Fünf vor 8:00: Trump folgt nur dem Bauchgefühl - Die Morgenkolumne heute von Martin Klingst

 
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10.04.2017
 
 
 
 


 
Trump folgt nur dem Bauchgefühl
 
Die furchtbare Giftgasattacke in Syrien mag den US-Präsidenten tief erschüttert haben. Aber gerade deshalb muss seine Kehrtwende in der Außenpolitik nicht von Dauer sein.
VON MARTIN KLINGST

Gestern noch verkündete US-Präsident Donald Trump, er werde keine Kriege für humanitäre Ziele führen. Jetzt aber rächt Amerikas Präsident die syrischen Opfer einer wahrscheinlich vom Assad-Regime befohlenen Giftgasattacke mit einem Raketenangriff.

Gestern noch sah Trump im russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Partner, mit dem er "großartige Geschäfte" machen wollte – gerade auch in Syrien. Jetzt sind Amerikas Beziehungen zum mit Assad verbündeten Russland aufs Äußerste gespannt. Manche sprechen schon vom gefährlichsten Konflikt zwischen den beiden Mächten seit der Kuba-Krise.

Hat sich Donald Trump um 180 Grad gedreht? Kehrt er nach gerade einmal drei Monaten im Weißen Haus zurück zu manchen realpolitischen Einsichten seiner Vorgänger? Will er also Amerika – anders als angekündigt – doch nicht aus den Weltkonflikten heraushalten? Will er nicht zusehen, wie Russland, der Iran und Assad Syrien zugrunde richten? Und will er mit seinem Überraschungscoup gar die Karten in der Krisenregion neu mischen?

Vielleicht. Nicht auszuschließen, dass Amerikas Militärschlag Bewegung in die verfahrene Lage bringt. Und dass Russland zwar nicht seine Interessen in Syrien, aber vielleicht den Menschenschlächter Assad fallen lässt.

Gut möglich aber ebenso, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Dass der Bürgerkrieg weiter eskaliert und dass Russland und der Iran jetzt erst recht das syrische Regime stützen.

Amerikas Reaktion auf den Giftgasangriff ist durchaus nachzuvollziehen. Welche politischen Schritte aber darauf folgen sollen, weiß keiner. Donald Trump schon gar nicht. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten ist kein Stratege. Er hat sich nicht intensiv mit den vielen Facetten des Bürgerkriegs beschäftigt, er hat sich nicht eingehend beraten und nicht alle Optionen geprüft.

So sieht und so macht er nicht Politik. Hinter seiner Entscheidung für einen Militärschlag steckt eine spontane Gefühlsaufwallung, aber kein langfristiger Plan für Syrien oder die Region.

Spontan eine Lektion erteilt

Wie meist wird Trump vor allem von Emotionen gelenkt. Die grausamen Bilder der Giftgasopfer, vor allem jene der ermordeten Kinder, hatten ihn wie alle, die zu menschlichen Regungen fähig sind, extrem aufgewühlt und aufgebracht. Und wie so oft meinte Trump auch in diesem Fall, spontan handeln und den Tätern eine Lektion erteilen zu müssen.

Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Und es war höchste Zeit, Assad endlich eine rote Linie aufzuzeichnen. Doch wie so viele Überzeugungen in Trumps Leben muss auch die jetzige Kehrtwende in seiner Außenpolitik nicht von Dauer sein.

Berechenbar ist allenfalls seine Unberechenbarkeit. Sie gehört zu seinem Wesen, ist eine Konstante und bestimmt auch sein Regierungshandeln. Anders als Obama wägt Trump nicht tagelang die Argumente und er geht nicht vor einer schwerwiegenden Entscheidung mit sich allein im stillen Kämmerlein in Klausur.

2013 scherte ihn das Völkerrecht wenig

Trump ist kein nüchterner Verstandesmensch, sondern folgt dem Bauchgefühl, der Intuition und den Launen. Seine Twittermeldungen beweisen das jeden Tag aufs Neue. Diese Unbeständigkeit macht es auch so schwer, ihn selbst dann zu unterstützen, wenn seine Maßnahmen für den Moment vernünftig erscheinen. Denn morgen kann Trump die Welt schon wieder mit ganz anderen Augen sehen.

So preist er Amerikas Militäraktion jetzt als großen Erfolg und lässt sich – in Abgrenzung zu Barack Obama – als einen Präsidenten feiern, der rote Linien wie das völkerrechtliche Verbot von Giftgaseinsätzen nicht nur ernst nimmt, sondern notfalls auch militärisch durchsetzt.

Doch vor dreieinhalb Jahren scherte Trump das Völkerrecht noch wenig. Im September 2013, als Vorgänger Obama nach einem Giftgasangriff der syrischen Armee vor der Frage stand, ob er einen Raketenangriff auf syrische Stellungen befehligen sollte, twitterte Trump: "Präsident Obama, greifen Sie Syrien nicht an! Es gibt keine Vorteile und gewaltige Nachteile!"

Die furchtbare Giftgasattacke mag Trump in der Tat tief erschüttert haben. Aber dass bei dem Militärschlag nicht seine Gefühle Regie führten, sondern der Respekt vor dem Völkerrecht, will man ihm nicht abnehmen. Auch deshalb nicht, weil Amerikas Vergeltungsschlag für die Giftgasopfer, wenngleich menschlich und politisch nachvollziehbar, selber nicht vom Völkerrecht gedeckt ist.

Weder lag ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats vor noch war Amerika selber angegriffen. Die – selbst in den USA sehr umstrittene – Rechtsgrundlage für die Intervention in Syrien war allein die sehr weit ausgelegte Präsidentenvollmacht im Falle einer Gefährdung der nationalen Sicherheit.

Keine Zuflucht für Syrer in Amerika

Bislang hatte Donald Trump jedenfalls wenig übrig für internationale Vereinbarungen und die Menschenrechte. Eine halbe Million Menschenleben hat der syrische Bürgerkrieg bereits gekostet. Jeden Tag gibt es Bilder von getöteten und grausam verstümmelten Menschen. Nicht nur Giftgas, auch Fassbomben und andere Waffen richten furchtbares Unheil an. Doch Trump war bislang nicht einmal bereit, ein paar Tausend syrischen Flüchtlingen in Amerika Zuflucht zu gewähren. Für Syrer sollte sogar sein Einreisebann gelten.

Obamas Zögern 2013 mag verständlich gewesen sein. Amerika war kriegsmüde, der 44. Präsident scheute ein neues, unkalkulierbares Risiko. Und der Kongress wollte selbst einem nur sehr begrenzten Militärschlag aus der Luft nicht zustimmen.

Doch im Rückblick war es ein großer Fehler, die rote Linie nicht mit Waffengewalt durchgesetzt zu haben. Die Russen standen 2013 noch nicht mit Truppen in Syrien und auch der Iran war nur am Rande beteiligt. Gezielte Schläge der Amerikaner gegen die syrische Luftwaffe hätten das Assad-Regime entscheidend schwächen können.

Damals hätte man noch leichter eine Flugverbotszone verhängen und Schutzzonen für die Not leidende und flüchtende Zivilbevölkerung einrichten können. Doch Obamas militärische Zurückhaltung schuf ein Vakuum, in das dann der Kreml und das Regime in Teheran stoßen konnten.

Jetzt liebäugelt auch Donald Trump mit Flugverbotszonen und geschützten Rückzugsgebieten für Flüchtlinge. Wie er sie gegenüber Russland und dem Iran durchsetzen will, verrät er allerdings nicht.

Vielleicht muss er das auch nicht, weil er womöglich morgen schon wieder anders darüber denkt.


 
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