10 nach 8: Sabine Horst über "The Fast and The Furious"

 
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10.04.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Ich bin wegen Diesel da
 
"Fast & Furious 8" kommt ins Kino. Alpha-Typen, Autos und Frauen als Spielzeug, möchte man denken. Aber Vin Diesel hat das Zeug, alle Klischees zu unterlaufen.
VON SABINE HORST

Vin Diesel in "Fast & Furious 8" © Universal Pictures
 
Vin Diesel in "Fast & Furious 8" © Universal Pictures
 
 

Autos sind so ziemlich das Uninteressanteste, was es gibt. Okay, ich besitze eins. In Signalrot, damit ich es auf größeren Parkplätzen wiederfinde. Weil ich einen VW nicht von einem Audi und einen SUV nicht von einem Kleinbus unterscheiden kann.

Aber ich habe alle The Fast-And-The-Furious-Filme gesehen, manche sogar zweimal. Da werden illegale Straßenrennen gefahren (die meisten Leute wissen, dass man so was nicht zuhause machen sollte; es springt ja auch keiner von Brücken auf fahrende Züge), und die vollkommen überrüsteten Wagen, eigentlich eher Raketen, sind knallbunt, damit auch Kfz-Dummies wie ich mitkriegen, wer gerade als erster in die Kurve geht. Nach einer Rechnung der Los Angeles Times hat sich diese Serie in die Top Five der populärsten Film-Franchises geschmuggelt – hinter Schwergewichten wie Marvel-Kino, Star Wars, Bond und Potter. Und die Macher wissen, dass viele Zuschauer nicht wegen der Autos kommen. Ich zum Beispiel bin wegen Vin Diesel da.

Es muss die Szene in Teil eins gewesen sein, in der er als Star der Rennszene von Los Angeles in einer Werkstatt mit seiner Freundin Sex hat. Stiernackiger Super-Alpha-Typ, Mädchen im Tank-Top, Kotflügel, Schrauben, Öl – sind wir im Bahnhofskino? Nein, denn bei Diesel kann man damit rechnen, dass solche Arrangements anders aufgelöst werden als üblich. Er heißt hier Dominic Toretto, kurz "Dom" – wie der tonangebende Partner in einer BDSM-Beziehung. Aber er lässt sich umstandslos toppen von Michelle Rodríguez, die damals gerade als Boxerin in Karyn Kusamas preisgekröntem Girlfight ins Kino geplatzt war und bis heute keine Gefangenen macht. Rodríguez zerrt ihrem Dom also das Hemd von den Schultern, bemerkt fürsorglich, dass er nicht immer den Taffen geben muss … und ein weiches, warmes Licht sorgt dafür, dass Diesels ausladende Schultern so schmiegsam wirken wie ein Mädchen-Dekolleté.

Auffallend multiethnische Besetzung

Die Fast-And-Furious-Produktionen überbrücken die Kluft zwischen Actionkino und Date Movie; sie spielen ironisch mit Machoklischees und achten darauf, dass die Frauen mitgenommen werden. Außerdem, das passt ins Bild, ist die Besetzung auffallend multiethnisch: Der vor drei Jahren gestorbene Paul Walker, Diesels Co-Star, war von Anfang an das "Weißbrot" in einem Ensemble, das hauptsächlich aus Italoamerikanern, Hispanics, Schwarzen, Asiaten und, inzwischen, dem kanadisch-afrikanisch-samoanisch-irischen Dwayne Johnson besteht. Das macht die Serie auf dem internationalen Markt extrem leichtgängig – und wird gern kopiert.

Vin Diesel ist die Marke, die alles zusammenfasst: Multikulti und neue Männlichkeit. Geboren 1967 als Mark Sinclair Vincent in Kalifornien, aufgewachsen in Greenwich Village, mit italienischen und afroamerikanischen Wurzeln, hat der Schauspieler ein interessantes Gespür für das Großstadtleben zwischen Kiffern, Losern, Cruising- und Kreativszene entwickelt – davon erzählt sein selbstinszenierter und -geschriebener Langfilm Strays von 1997, in dem er einen proteingestärkten, aber entnervten Aufreißer spielt, der mal zur Ruhe kommen will.

Anfang der 2000er war Diesel nicht nur der Star in The Fast And The Furious. Er hatte gerade die Scifi-Horror-Geschichte Pitch Black abgedreht, eigentlich ein B-Film, aber so smart und kompromisslos gemacht, dass Diesel den Part des charismatischen, mild cyborgischen Outlaws Riddick später noch zweimal aufnahm; ein neuer "Riddick" ist angekündigt. 2002 folgte dann der Agentenfilm xXx, und das wäre sein großer historischer Auftrag gewesen: Bond entmachten!

Samuel L. Jackson als Chefagent der NSA sagte es in xXx an: "Es ist Zeit für etwas Neues". Im Kino nebenan erledigte Pierce Brosnan gerade seinen vierten und letzten 007-Job im Nadelstreifenanzug; Tom Cruise hatte zwei Mission: Impossible-Filme hinter sich und überschritt die 40er-Marke … Würde uns bitte mal jemand aufwecken? Vin Diesel brachte ein vitaleres Modell ins Spiel. Sein Xander Cage war kein festangestellter Agent mehr, sondern ein "Freiberufler" – von Haus aus Extremsportler und nur vorübergehend vom Geheimdienst zwangsverpflichtet. So schien er auch weniger fürs Vaterland zu kämpfen als für die Jugendkultur, die Rapper, Gamer und Snowboarder. Xander hatte es nicht nötig, sich durch die pedantische Auswahl kultivierter Alkoholika als Mann zu legitimieren – sein Getränk war Himbeer-Soda, also PINK –, und er konnte seinen Blick so herunterdimmen, dass wir ihn mit unseren Töchtern zum Abschlussball geschickt hätten. Diesels Szenen mit dem Schurken Marton Csokas wirkten  – lange vor Bonds hingenuschelter "maybe bi"-Ansage in Skyfall – mindestens so heiß wie die mit Asia Argento: Auf beiden Seiten des Zauns zu spielen – das wäre für einen wie Xander kein großes Ding gewesen. Und dann war da dieser Mantel, so ein Siebziger-Jahre-Teil in Pelz mit voluminösem Schafwollkragen. Jeder kann in einem Anzug von Tom Ford etwas hermachen. Aber ein Pelzmantel? Dafür braucht man Eier.

Ein Metrosexueller im Body eines Superhelden

Diesel hat auf dem roten Teppich auch schon einen Rock zum soften Pulli getragen. Er bezeichnet sich offensiv als "ethnischen Schauspieler" und thematisierte die merkwürdige Gemengelage, die ihn für praktisch alle Ethno-Fächer der Mainstreamkultur untauglich macht – zu italienisch für Latinos, zu dunkel für weiße und zu hell für schwarze Parts –, in seinem Kurzfilm Multi-Facial über eine Casting-Tour in New York. Den Provokateur, das Enfant terrible hat er aber nie gegeben. Ich habe ihn mal auf einer Berlinale-Pressekonferenz erlebt, zu einem Gerichtsdrama von Sidney Lumet, in dem er als komischer Mafioso richtig und ernsthaft gut war. Auf dem Podium erschien er im adretten Hemd und nahm es mit Grazie hin, dass fast alle Fragen an den Altmeister Lumet gerichtet wurden. Diesel weiß, was sich gehört, er kennt sich in der Filmgeschichte aus.

Der Mann ist ein Metrosexueller im Body eines Superhelden – und er hätte seinerzeit alle Debatten um einen schwarzen, schwulen oder sonstwie abweichenden Bond mit einem Schlag erledigen können. Aber er wollte ambitioniertere Filme machen und ist schon nach seinem ersten Auftritt aus der xXx-Serie ausgestiegen; für Die Rückkehr des Xander Cage war es zu spät – das Sequel, das kürzlich herauskam, traut seinem Helden nicht mehr und schickt ein junges Team zur Unterstützung in die Schlacht.

Vielleicht hat er Hollywood überfordert

Die männlichen Stars des Mainstream-Kinos haben sich ja auch in den fünfzehn Jahren, in denen Diesel sich mit Action und Fantasy durchschlug, wieder sauber ausdifferenziert: Hier die ausgehungerten Nerds, die Cumberbatchs, Hiddlestons, Garfields und Redmaynes, dort die hunks, blonde, gesunde, muskulöse Typen wie Charlie Hunnam oder die Hemsworth-Brüder, dazwischen mal ein black actor oder ein Gael García Bernal, der heißblütige lateinamerikanische Revolutionäre und Künstler spielt. Diesel sieht aus wie keiner von denen, und keiner sieht aus wie er. Vielleicht hat er Hollywood einfach überfordert. Oder die haben alle Multi-Facial nicht gesehen, in dem eine kleine Szene eine zweite mögliche Karriereschiene aufzeigt: Der Mann, der als Dominic Toretto wie ein kleiner Pate für den Fast-And-Furious-Clan sorgt – da läuft auch viel über gutes Essen –, hätte die Italo-Stars Al Pacino und Robert De Niro beerben können.

Vielleicht kommt mit dem Alter, Diesel geht auf die Fünfzig zu, noch die Wende. Ist mir aber egal. Bei Fast & Furious 8, jetzt im Kino, bin ich dabei, obwohl mir diese Ankündigung ein bisschen Angst macht: "Die Familie wird zerbrechen". Und dann ist da ja noch diese dunkle, leicht angerauhte Stimme, demnächst in Guardians of the Galaxy Vol. 2. Da wird er zwar als Sprecher des knuffigen Kunstgeschöpfs Baby Groot mutmaßlich nur Drei-Wort-Sätze zu sagen haben: "I am Groot." Aber ich bin sicher, seine Modulationsfähigkeit wird in den sozialen Medien so differenziert diskutiert werden, als ob’s De Niro in der Spiegelszene von Taxi Driver wäre.

Sabine Horst lebt in Frankfurt, hat als Kulturjournalistin unter anderem für die "Frankfurter Rundschau" gearbeitet und ist seit 2002 Redakteurin bei "epd Film". Nebenbei schreibt sie für DIE ZEIT, "chrismon.de" oder den "Tagesspiegel" über Kino, Fernsehen und alltagskulturelle Themen. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".
 

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