Eltern sind übrigens auch Menschen Wer Kinder hat, wird zum Dauer-Bittsteller: um familientaugliche Arbeitsbedingungen, um einen Kitaplatz. Frustrierend. Wir müssen unser Sozialsystem dringend ändern. VON ANJA MAIER |
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| | Das Gerangel um einen Kitaplatz gehört zum Alltag junger Eltern. © Andrew Branch/Unsplash |
Fast vergessen, aber es stimmt. Zur Geburt unserer Tochter im Jahr 1988 bekamen der Kindsvater und ich tausend Ostmark aufs gemeinsame Girokonto überwiesen. Für alles, was so ein Baby halt brauchte: Kinderwagen, Bett, Matratze, Windeln. Mein Mutterschutz betrug ein halbes Jahr – sechs Wochen vor und zwanzig Wochen nach der Geburt. Das bezahlte "Babyjahr" bei vollem Lohnausgleich hätte auch vom Vater des Kindes genommen werden können, wir waren ja verheiratet. Aber dazu kam es nicht mehr, wir trennten uns kurz nach der Geburt. Als am Ende dieses komplizierten Sommers mein Semester wieder anfing, bekam ich für das neun Monate alte Kind einen Kitaplatz in fünf Minuten Laufentfernung und zusätzlich zu meinen 200 Mark Stipendium fünfzig Mark Zulage, außerdem fünfzig Mark Kindergeld und einen Kohlegutschein. Eher selten trafen Unterhaltszahlungen ein; falls nicht, halfen meine Eltern aus.
Man kann sagen, es war ein Leben auf niedrigem, aber okayem finanziellen Niveau. Und, dies vor allem, es handelte sich um ein soziales Gesamtpaket, das mit minimalem bürokratischem Aufwand verbunden war. Ich war nicht dankbar dafür, warum auch? Das Geld stand mir zu. Es wurde mir nicht gewährt, spendiert, zugestanden – oder wie auch immer man das nennen möchte. Mir begegnete auch kein Misstrauen, ob ich die Sache mit dem Kind auch allein packe. Ich war eine Mutter und damit ganz weit oben in der sozialen Hierarchie dieses ja sonst in vielerlei Hinsicht misstrauischen und rückwärtsgewandten Landes. Niemand fragte etwa je nach, wofür wir die tausend Mark ausgegeben hatten. Das Ganze ist mittlerweile so lange her, dass ich noch mal nachschauen musste – aber ja, so war es.
Nun, fast dreißig Jahre später, traf ich mich am Donnerstag vor Ostern mit einer Kollegin in der Elternzeit. Die Frau: glücklich, wenngleich den Umständen entsprechend ein wenig übernächtigt. Das Kind: reizend und duftig wie ein warmes Brot. Der Vater: im Büro. Wir aßen Pizza und ich fragte sie: "Was wünschst du dir im Wahlkampfjahr von der Politik?" Prompte Antwort: "Einen Kitaplatz."
Unwürdiges Gerangel
Es stellte sich heraus, dass das Elternpaar zwar feste Verabredungen mit den jeweiligen Arbeitgebern getroffen hatte, was ihren Wiedereinstieg in den Job anging. Dass diese Verabredungen aber momentan als nicht einzuhalten einzustufen sind. Denn quasi seit der Geburt des kleinen Jungen tingeln Mama und Papa durch die Kitas der Hauptstadt, wo sie wegen eines Betreuungsplatzes vorwinseln. Dafür, dass sie das Beste und Liebste, das sie haben, anbieten und herzeigen müssen wie überreife Ware, bekommen sie dann Absage um Absage. Manchmal nicht mal eine Antwort. Statt über die Krabbelfortschritte ihres Sohnes, drehen sich die Gespräche innerhalb ihrer sozialen Bezugsgruppe um Kitaplätze. Wo kriegt man einen her? Wie stellt man es am klügsten an? Wer kennt jemanden, der jemanden kennt? Und warum, verdammt, gibt es eigentlich keine zentrale Vergabestelle, um dieses unwürdige Gerangel zu vermeiden?
Der Berliner Kitaplätzemarkt ist in etwa so eng wie der Immobilienmarkt: Glücklich, wer doch noch was gefunden hat – die Bedingungen diktiert der Markt. Und wer es sich leisten kann, löst die Sache über Geld: mit einer privaten Nanny. Natürlich gibt es da immer auch diese alte Erzählung, nach der sich "am Ende schon irgendwas ergibt". Aber he, ist das der Standard, auf dem sich dieses Land familienpolitisch bewegen sollte? Und soll das so bleiben? Als eine, die mit dem Kinderprojekt durch ist, denke ich: Nun macht endlich mal hinne! Aber die Parteien machen nicht hinne, sondern einfach alles wie immer.
Die Union denkt über "Bildungskonten" nach, Horst Seehofer gar über einen Kinderwagen-Zuschuss. Die Grünen sinnieren über das "Familienbudget", das steuerlich entlasten und Armut verhindern soll. Die SPD kommt mit der "Familienarbeitszeit" um die Ecke. Und die Linke will das Kindergeld drastisch erhöhen, dort spricht man gar von "Infrastruktursozialismus".
Endlich mal den Grundton ändern
Schon beim Lesen der fluffigen Labels wird einem ganz blümerant. Die Botschaft: Wünscht euch doch mal was Schönes. Dann kann die Opposition nach der Wahl sagen, an ihr habe es nicht gelegen. Und die Regierungsparteien dürften es anschließend machen wie immer. Hier zehn Euro mehr Kindergeld, da eine Herdprämie, dort fünf Euro für ein "warmes Mittagessen". Für all das lassen sie die Kommunen mindestens zehnseitige Anträge aushecken; mal sehen, ob die Eltern die knacken. Und wehe, sie reichen mal nicht rechtzeitig, vollständig, beglaubigt und in dreifacher Kopie die Unterlagen fürs Kindergeld/die Kitakosten/den Unterhaltsvorschuss/das Wohngeld ein. Dann werden sie sanktioniert. Aber das wird ihnen nicht mitgeteilt, sondern es wird einfach weniger oder gar kein Geld überwiesen. Mitwirkungspflicht, was für ein schönes deutsches Wort.
Ja, der Ton ist rau und vor allem misstrauisch, wenn es um Geld für Familien geht. Schreiben vom Amt kommen ohne persönliche Ansprache aus, ohne Unterschrift sowieso. Rückrufnummern sind geheime Staatssache. Die Bürgerin könnte anrufen und Antworten wollen – wo kämen wir da hin?
Kostenfreie Betreuung
Als letztes Jahr meine jüngere Tochter ihre Ausbildung abgeschlossen und damit ihren Anspruch auf Kindergeld endgültig verwirkt hatte, nahm ich den ganzen dicken Korrespondenzstapel und schmiss ihn im hohen Bogen in den Papiermüll. Korrekt, aber misstrauisch und vor allem nie persönlich – so hatten die Kindergeldstelle und ich in den zurückliegenden dreiundzwanzig Jahren miteinander kommuniziert. Und damit, mit der Kommunikation, fängt doch alles an. Oder? Der Mensch möchte wenn schon nicht nett, so doch wenigstens respektvoll behandelt werden. Auch Eltern.
Eben dieser freundliche Umgang dürfte aber nur der Anfang sein. Was Politiker wie Horst Seehofer oder Martin Schulz gerade öffentlich erörtern, sind Basisforderungen. Die elternzeitende Kollegin – was will die denn? Ökonomische Sicherheit, eine halbwegs planbare Arbeitsbiografie und Qualität in der Kinderbetreuung. Wie ginge das? Jeder weiß es, keiner zieht es wirklich durch: Steuerentlastung von Familien, und zwar allen Formen von Familien. Also Steuerfreibeträge für Kinder erhöhen, die Sozialbeiträge spürbar senken und das mittelalterliche Ehegattensplitting abschaffen. Das Arbeitsrecht so modernisieren, dass Erwachsene während der Familienphase nicht länger Bittsteller sind, sondern selbstbestimmte Leute, die man gern im Unternehmen hat und hält. FreiberuflerInnen, Alleinerziehende, Beeinträchtigte, Zugewanderte würden selbstverständlich gleich behandelt. Natürlich müsste die Betreuung kostenlos werden, Kitas müssten perfekt ausgestattet und die ErzieherInnen endlich anständig bezahlt werden.
Und, ich erwähnte es, endlich mal den Grundton ändern. Eltern, das sind ja nicht nur Hochleistende. Das sind Leute mit ziemlich wenig Schlaf, oft wenig Geld und dem Bedürfnis, sowohl eine gute Zeit mit ihren Kindern zu haben als auch guten Gewissens arbeiten gehen zu können. Kinder kosten eine Gesellschaft nun mal richtig viel Geld. Ihnen lediglich zuzugestehen, worauf sie einen Anspruch haben, macht die ganze Sache nicht besser. Sondern einfach unattraktiv. Anja Maier, Jahrgang 1965, ist "taz"-Journalistin und Autorin. Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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