei. Das erklärt zum Beispiel die Forderung, es müsse angesichts der alternden Bevölkerung gespart werden, so als könnten sich die Alten der Zukunft von Geldscheinen ernähren. Geld kann man aber nicht essen.
 
Die Alten der Zukunft werden ihren Lebensstandard dann halten können, wenn sie sich Waren kaufen können. Das setzt aber voraus, dass es auch in Zukunft qualifizierte Arbeitnehmer und produktive Fabriken gibt. Und dazu muss der Staat heute Geld in die Hand nehmen. Die Schulden von heute sind der Wohlstand von morgen.
 
Man muss unkonventionellen ökonomischen Ansätzen wie der Modernen Geldtheorie nicht in allen Details folgen. Sie schärfen aber das Verständnis dafür, dass Geld nur ein Mittel zum Zweck und nicht der Zweck selbst ist. Ohne die Fabriken von Entenhausen wäre Dagobert Duck in seinem Geldspeicher ein armer Mann.

 


 
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FOCUS Modern Monetary Theory – Ökonomen träumen von ewiger Vollbeschäftigung
THE ECONOMIST  Is modern monetary theory nutty or essential?
THE NEW YORK TIMES Running on MMT (Wonkish)
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.