Nun durfte der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi doch in Deutschland für die äußerst umstrittene Verfassungsreform und die zunehmend repressive Politik seines Präsidenten werben. Am Sonntag trat Zeybekçi erst in Leverkusen und dann in einem Kölner Hotel auf.
Es ist in der Tat sehr schwer erträglich, wenn türkische Politiker hierzulande für ein Präsidialsystem Partei ergreifen, das die Türkei noch autoritärer und illiberaler machen wird. Aber "schwer erträglich" ist kein rechtliches Kriterium für ein Auftrittsverbot.
Gemäß der deutschen Verfassung dürfen grundsätzlich auch ausländische Politiker in Deutschland für ihre Belange Wahlkampf machen, das ist von der Meinungsfreiheit geschützt. Sie garantiert allen Menschen, also auch Besuchern aus dem Ausland, ihre Ansichten frei bekunden zu dürfen. Artikel 5 des Grundgesetzes ist ein sogenanntes Jedermannsrecht und sagt: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern."
Dieses Recht dürfen ausländische Politiker auch auf einer Versammlung für sich in Anspruch nehmen, also auch auf einer eigens für sie einberufenen Kundgebung. Nach Artikel 8 Grundgesetz steht das Versammlungsrecht zwar nur Deutschen zu. "Alle Deutschen", steht da, "haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Manche behaupten deshalb auch, mit dieser Einschränkung wollte das Grundgesetz verhindern, dass fremde politische Konflikte hierzulande ausgetragen werden. Aber das stimmt so nicht. Zwar müssen in erster Linie Deutsche die Veranstaltung anmelden und sich dort versammeln, aber selbstverständlich dürfen dort auch geladene ausländische Gäste sprechen und für ihre Belange werben.
Das ist auch immer wieder geschehen und dafür gibt es unzählige Beispiele. Im Sommer 2007 etwa trat in Berlin der Wahlkämpfer und amerikanische Präsidentschaftskandidat Barack Obama vor mehr als 200.000 Menschen auf. Er durfte zwar nicht direkt vor dem Brandenburger Tor sprechen, aber vor der Siegessäule. Auch der heutige türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sprach Anfang 2008 als Premierminister vor rund 16.000 Zuhörern in der Köln-Arena.
In den vergangenen Tagen nun wollten der türkische Justizminister Bekir Bozdağ im badischen Städtchen Gaggenau und der türkische Wirtschaftsminister in Porz bei Köln auf Versammlungen Wahlkampf machen. Beide wollten in Deutschland lebende Türken oder Deutsch-Türken mit Doppelpass für das von Präsident Erdoğan gewünschte Präsidialsystem gewinnen. Am 16. April soll darüber in einem Verfassungsreferendum abgestimmt werden. In der Türkei selber ist das Volk darüber offenbar sehr gespalten, in der Diaspora hingegen scheint eine klare Mehrheit dafür zu sein. Für einen Sieg braucht Erdoğan darum die Stimmen der im Ausland lebenden türkischen Staatsbürger.
Bürokratie darf das Versammlungsrecht nicht einfach aushebeln
Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind ein hohes verfassungsrechtliches Gut. Sie gehören zum Kern einer freiheitlichen Demokratie und dürfen nur ganz ausnahmsweise eingeschränkt werden. Für die Genehmigung von Versammlungen sind in der Regel die lokalen Ordnungsbehörden zuständig. Diese Genehmigung darf nur verweigert werden, wenn eine konkrete und nicht anders abwendbare Gefahr vorliegt.
Allerdings sind die Ämter oft recht erfinderisch, wenn sie eine ihnen missliebige Veranstaltung verhindern wollten. Das stellten die Bürgermeister von Gaggenau und Porz wieder einmal unter Beweis. Mal gab es angeblich zu wenig Parkplätze, mal einen zu großen und nicht mehr beherrschbaren Besucherandrang für die zu kleinen Räume, mal zu enge Anfahrtswege für die Feuerwehr.
Diese Argumente sind vorgeschoben und fadenscheinig. Denn wenn der eine Versammlungsort aus organisatorischen oder sicherheitspolitischen Gründen nicht passt, muss halt ein anderer her. Es wäre jedenfalls fatal, wenn Ordnungsbehörden das Versammlungsrecht mir nichts, dir nichts mit bürokratischen Einwänden aushebeln könnten.
Armutszeugnis deutscher Bildungspolitik
Natürlich müssen sich auch die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht an anderen Grundwerten der Verfassung messen lassen. Ausländische Politiker dürfen hierzulande nicht uneingeschränkt propagieren, strikteren Beschränkungen zu unterliegen als deutsche.
Nach Paragraf 47 Aufenthaltsgesetz kann einem Ausländer eine politische Kundgebung untersagt werden, wenn sie das "friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern" oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, wenn sie den außenpolitischen Interessen Deutschlands zuwiderläuft oder "Parteien, andere Vereinigungen, Einrichtungen oder Bestrebungen" im Ausland fördern soll, "deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind".
Dafür lassen sich zumindest auf den ersten Blick triftige Gründe finden. In der Türkei werden andauernd Oppositionelle unter fadenscheinigen Argumenten verhaftet und ohne Urteil weggesperrt. Kritische Medien und kurdische Parteien werden drangsaliert oder verboten. Erdoğan regiert zunehmend repressiv und autoritär und will sich mit dem Verfassungsreferendum weitere Macht verschaffen.
Meinung oder Wahlkampagne?
Allerdings: Er führt das Präsidialsystem nicht diktatorisch ein, sondern will das Volk darüber abstimmen lassen. Seine bisherige Politik wird bislang von der Mehrheit der Türken unterstützt. Ein Auftrittsverbot für türkische Regierungspolitiker nach Paragraf 47 Aufenthaltsgesetz hätte – einmal ganz abgesehen von den politischen und diplomatischen Verwicklungen – wohl kaum Bestand vor einem deutschen Gericht. Ebensowenig taugt der Vorschlag, Erdoğans werbenden Vertretern ein Visum zu verweigern.
Wenn man hierzulande keinen fremden Wahlkampf will, bräuchte man ein Gesetz, dass ausländischen Politikern genau das verbietet – und zwar unterschiedslos, egal ob sie Obama oder Erdoğan heißen. Nur: Wann liegt eine gezielte Wahlkampagne vor und wann lediglich eine geschützte freie Meinungsäußerung, die auf einer Kundgebung geäußert wird? Diese Grenze zu ziehen, wäre schwierig und heikel.
Deutsches Bildungssystem hat offenbar völlig versagt
Der Streit um das Auftrittsverbot verdeckt ein ganz anderes Problem: Wie kann es sein, dass türkische Politiker, die für ein autokratisches Regierungssystem werben, Tausende der hier lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen begeistern? Die meisten dieser Menschen leben schon lange in Deutschland, viele sind zum großen Teil sogar hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangenen. Wie selbstverständlich genießen sie die Werte und Rechte unserer Gesellschaft, nehmen den Rechtsstaat und die im Grundgesetz verbürgten Freiheiten tagtäglich für sich in Anspruch. Wie also können diese Menschen Gefallen an einem repressiven Präsidenten und einer illiberalen Demokratie finden?
Unsere Integrationspolitik und unser Bildungssystem haben hier offenbar völlig versagt. Die elementaren Regeln unseres deutschen Wertesystems, zu dem unter anderem die Menschen- und Bürgerrechte, die Gewaltenteilung, die Achtung von Minderheiten zählen, konnten augenscheinlich vielen Bürgern (zu denen übrigens auch mehr als genug sogenannte "Urdeutsche" gehören) nicht beigebracht und vermittelt werden. Das ist ein Armutszeugnis, ein riesengroßes, beängstigendes Versäumnis und sollte schnellstens besser gemacht werden. |
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