Fünf vor 8:00: Bindestrich? Voll AfD-mäßig - Die Morgenkolumne heute von Jochen Bittner

 
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 FÜNF VOR 8:00
16.03.2017
 
 
 
 


 
Bindestrich? Voll AfD-mäßig
 
Das Deppenleerzeichen breitet sich immer weiter aus. Ohne Widerstand wird der Bindestrich bald tot sein. Das zeigt die Verführungskraft irrationaler Moden. Wehrt Euch!
VON JOCHEN BITTNER

Es tut mir weh, wirklich. Ich spüre die Leerstelle in der Magengrube. Wann immer ich dieses Leiden in Redaktionskonferenzen thematisiere, schauen mich die Kollegen zwar mitleidig, aber auch entgeistert an, ihre Gesichter sagen dann: Der Rechtschreib-Nazi wieder.

Mir egal. Ich denke, dass ich weder Faschismus noch eine Zwangsstörung habe. Ich glaube einfach, dass der Zusammenbruch von Zivilisationen mit Kleinigkeiten beginnen kann – mit scheinbaren Kleinigkeiten, um genau zu sein. Der schleichende Tod des Bindestrichs ist so eine. Ja, doch.

Vielleicht ist der Kampf gegen seine Auslöschung und – vor allem – gegen die Geisteshaltung, die dahinter steckt, schon verloren. Vielleicht hat sich aber auch einfach noch nicht genug Widerstand gebildet. Gegen Husten und Bronchial Tee, die, bah!, in derselben Packung stecken. Gegen DHL Paketboten, die offenbar Bindungsangst vor ihrem Arbeitgeber haben. Gegen eine Deutsche namens Islam Konferenz. Oder gegen ein NDR Philharmonie Orchester, dem man eigentlich unterstellen sollte, die ebenso schöne wie bedeutsame Funktion des Kompositums zu kennen.

Gibt's keine anderen Probleme?, höre ich Sie fragen, mit ähnlichem gefaltetem Gesichtsausdruck wie meine Kollegen. Doch klar, die gibt es. Die Bedrohung der europäischen Aufklärung durch populistische Bewegungen zum Beispiel. Der Punkt ist bloß: Die Ausbreitung des Deppenleeerzeichens ist ein Geschwisterchen dieses Phänomens. Denn es zeigt die Verführungskraft von irrationalen Moden, die Abschüssigkeit von Irrwegen, die immer leichter zu betrampeln werden, je mehr Leute denselben Denkfehler machen. Oder das Nachdenken einfach sein lassen.

Ich will kein DHL Paket und keine ICE Fahrkarte, ich will ein DHL-Paket und eine ICE-Fahrkarte, denn ich werde ungern von Unternehmen beliefert oder befördert, die die Gesetze der Logik opfern, um einem Trend hinterherzudackeln, den irgendwer einmal in die Welt gesetzt hat, weil ihm die angelsächsische ungekoppelte Schreibweise irgendwie, äääh, weltläufiger vorkam. Das ist jedenfalls meine Vermutung zum Ursprung des Deppenleerzeichens. Layout-Unterhaltung beim Marketing-Meeting: Bindestrich ist so Fraktur, Alter. Irgendwie altdeutsch, AfD-mäßig. – Jo, hast Recht. Mega old-style-miefig. Können wir voll nicht auf unser 1.000 Körner Müsli kleben.

Mir persönlich ist bloß jeder, der sich unhinterfragt einem Herdentrieb ergibt, schwer unsympathisch, egal ob er nun Kosmopolit oder Nationalist ist, egal ob er Tütensuppen produziert oder Wahlprogramme.

Und, liebe Werbefuzzis: Kommt nicht mit der Rechtsschreibreform. Auch nach den neuen Regeln ist das Auslassen von Bindestrichen in Komposita unzulässig. Das hat gute Gründe. Der Hinweis "Wir ändern Frauen, Herren Kinder Bekleidung" heißt beispielsweise etwas fundamental Anderes als "Wir ändern Frauen-, Herren-, Kinder-Bekleidung". Williams Schwestern sind andere Personen als Williams-Schwestern. Und "Ihr Rundfunk Beitrag für gutes Programm" (so ein Werbeaufkleber des SWR) könnte ein Kompliment für eigenständig funkende Bürger sein, ist wahrscheinlich aber überhaupt nicht so gemeint. Der deutschen Sprache die Kopplung zu klauen ist so, als würden man Schrauben aus einem Gebälk drehen. Warum nur sollte man das tun?

Gerade bei sehr emotionalen Themen gilt: Keine Meinung ohne Recherche. Deshalb habe ich bei DHL nachgefragt, was konkret sie gegen den Bindestrich haben. Das Unternehmen antwortete, es behalte sich vor, die Schreibweise bestimmter Unternehmensbereiche "aus Gründen der Lesbarkeit und Klarheit abweichend zu regeln".

Grundlage seien die "Corporate Wording-Vorgaben". Sie seien "Teil unserer Markenarchitektur", und erlaubten es, "als global agierendes Unternehmen gegenüber unseren Kunden mit weltweit einheitlichen Marken- und Produktnamen aufzutreten". Aha.

Die DHL muss also deutsche Begriffe falsch schreiben, damit keine internationale Verwirrung entsteht?
Nun ja, antwortet ein DHL-Sprecher, "man könnte dies so betrachten, aber tatsächlich handelt es sich nicht um deutsche Begriffe, sondern um Produkt- und Markennamen, die wir weltweit verwenden".

Der DHL-Paketbote muss also DHL Paketbote heißen, damit man ihn weltweit einheitlich falsch schreiben kann.
Es ist to-tal ga-ga.



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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.