Fünf vor 8:00: Nicht Moskaus Mann - Die Morgenkolumne heute von Alice Bota

 
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FÜNF VOR 8:00
26.04.2019
 
 
 
   
 
Nicht Moskaus Mann
 
Der neue ukrainische Präsident wäre eine Chance auf Entspannung gewesen. Doch es ist egal, wer an der Macht ist: Wladimir Putin will die Ukraine destabilisieren.
VON ALICE BOTA
 
   
 
 
   
 
   

Wladimir Putin hat dem neuen Präsidenten der Ukraine zwar nicht zum Wahlsieg gratuliert, aber ihm dafür ein ganz besonderes Geschenk bereitet: Putin hat am Mittwoch ein Gesetz unterschrieben, das den Menschen in der besetzten Ostukraine schon in Kürze schnellen und unkomplizierten Zugang zu russischen Pässen ermöglicht. Ausgerechnet jetzt, fünf Jahre nach Beginn des Krieges, drei Tage nach der Wahl von Wolodymyr Selenskyj.
 
Dabei ist, erstens, die doppelte Staatsbürgerschaft in der Ukraine nicht zulässig (auch wenn ein Oligarch wie Ihor Kolomojskyj sich gleich drei leistet). Zweitens ziehen Pässe Fakten nach sich – im georgischen Südossetien und Abchasien wurden vor dem Krieg 2008 und auf der Krim 2014 gleich nach der Annexion russische Pässe verteilt. Die Passverteilung in der besetzen Ostukraine untergräbt das Minsker Abkommen, das den Konflikt dort befrieden sollte. Weshalb sich die Frage stellt, ob die jetzige Passverteilung womöglich der Vorbote einer neuerlichen Eskalation in der besetzten Ostukraine ist. Am schwersten wiegt aber der dritte Einwand: Die Entscheidung drängt Wolodymyr Selenskyj politisch in die Sackgasse, noch bevor er überhaupt im Amt ist.
 
Russland sah Selenskyjs Sieg lange nicht kommen
 
Dabei ruhten in Moskau angeblich die Hoffnungen auf einem Machtwechsel in der Ukraine, als würde es nur an der ukrainischen Führung liegen, dass die Beziehungen sind wie sie sind. Petro Poroschenko wurde im russischen Staatssender als alter, verbrauchter Staatschef, der alles tun wird, um sich an der Macht zu halten, porträtiert. So wurde denn auch Selenskyj von Poroschenkos Leuten im Wahlkampf als Putins Mann in Kiew diffamiert. Wahlplakate zeigten Poroschenko und seinen Kontrahenten – nicht etwa Selenskyj, sondern Wladimir Putin. Seht her, wenn Selenskyj gewinnt, gewinnt Putin!, war die Nachricht. Dubiose Mails wurden veröffentlicht, die angeblich belegten, wie Selenskyj Geld für seine Kampagne vom Kreml bekam. Selbst die Social-Media-Konten von Selenskyjs Ehefrau wurden nach verfänglichen Posts durchforstet.
 
Die Beschuldigungen, eine Art russischer Agent zu sein, haben Selenskyj dennoch nichts anhaben können. Sein Wahlsieg ist mit 73 Prozent historisch, er gewann in der gesamten Ukraine außer in der Region Lwiw. Trotzdem sah man im Kreml Selenskyjs Wahlsieg offenbar lange nicht kommen. Vielleicht konnte man sich auch schlichtweg nicht vorstellen, dass so etwas möglich ist: ein demokratischer, friedlicher Machtwechsel in einem Nachbarland, das sich im Krieg befindet.

Hatte sich Petro Poroschenko für einen nationalistischen Wahlkampf entschieden mit der Losung "Armee, Sprache, Glaube", vermied Selenskyj jegliche Festlegungen. Nachdem am Donnerstag das ukrainische Parlament ein Sprachengesetz verabschiedet hat, das vorsieht, dass künftig an staatlichen Stellen verpflichtend Ukrainisch gesprochen werden soll, erlaubt sich Selenskyj immerhin leise Kritik daran: Man müsse Anreize schaffen, Ukrainisch zu sprechen, statt zu strafen. Dass das Gesetz auch ein Seitenhieb gegen ihn ist, dürfte er verstanden haben – Selenskyjs Muttersprache ist Russisch, er bemüht sich, Ukrainisch zu sprechen, aber es ist noch holprig.
 
Selenskyj kann nicht mehr ohne Weiteres auf Russland zugehen
 
Hatte Poroschenko den Donbass wirtschaftlich isoliert, wohl wissend, dass die Blockade das Leid von vielen kriegsgebeutelten Menschen verschlimmert, wollte Selenskyj für Menschen in den besetzten Gebieten den Zugang zu ukrainischen Renten vereinfachen und sie mit ukrainischen, aber russischsprachigen Sendern gewinnen. Sogar direkte Gespräche mit den von Russland unterstützten Separatisten wurden zwischenzeitlich in seinem Team erwogen. Kurzum: Unter Selenskyj wäre zwar sicher keine Abkehr von der bisherigen Russlandpolitik zu erwarten gewesen, aber womöglich hier und da Zugeständnisse, die die furchtbare Lage der Zivilistinnen und Zivilisten in der besetzten Ostukraine verbessern könnten.
 
Doch nun wurde Selenskyj von Wladimir Putin in eine politische Falle manövriert. Selbst wenn Selenskyj wie versprochen auf die Menschen im Donbass zugehen wollte, kann er das nun nicht ohne Weiteres tun. Es würde ihm als Schwäche gegenüber Putin ausgelegt. Unerfahren und schwach zu sein eilt ihm, dem politischen Neuling, ohnehin als Ruf voraus. Im Oktober wählen die Ukrainer ein neues Parlament – will Selenskyj in seiner Amtszeit etwas bewegen, dann muss seine Partei (die derzeit zwar beliebt ist, aber nur auf dem Papier existiert) stärkste Kraft werden.
 
Wenn Wolodymyr Selenskyj in den kommenden Wochen offiziell das Amt des Präsidenten übernimmt, dann findet er nicht nur die Situation vor, das Bürgerinnen im besetzten Donbass eiligst mit russischen Pässen versorgt werden. Ihn erwartet auch ein russisches Embargo auf Öl und Kohle in die Ukraine. Angeblich eine Retourkutsche auf ein ukrainisches Embargo, wäre da nicht wieder der Zeitpunkt: Die russische Regierung verabschiedete es drei Tage vor der Wahl, als Selenskyjs Sieg schon gewiss war, es wird im Juni in Kraft treten.
 
Es ging dem Kreml nie darum, die Destabilisierung der Ukraine zu beenden und gar den kriegerischen Konflikt im Donbass zu befrieden. Wie auch – dafür müsste die russische Seite zunächst eingestehen, an diesem Krieg seit fünf Jahren beteiligt zu sein.

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.