| | Ist Urlaub wirklich so erholsam, wie man hofft? © Mike Wilson/Unsplash |
Ich war 13 und er war 18. Wir hatten uns in einer Hoteldisco in Cala Ratjada auf Mallorca kennengelernt. Klaus mochte James Browns Sex Machine. Er hatte mich aufgefordert, in der Hotelbar mit ihm zu diesem Song zu tanzen.
Nach ein paar handgeschriebenen Briefen kam Klaus mich in Köln besuchen. Er hatte nicht nur den Führerschein, sondern bereits ein eigenes Auto, mit dem er aus Haltern in Westfalen angereist war. Zur Sicherheit hatte sich meine beste Freundin mit einer Taschenlampe, Fix-&-Foxi-Heften und einer ganzen Prinzenrolle bewaffnet, im quietschgrün verkleideten Kleiderschrank meines Jugendzimmers als Zeugin versteckt.
Ich weiß nicht, wer von uns dreien sich mehr gelangweilt hat an diesem Nachmittag, als Klaus und ich auf meinem Schlafsofa Cola tranken und er viel über Autos sprach, denn: meine Urlaubsbekanntschaft lernte Kfz-Mechaniker.
Der Besuch war so schrecklich wie der Urlaub, der ihm vorangegangen war. Aus Prospekten mit Bildern voll beigebraun gestalteter Zimmer und türkisfarbener Pools hatten die Eltern, wie man es eben so machte, ein Angebot mit Vollpension ausgewählt. Und so flog man alljährlich irgendwohin, die Stewardessen nie hübsch, die Eltern nie friedlich und die Sonnencreme nie gleichmäßig verteilt. Und verbrachte seine Zeit in Pools voller Chlor und Kinderpisse, mit sich pellenden Schultern und sich streitenden Eltern.
Geschmähte Spaßtouristen
Das Ganze nannte sich "die schönste Zeit des Jahres". Bekräftigt und verlängert wurde diese sich nicht selbst erfüllende Prophezeiung im Rahmen schier endloser Dia-Abende im hauseigenen Partykeller, wo die Urlaubsmitbringsel drapiert und die Nachbarn abgefüllt waren
Die Welt hat sich seither oft gedreht, doch wie schnell sie das inzwischen auch tun mag: die stetig anschwellende Zahl an Urlaubern lässt sich nicht abschütteln – Urlauber, die sich auch und erst recht in digitalen Zeiten weiterhin aufs Unerbittlichste erholen wollen.
Klar, nach "Malle", in die "Dom Rep" oder nach "Fuerte" fahren längst nur noch als Asis geschmähte Spaßtouristen und machen dort, was der Kölner mit "Suffe, poppe, danze" umreißt. Die sie belächelnden Distinktionsreisenden kennen wahlweise bezaubernde, einsame Fleckchen inmitten dieser Prollzonen – "Ich schwöre dir, den Nordosten kennen nur die Einheimischen…" – oder fahren gleich nach Mikronesien oder Bora Bora und werfen in ihrem als sanfter Tourismus euphemisierten Angebertum melancholische Blicke aufs womöglich demnächst absaufende Eiland.
Einatmen, ausatmen
Das Ganze nennt sich weiterhin trotzig "die schönste Zeit des Jahres". Auch die Beweisführung der vollzogenen Erholung erfolgt bis heute mittels Foto: Das einst eigenhändig gerahmte Dia mutierte zum mit Retro-App gestalteten Selfie.
Ohnehin sind der Urlaub und seine Pluralversion, die Ferien, ein Retrophänomen, das in jeder Generation und Einkommensklasse neu bespielt, aber nie in Frage gestellt wird. Es folgt, wie so vieles, der dualen Logik all jener, die nur bis zwei zählen wollen. Also etwa dem Primat des Einatmen-Ausatmens der Yogis, oder des work-hard-play-hard, dem sich die Yuppies verpflichtet fühlen. Die sehr große Schnittmenge zwischen diesen beiden Lifestyle-Kollektiven ist mit Achtsamkeit geflutet: Im Arbeitsalltag gilt es auf äußerste Produktivität, im Urlaub auf äußerste Entspannung zu achten – wie sein kleiner Bruder, das Hobby, ist Urlaub immer identitäts- und systemstabilisierend.
Ich werde vors Brandenburger Tor gekotzt haben.
Und so fährt der Designfreak wacker in Designerhotels, die Yogini ins Yoga Retreat und der seinen Alkoholismus als Connaisseurtum tarnende Säufer macht "Vinotravel" – Erholung in der Fremde mittels Geborgenheit im heimischen Ritual. Sich etwas gönnen, den Kindern etwas bieten und ansonsten nahezu den gesamten Globus zum Schauplatz einer potenziellen Erholungsbeschaffungsmaßnahme umdeuten: Wir nennen es Urlaub. Nun muss man nach Erholung gierenden Produktivkräften nicht gleich dialektisch kommen. Wenn aber Arbeit das Gegenteil von Leben ist, wie es die Work-Life-Balance suggeriert, dasjenige also, von dem man sich erholen muss, um es, erholterweise, neuerlich optimal bedienen zu können, dann ist das Erholen selbst Teil der zu kompensierenden Arbeit. Erholung 2.0 folgt dieser Logik in der Zack-zack-Version. Zu Cala-Ratjada-Zeiten hieß es ja noch, die Entspannung setze erst ab der dritten Urlaubswoche ein. Weil außer Beamten, Künstlern und Rentnern niemand mehr so viel Zeit hat, wirft die Generation Easy-Jetset Kurzurlaube in die Waagschale der Work-Life-Balance – sieben kleine Mahlzeiten am Tag sollen ja auch gesünder sein als drei große.
Die lieben Bildungsbürger
Das Konzept Kurztrip kennt man ohnehin gut von Geschäftsreisen: Mit großem Aufwand zu nichtigen Anlässen an weit entfernte Orte reisen. Ob Geschäft oder Erholung: Der symbolhafte Raum ist hier immer der Duty-Free-Shop, der einem bereits qua Namen von jeder Pflicht entbindet, außer der einen: des Kaufens von Dingen, die im besten Fall unnötig, in jedem Fall aber weltweit überall sonst verfügbar sind.
Ist am Ende ja auch egal, wo und wie lange genau wir – möglicherweise bei besserem Wetter – das tun, was wir auch zu Hause machen: irgendjemandes Bruttosozialprodukt steigern. Ja, ich höre euch, liebe Bildungsbürger, ihr kauft nicht stangenweise Kippen, literweise Johnny Walker oder die gesamte Farbpalette des long lasting lipstick von Clinique. Ihr sprecht Landessprachen, ihr kennt interessante Einheimische und widmet euch ausgiebig den in Form von Artefakt oder Naturschauspiel kanonisierten Kulturgütern also known asSehenswürdigkeit.
Reisen ja, Urlaub nein
Aber, let's face it, auch ihr findet Erholung allein in jener Logik, nach der man vorher genau weiß, was man später erleben und empfinden wird. Wo das Futur 2 eurer Selbstbeschwörung lautet: Ich werde beeindruckt gewesen sein, lautet das des Partytouristen eben: Ich werde vors Brandenburger Tor gekotzt haben.
Ob Natur, Kultur oder Exzess: Immer fliehen wir mitsamt unserer sogenannten Lieben vor uns selbst zu uns selbst. Oder bestenfalls zu der Möglichkeit eines anderen Lebens, die wir uns mittels des Rückflugtickets vorauseilend verbaut haben.
Wie auch immer – ich jedenfalls habe nach Klaus keine weitere Urlaubsbekanntschaft mehr gemacht. Weil ich nie mehr Urlaub gemacht habe. Herumgekommen bin ich schon: Ich habe in anderen Ländern gelebt und gearbeitet und bin gelegentlich zu weit entfernten Menschen oder Ereignissen gereist. Das war oft schön und anregend, bloß niemals erholsam. Musste es auch nicht sein, denn Anstrengendes finde ich deutlich weniger beschwerlich als Erholsames.
Es gibt ohnehin kaum etwas, von dem ich mich erholen möchte. Außer bisweilen von mir selbst und dem Quatsch, den ich so mache, aber da hilft ein Urlaub eben auch nicht weiter.
Heike-Melba Fendel ist Autorin und Inhaberin der Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment. Sie lebt in Köln und Berlin. Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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