Fünf vor 8:00: Die Chefs kommen nicht zur Party - Die Morgenkolumne heute von Michael Thumann

 
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FÜNF VOR 8:00
04.04.2019
 
 
 
   
 
Die Chefs kommen nicht zur Party
 
Die Nato wird 70 – und feiert in angeschlagenem Zustand. Ob sie weitere 70 Jahre besteht, hängt von ihren Gegnern ab: zum Beispiel von Wladimir Putin und Donald Trump.
VON MICHAEL THUMANN
 
   
 
 
   
 
   

Wenn sich die Außenminister der Nato in Washington zum 70. Geburtstag der Allianz treffen, dann fehlen die Staats- und Regierungschefs. Das ist ein Zeichen der Krise. Die Europäer möchten sich nicht so gern von US-Präsident Donald Trump dafür anblaffen lassen, dass sie nicht genug für die Verteidigung zahlen. Trump hat das Bündnisversprechen der USA durchlöchert und würde, ginge es nach ihm, am liebsten aus der Allianz austreten. Er ist überhaupt die größte Belastung für die Nato. Zu deren Widersprüchen gehört noch dazu die Frage, ob sie mit der Türkei oder Ungarn überhaupt noch ein Bündnis der Demokratien ist.
 
Kurz: Die Nato ist angeschlagen. Doch Trump und Erdogan zum Trotz wird die Allianz sich feiern und wahrscheinlich noch deutlich länger als 70 Jahre bestehen. Das liegt auch daran, dass es der Nato nie an Gegnern mangelte. Auch ihnen sollte an diesem 70. Geburtstag gedacht werden, denn sie haben mehr zum Bestehen der Nato beigetragen als manches Mitglied. Denn was die Nato zusammenhält, ist am Ende ihr Daseinszweck: Wozu braucht es eigentlich das Bündnis?
 
"Russen draußen, Deutsche unten"
 
Als die Nato 1949 gegründet wurde, lieferte der sowjetische Diktator Josef Stalin dafür reichlich Anlass. Er war mit seinen Truppen im Abwehrkampf gegen Nazideutschland bis zur Elbe vorgerückt. Dabei hatten ihm die USA noch gern geholfen, um Hitler endlich zu besiegen. Nur unterzog Stalin dann ab 1945 ganz Ostmitteleuropa einer unbarmherzigen Sowjetisierung. Wer sich widersetzte, wurde vertrieben, weggeputscht, hingerichtet. Aus befreiten Ostmitteleuropäern wurden Satellitenstaaten. Und in Westeuropa wuchs die Angst.
 
Die Nato wurde gegründet, um die "Russen draußen, die Amerikaner drin und die Deutschen unten zu halten", wie ihr erster Generalsekretär Lord Ismay bemerkte. Das Prinzip galt während des ganzen Kalten Krieges. Und die Deutschen hatten sich mit dem "unten" so gut eingerichtet, dass es ihnen heute nicht so leicht fällt, mehr Verantwortung zu übernehmen.
 
Nach dem Ende des Warschauer Pakts und der Sowjetunion 1991 schlidderte die Nato in eine Sinnkrise, denn wo stand jetzt noch mal der Gegner? Er wurde bald im zerfallenden Jugoslawien ausgemacht, wo der serbische Herrscher Slobodan Milosevic erst Bosnien und später Kosovo zerrüttete. Die Nato griff in beiden Fällen ein.
 
Danach verging nicht viel Zeit, und die Allianz musste zum ersten Mal den Artikel 5 aufrufen: die heilige Beistandsverpflichtung. Als Osama bin Ladens Selbstmord-Attentäter 2001 die USA angriffen, fand das Bündnis neuen Sinn im Krieg gegen den Terrorismus. Es begann der längste Nato-Einsatz der Geschichte; einige Nato-Länder, darunter Deutschland, stehen heute noch in Afghanistan. Der Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat in Syrien, zu dem die Nato beitrug, kann man als Fortsetzung sehen.
 
Trotzdem kamen in den 2000er Jahren erneut Zweifel auf, wozu das Bündnis eigentlich gut sei. Allein für Einsätze in fernen Ländern, die den Bevölkerungen in Europa und den USA schwer zu vermitteln waren? Oder für die Erweiterung der Nato in Ostmitteleuropa? Die Begründung war nicht stark genug – und viele Länder, allen voran Deutschland, kassierten die Friedensdividende. Wehretats wurden gekürzt, Truppen verkleinert, Panzer verschrottet. Nie wieder Krieg! So sah es aus in Europa vor einem knappen Jahrzehnt.
 
Putins Annexion der Krim
 
Aus dieser Illusion weckte ein weiterer Inspirator die Nato-Mitglieder auf. Es ist Wladimir Putin. Der russische Präsident zerstritt sich 2014 nicht mit der Nato, sondern mit der EU über den ukrainischen Majdan-Aufstand. Aber es hatte Folgen für die Nato. Putin besetzte mit seinen Truppen erhebliche Teile der Ukraine. Die russische Krim-Annexion erschütterte die Ordnung der Pariser Charta von 1990. Wladimir Putin möchte diese Ordnung revidieren und erkennt viele Verträge nicht mehr an.
 
Seit 2014 findet die Nato ihren Daseinszweck wieder in Europa. Niemand hat mehr dafür getan als Wladimir Putin. Er hat neue nukleare Marschflugkörper stationiert, die auf europäische Hauptstädte zielen. Jahr um Jahr lässt er seine Armee Angriffe auf Nato-Territorium üben. Die Nato hat deshalb im Herbst in Norwegen das größte Manöver seit dem Kalten Krieg abgehalten. Die Bundeswehr hat dazu mit viel Einsatz und fast 90 Millionen Euro beigetragen.
 
Die Nato ist also zu ihrem 70. Geburtstag ziemlich lebendig. Wie lange sie noch lebt, hängt zukünftig von einer ziemlich paradoxen Herausforderung ab: Trump unterminiert sie von innen, Putin stabilisiert sie von außen. Mal sehen, wer stärker ist.

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.