Kiyaks Deutschstunde: Heimatlose Hakenkreuze

 
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Kiyaks Deutschstunde
04.04.2019
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Heimatlose Hakenkreuze
 
Erst wollte man Rechte als solche entlarven, dann wollte man mit ihnen reden, jetzt soll man ihre Begriffe zurückerobern. Wo führt das denn hin!
VON MELY KIYAK


Immer wenn man denkt, meine Güte, ist jetzt mal gut mit "den Rechten nicht dieses überlassen" und nicht jenes überlassen, wirft erneut jemand das Lasso aus, um einen Begriff oder ein Symbol aus der Geiselhaft zu befreien.
 
Na gut, immerhin ein Fortschritt zu jener Phase, als es darum ging, die Rechten zu "entlarven". Dazu lauerte man mit Nachtsichtgeräten und Bewegungsmeldern am politischen Rand, um den rhetorischen Grenzübertritt melden zu können. "Sie wollen Kinder an den Grenzen erschießen!!", wurde dann mit freudiger Erregung gemeldet. "Oh Gott, sie wollen das Wort völkisch rehabilitieren!" – mancher Kommentatorensound grenzte echt schon an Jubel. Verständlich. Freude, Adrenalin, Geilheit, es liegt hormonell bedingt alles nah beieinander. Das Entlarven und Entzaubern musste dann aber viele Rückschläge einstecken. Auf der Maus ausgerutscht, am deutschen Vollkorn verschluckt, in der Fahne verheddert, wurde dann enttäuscht korrigiert. Der Nazi habe sich auf Facebook erklärt, alles zurückgenommen, falls ein falscher Eindruck entstanden sein soll, sorry, so sorry.
 
Nachdem man Rechte als Rechte erkannt hatte, war der nächste Schritt, mit ihnen zu diskutieren. "Wir haben die besseren Argumente", so feuerten sich die Demokraten gegenseitig an. Mit Rechten reden hieß ein viel beachtetes Buch, das in die Kunst, "weniger schlecht zu streiten", einführte. Argumentieren, widerlegen, nachhaken. Sich also richtig schön in die Themen der Neuen Rechten verbeißen und allen Verführten nachweisen, dass es sich bei ihnen um Verführte handelt. Das Buch ist nun schon fast zwei Jahre alt, und man fragt sich, ob die Methode erfolgreich war, den Rechtsextremisten raffiniert und ästhetisch gekonnt ihren Rechtsextremismus wegzulabern – auch in den Augen der Autoren und all jener, die das Konzept damals verteidigten.
 
Jetzt also: "den Rechten nicht überlassen". Das Konzept ist einfach erklärt. Es geht darum, den Rechten ihre Requisiten, die Worte und Handlungen wegzunehmen. Man muss sich das wahrscheinlich so vorstellen, dass das hysterische Wedeln der deutschen Fahne, das etwas zu laute Singen der Nationalhymne, das mantrische Verwenden von "unserem deutschen Volk" herrenlos durch die Gegend stromern, und deshalb gilt, das alles von der Straße zu holen.
 
Wie die "Ich auch"-Phase eines Zweijährigen
 
Der Grünenchef Robert Habeck sagte mal, der Begriff "Nation" gehöre umkämpft und zurückerobert. Zurückerobern, hm. Mit der Parlamentsarmee oder schon mit einer Sturmtruppe? Bewegt man sich hier bereits im Bereich der rhetorischen Reconquista? Die Grünen stellten ihre Sommerreise durch Deutschland deshalb unter das Motto "Des Glückes Unterpfand", bekanntlich diejenige Zeile der Nationalhymne, die am ehesten ans grüne Kernthema anschlussfähig ist. Glück meint die Selbstverwirklichung des Individuums und Unterpfand, ganz klar, eine Art Dosenpfand.
 
Auch der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist seit einigen Wochen mit seinem neuen Slogan rum: "Schwarz-Rot-Gold, das sind unsere Farben! Überlassen wir sie niemals den Verächtern der Freiheit." Auch hier wieder die Hoffnung, wenn es die Richtigen tun, werden es die Falschen bleiben lassen. Wenn Sozialdemokraten lange genug die deutsche Fahne schwenken, dann werden Neonazis irgendwann kapieren, dass das Schwenken von Schwarz-Rot-Gold den geforderten Mindestlohn von zwölf Euro bedeutet, und dann werden sie, ja, was eigentlich? Dann werden sie wohl etwas anderes hochhalten, sie bleiben aber noch autoritätssüchtige Bürger, die sich nach einem starken Führer sehnen. Wenn man etwas gegen Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und Hass auf Flüchtlinge tun will, muss man politische Programme auffahren. Auf Symbole mit Symbolhandlungen reagieren, das ist kein Konzept, sondern erinnert in seiner Hilflosigkeit an die "Ich auch!"-Phase von Zweijährigen. 
 
Was bedeutet denn nun Heimat? Ist man sich da langsam mal einig? Weiß Robert Habeck die Antwort? Horst Seehofer? Abgesehen davon, wo würde man eigentlich aufhören, den Rechten etwas "wegzunehmen"? Bis zu welchem Grad glaubt man, dabei gehen zu können? Würde man kinderreichen Müttern Bugaboos aus Emaille an die Brust pinnen? Jetzt mal vom Ende her gedacht, wie die Kanzlerin immer sagt: Ist es denkbar, ein für alle Mal die kontaminierten Symbole und Wörter aus dem Nationalsozialismus zu bereinigen? Dann wären auch die Missverständnisse, die den Politkommentatorenalltag ständig lahmlegen, für immer behoben. Gerade erst wurde der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, in die Mangel genommen, weil er irgendwo "Gleichschaltung" witterte. Oder man denke an die "Konservative Revolution", die der CSU-Politiker Alexander Dobrindt forderte. Sie besitzen am Ende nie das Nervenkostüm, die Wortwahl bis zum Schluss beizubehalten, aber sie versuchen es doch immer wieder. Warum also nicht gleich eine Stunde null für alle verdächtigen Wörter einführen. Generalamnestie für alle Symbole. Wer künftig "entartet" sagt, meint das Bienensterben.
 
Ab 5.45 Uhr wird zurückgepflanzt
 
Sollte das in diesem Tempo weitergehen, machen sich die Nazis in Europa breit, und die anderen sind damit beschäftigt, das Wörterbuch der Reaktionären, Nationalisten und Antidemokraten umzudeuten und anzueignen, als seien Symbole Tragetüten. Als könne man einfach etwas herausholen und etwas Neues reinstecken. Der Rechtsextremismus ist ein ideologischer Raum, der sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte entwickelte. Er funktioniert über Erzählungen, Literatur, Gedichte, Lieder, Biografien, Erziehung, Erfahrung, Traumata, Ängste und Taten. Deshalb müssen sich Rechtsextreme auch nie besonders anstrengen. Sie sagen das Wort, zeigen ein Symbol und rufen damit sofort die Assoziation ab.
 
Die blaue Kornblume ist so ein Beispiel. Rechtsextreme tragen neuerdings wieder die blaue Kornblume, in Anlehnung an seine Bedeutung als Erkennungszeichen österreichischer Nationalsozialisten. Der Antisemit Georg von Schönerer, ein Vorbild Hitlers, trug die Blume ebenfalls, so wurde aus dem unschuldigen Korbblütler ein Nazisymbol. Nun stand in der taz die Aufforderung "Lasst uns blaue Blumen pflanzen". Die Idee dahinter ist es, den "Bedeutungskampf" um die politische Instrumentalisierung zu gewinnen. Vereinnahmung von links oder so ähnlich. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, das linke Wählerpotenzial dafür zu mobilisieren. Ab 5.45 Uhr wird zurückgepflanzt. Und als Nächstes sich bitte das Hakenkreuz vorknöpfen. Die Swastika ist nämlich ein hinduistisches Schutzsymbol. Bitte die Swastika an den Kreidefelsen und jede deutsche Eiche hängen, den Rechten einfach keinen Millimeter Deutungshoheit mehr überlassen. Und dann hoffen, dass alles ganz von allein wieder demokratisch und friedlich wird.


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