Max Planck Schools im Wettbewerb | Open Science Cloud in Europa | 3 ½ Fragen an Ruben C. Arslan | Gastkommentar Tilman Reitz zum Urheberrecht

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
diese Woche steht Hannover an, es ist Cebit-Woche und damit Techie-Time. Den Zeichen der Zeit können wir uns natürlich nicht entziehen. Ruben C. Arslan, Doktorand in der biologischen Persönlichkeitspsychologie, plädiert in den Dreieinhalb Fragen für ein Peer Review vor der Datenerhebung und für Open Science. Und der Soziologe Tilman Reitz von der Uni Jena mischt sich im Gastkommentar in den Streit um Open Access und die geplante Urheberrechtsreform ein.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Max Planck Schools, ein Magnet im Wettbewerb?
Im weltweiten Wettbewerb um junge Talente bringt Deutschland ein neues Format an den Start: die Max Planck Schools. Studenten, Doktoranden, Postdocs und Professoren aus aller Welt sollen sich darin Seite an Seite einem wissenschaftlichen Schwerpunktthema widmen können. An den Schools können sich neben Universitäten nicht nur die namensgebende Max Planck-Gesellschaft beteiligen, sondern alle außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Schools werden – Achtung! – kein eigenständiges Promotionsrecht bekommen, das bleibt bei den Unis. Die ersten drei Schools möchte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka noch vor der Sommerpause bestimmt wissen. Wie Jan-Martin Wiarda in seinem Blog weiter berichtet, werden die Schools zunächst im Pilotbetrieb über eine Laufzeit von fünf Jahren angelegt, als Fördervolumen sei ein „mittlerer einstelliger Millionenbetrag“ in der Diskussion. Ob das reicht, um die internationale Wissenschaft zu rocken?
  
 
 
Europa plant Open Science Cloud
Wer sich das Gedrängle und Geschiebe auf der Cebit nicht antun will, dem sei die Open Science Conference in Berlin empfohlen. Dort bleibt man in der Digitalisierungsdebatte ganz bequem im Sitzen auf dem Laufenden. Diskutiert wird etwa über die European Open Science Cloud. Sie ist ein Teil der forschungspolitischen Agenda von EU-Forschungskommissar Carlos Moedas und soll Forschungsdateninfrastrukturen in Europa so miteinander verknüpfen, dass Wissenschaftler ihre Daten international und standortübergreifend miteinander tauschen und teilen können. Wie genau die Cloud in Europa gestaltet werden könnte, ist noch unklar. Fachwissen ist gefragt. Ganz aktuell sucht die EU-Kommission Experten, die sich über die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens Gedanken machen wollen. Bewerbungen sind bis 4. April möglich. Weitere Informationen dazu gibt es in Brüssel bei der Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen, KoWi.  
  
 
 
Kultusminister stoppen Masterplan zur Medizin
In der Politik gibt es bisweilen ganz wunderbare Wortschöpfungen. Beschlussreife zum Beispiel. Beschlussreif sind Pläne, bei denen ein Konsens in der Sache und in der Finanzierung besteht. Beides muss gesichert sein, sonst droht das jeweilige Vorhaben, als Rohrkrepierer zu enden. Der Reform des Medizinstudiums bleibt dieses Schicksal vorerst erspart. Die KMK nahm den Masterplan Medizinstudium 2020 Ende vergangener Woche kurzerhand von der Tagesordnung, weil die Finanzierung der Jahrhundertreform nicht geklärt ist (Deutschlandfunk, Deutsches Ärzteblatt). Eigentlich eine gute Nachricht. Und dann auch wieder nicht. Denn es kommt ja nicht ganz so häufig vor, dass sich Wissenschaftler, Hochschullehrer, Kliniken, Fakultäten, Ärzteschaft und Medizinerverbände untereinander einig werden, und sich dann auch noch mit der Politik auf ein Reformprojekt verständigen können.
  
 
 
Prekäre Forschung, ängstliche Personaler
Ein Jahr nach der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes geht die Debatte zur Prekarität in der Wissenschaft unvermindert weiter. Pünktlich zum Jahrestag treibt die GEW Hochschulen weiter vor sich her  – und kündigt Klagen an (Spiegel, Saarbrücker Zeitung, Junge Welt). Unterstützt wird das gewerkschaftliche Plädoyer zur Entfristung auf hoher politischer Ebene: „Ich erwarte auch von den Hochschulen, dass sie ihre Befristungspraktiken überdenken und Tenureprogramme in der Karriereentwicklung nutzen“, erklärte BMBF-Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen vergangenen Donnerstag bei einer Tagung der Hanns Martin Schleyer-Stiftung in Berlin und forderte von akademischen Entscheidern „mehr Mut“ zur Entfristung.
  
 
 
Studentische Tränen
Sprechstunde, und Sie wollen eigentlich nur kurz das Hausarbeitsthema oder das nächste Forschungsprojekt absprechen. Doch dann: Tränen! Aufgelöst sitzt der Student vor Ihnen, bahnt sich die verflüssigte Wimperntusche der Studentin ihren Weg gen Goethe-Text, den sie eigentlich analysieren soll. Was tun? Der Chronicle hat Tipps, zum Beispiel diesen: „Maintain your boundaries and protect your energies as much as possible. Your professional duties are already demanding. Nobody benefits when you take on the additional stresses and pressures of helping students navigate their emotional lives.“
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
570.000 Euro

haben Thüringens Hochschulen im Jahr 2015 für externe Gutachten ausgegeben. Viel zu viel, findet der Thüringer Landesrechnungshof und rügt die Wissenschaft in seinem jüngsten Bericht
 
Quelle: MDR
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Ruben C. Arslan

Doktorand in der Psychologie an der Uni Göttingen und Fellow im Wikimedia-Programm "Freies Wissen"
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Wahrscheinlich mehr als die Hälfte aller psychologischen Studien lässt sich nicht replizieren. Das hat eine ziemliche Krise ausgelöst. Aber anscheinend sind wir mit diesem Problem nicht allein, mangelnde Replizierbarkeit plagt andere Disziplinen auch. Neu war mir, dass einige der besten Lösungsideen außerhalb der Psychologie recht unbekannt sind.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Journals und Forscher wollen aufsehenerregende Ergebnisse, um Schlagzeilen und Karriere zu machen. Dafür wird auch geschummelt. Beliebt ist es, an der Statistik zu drehen oder sogar ganze Studien in Schubladen verschwinden zu lassen, wenn sie nicht zur „Story“ passen. Der Prozess ist völlig intransparent, kein Wunder, dass sich diese Studien nicht replizieren lassen. Peer Review vor der Datenerhebung kann dieses Problem lösen. So wird nur beurteilt, ob Fragestellung und Methode interessant und solide sind – und nicht, ob es Schlagzeilen geben wird. Die Studie wird also beim Journal präregistriert. Erst dann werden Daten erhoben. Das bekämpft Publikationsbias, das „Schubladenproblem“. Schon 48 Journals machen bei dieser „registered report“ RR- Initiative mit. Außerhalb der Open-Science-Bewegung in der Psychologie ist die Initiative unbekannt, aber das Verfahren macht fast überall Sinn.

Lektüre muss sein. Welche?
Das Buch Bad Pharma von Ben Goldacre hat mich auf den Trichter gebracht, dass die Präregistrierung genau so zur Wissenschaftlichkeit gehört wie die Kontrollgruppe.  Ich bin gespannt auf The Seven Deadly Sins of Psychology von Chris Chambers, das kommt am 2. Mai raus. Er leitet die RR-Initiative.

Und sonst so?
Die eigentliche Debatte findet online statt; die Blogs von Andrew Gelman und Simine Vazire kann ich empfehlen. Der Austausch mit den Fellows im „Freies Wissen“-Programm und unter Gleichgesinnten im Netz verhilft Open-Science-Aktivisten zu Durchhaltevermögen, wir können uns gegenseitig rückversichern, dass die Verteidiger des Status Quo uns doch nicht alle kleinkriegen.
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Gastkommentar
 
 
   
   
von Tilman Reitz
   
   
   
Verlagsmonopole und Forschungsmacht
In der Debatte um das wissenschaftliche Urheberrecht im digitalen Zeitalter scheinen die Fronten klar. Die akademischen Einrichtungen wollen möglichst kostenfreien Zugang zu Forschungs- und Lehrmaterialien, die Verlage und einige Forschende wollen dafür bezahlt werden. Entsprechend scharf sind inzwischen die Argumente: Die Verlage stehen als Nutznießer da, die aus öffentlich bezahlter Wissenschaft Profit schlagen wollen. Die Wissenschaft, meint die Gegenseite, ist mit ihren Visionen kostenfreien Zugangs im Begriff, eine vielfältige Verlagslandschaft zerstören.
Beide Seiten übergehen jedoch eine zentrale Entwicklung: den Konzentrationsprozess bei den Verlagen, der von den Forschungseinrichtungen unterstützt wird. Einzeln und im Verbund zahlen sie den Großverlagen hohe Lizenz- und Publikationsgebühren, um im akademischen Standortwettbewerb zu bestehen. Kleinere, profilierte Verlage kommen dabei unter die Räder. Open Access-Modelle, in denen die Publikation bezahlt wird, benachteiligen zudem Autoren ohne verhandlungsstarke Institution. Größere Zeitschriften verlangen derzeit 2000 Euro und mehr, damit ein Aufsatz zugriffsfrei das Licht der Welt erblickt.
Gegen diese doppelte Konzentration wären Maßnahmen nötig, die faktische Verlagsarbeit entlohnen, aber Monopolprofite aushebeln. Funktionieren könnte das so: Alle Texte öffentlich finanzierter Forschender, die bisher überwiegend von Hochschulen gekauft oder bezuschusst werden, müssten kostenfrei digital verfügbar gemacht werden. Die Lektorats-, ggf. Satz- und Druckleistungen der Verlage ließen sich durch gedeckelte, also nicht beliebig monopolistisch steigerbare Gebühren begleichen. Wissenschaftliche Essays und Bücher für ein breiteres Kaufpublikum verlangen dagegen ein anderes Geschäftsmodell: Sie dürften nur zu Preisen und Konditionen angeboten werden, die sich nicht nur Bibliotheken leisten können.
Die Verlage könnten beide Modelle verfolgen. Aber sie müssten sich bei jeder Publikation entscheiden, welches sie wählen. Entscheiden sie, dass ein Text prinzipiell marktfähig ist, müssten sie auch wieder echte Lektoratsarbeit leisten. Der Effekt wäre allgemein vorteilhaft: Die Wissenschaft kann zugriffsfrei in fachlichen Austausch treten, ohne sich an den Tropf der Monopolisten zu hängen. Und die Verlage können sich wieder in ihrem Handwerk bewähren – der Auswahl und der Gestaltung von Inhalten, die eine Öffentlichkeit interessieren.
Die Frage, wer in welcher Weise für die digitale Verbreitung der nicht zugriffsfreien Texte entschädigt wird, würde sich mit dieser Aufteilung neu stellen. Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort könnten dabei weiterhin eine konstruktive, von einem erneut angepassten Urheberrecht umrissene Rolle spielen.
 
Prof. Dr. Tilman Reitz lehrt Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie an der Universität Jena
   
   
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Quelle: phdcomics
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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