| | | | | von Jan-Martin Wiarda | | | Über Möglichkeiten nachdenken Der Widerspruch ist offensichtlich. Auf der einen Seite klagen viele den Verlust des akademischen Tiefgangs seit der Bologna-Studienreform, auf der anderen Seite wagt sich kaum eine Hochschule an mutige Studienmodelle. Die Politik lasse das nicht zu, so lautet die Standardausrede. Oder: Die engstirnigen Akkreditierer sind schuld. Wer so argumentiert, redet den eigenen Spielraum klein – und unterschlägt die eigene Verantwortung für zu kleinteilige Studienprogramme, eine zu frühzeitige Spezialisierung und zu wenig Studium generale in den ersten Semestern. Es ist doch ironisch: Ausgerechnet in den Vereinigten Staaten, die für ihre Studiengebührenexzesse gescholten werden, existiert eine Vielzahl so genannter Liberal-Arts-Colleges, die als Kern vierjähriger Bachelor-Programme das Sich-Bilden anbieten, die eingehende Beschäftigung mit den großen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fragen. Darüber hinaus gibt es ohnehin kaum ein Bachelor-Programm in den USA, das nicht in den ersten Semestern ein fachübergreifendes Überblicksstudium vorsieht, bevor die Studenten sich auf zumeist ein Haupt- und ein Nebenfach festlegen müssen. Zuletzt hat die Zahl ähnlicher Modelle in Deutschland in homöopathischen Dosen zugenommen, doch die erdrückende Mehrheit der Studiengangsverantwortlichen versteht hierzulande unter „mehr Tiefgang“ immer noch mehr Grundlagen aus dem eigenen Fach; „mehr Breite“ erschöpft sich meist in fachnahen Wahlmöglichkeiten. Und die gleichen Studiengangsverantwortlichen beschweren sich dann die übergroße Spezialisierung der Studienangebote und die Diktatur der „Verwertungslogik“. Wie wäre es, mal weniger über die Grenzen zu klagen, die Bologna und über 50 Prozent Studienanfänger setzen, und statt dessen über die Möglichkeiten nachzudenken, die sich hier eröffnen? Wenn dann die Politik und die Akkreditierer nicht mitspielen, kann man sich wirklich zu Recht über sie aufregen. | | | | | |
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