Betreuungsrelation | Fake Academia | 3½ Fragen an Ali Aslan Gümüsay | Gastkommentar Michaela Gugeler: Schluss mit dem 24/7-Worker!

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
 
   
 
 
 
 
 
 
 
 
   
   
Liebe Leserinnen und Leser,
2017 also. Los geht’s! Wir wünschen Ihnen ein glückliches neues Jahr, voller Neugier, Lust an der Wissenschaft und mit mindestens einer großen, neuen Erkenntnis. Und uns wünschen wir, dass Sie der ZEIT und unserem CHANCEN Brief als Leserinnen und Leser treu bleiben.
Dass wir auf der ein oder anderen wissenschaftspolitischen Baustelle weiterkommen, wäre auch schön. Michaela Gugeler macht im Gastkommentar mal den Anfang und wünscht sich ein Ende des familienfeindlichen 24/7-Arbeitsmodels. Und DAAD Prime Fellow Ali Aslan Gümüsay schlägt im Fragebogen „universitäre Bildungsabos“ vor. Gute Idee!
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Betreuungsrelation verschlechtert sich
Es gibt eine schlechte Nachricht in der guten. Die Zahl der Professorinnen und Professoren an deutschen Universitäten ist im Jahr 2015 gestiegen, um 154 auf insgesamt 26.927. Doch zugleich stieg auch die Studierendenzahl, hier gibt es von 2014 auf 2015 ein Plus um 23.614. Macht unter’m Strich – eine verschlechterte Betreuungsrelation. Sie liegt jetzt bei 1:67 (2014: 1:66; 2010: 1:60). Die Zahlen hat das Statistische Bundesamt für Forschung & Lehre erhoben. Jan-Martin Wiarda dröselt in seinem Blog die Zahlen genauer auf.
  
 
 
Mit guter wissenschaftlicher Publikationspraxis gegen Fake Academia
„Fake Academia“ nennt die NYT eine universitäre Schattenwelt, die sich rasant ausbreitet und den Publish or Perish-trainierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Pseudo-Zeitschriften und -Konferenzen das Geld abknöpft. Und die Seriösität. Die Leopoldina, die französische Académie des sciences und die britische Royal Society haben deswegen jetzt gemeinsame Leitsätze für hochwertige Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften formuliert und dem EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, Carlos Moedas, vorgestellt. Die Leitsätze folgen vier Kriterien: Wissenschaftliche Informationen sollen „effizient und hochwertig verbreitet, Interessenkonflikte vermieden, die Artikel fair geprüft und Auswahl und Redaktion durch anerkannte Wissenschaftler verantwortet werden“.
  
 
 
Personalia
Über die Weihnachtspause sind einige Personalia aufgelaufen, die hier kurz vermeldet seien: Dieter Jahn wird neuer Präsident der Technischen Universität Hamburg; geplanter Amtsantritt ist der 1. April. Zur Zeit ist der Mikrobiologe Jahn noch Vizepräsident für Forschung, Wissenschaftlichen Nachwuchs und Internationales an der TU Braunschweig. – Auch die Universität des Saarlandes hat einen neuen Präsidenten: Auf den Hochschulmanager des Jahres 2016, Volker Linneweber (ZEIT), folgt der Molekular- und Zellbiologe Manfred Schmitt. Amtsantritt ist der 1. März. – Susanne Eisenmann, Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg, ist neue Präsidentin der KMK. Die promovierte Germanistin sagte, sie wolle während ihrer Amtszeit insbesondere „noch mehr Überzeugungsarbeit für die Vorteile und Chancen der beruflichen Bildung“ leisten; Abitur plus Studium sei nicht „der einzig wahre Weg“. – Barbara Unmüßig und Ellen Überschaer bilden den neuen Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung; Geschäftsführerin bleibt Livia Cotta. – Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn die Ehrendoktorwürde erhalten. Er wurde damit für seine „Verdienste um die Förderung der deutschen Auslandsinstitute und des UNESCO-Weltkulturerbes sowie seinen beharrlichen Einsatz für die interkulturelle Verständigung“ ausgezeichnet. Es ist für Steinmeier der erste Dr. h.c. einer deutschen Universität. – Andrej Holm, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Stadtsoziologie, ist neuer Bau-Staatssekretär in Berlin. Bleibt er es auch, trotz Stasi-Vergangenheit? Die Humboldt-Universität muss entscheiden, ob Holm seine Stelle behält und setzt damit auch eine Richtungsentscheidung für die Politik (Tagessspiegel).
  
 
 
Vera Rubin
Am 25. Dezember 2016 starb die Astronomin Vera Rubin, eine Pionierin in der Erforschung Schwarzer Materie. Sie hätte einen Nobelpreis verdient, schreibt die Harvard-Physikerin Lisa Randall in der NYT, aber das Komitee neige seit jeher dazu, Wissenschaftlerinnen zu übersehen. Auf Brainpickings gibt es ein schönes Portrait über Rubin zu lesen, inklusive postkartentauglicher Zitate von Rubin. Zum Beispiel dieses hier: „So rather than teaching little girls physics, you have to teach them that they can learn anything they want to.“
  
 
 
Gutachten: Ruhig mal „nein“ sagen
Neues Jahr, neue Gutachtenwünsche. Viele sind zwingend, aber nicht alle. Vor allem jene von Studierenden oder angehenden Doktorandinnen und Doktoranden, die man kaum kennt. Im Chronicle schreibt Amy Weldon sehr lesenswert, wie sie damit umgeht und wie sie schon am Semesterbeginn klarstellt, dass  man sich Empfehlungsschreiben verdienen muss: „for my letters to mean something, I have to claim my right to say no.“ 
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
22 Prozent

Rückgang der im Journal „Plos One“ publizierten Artikel im vergangenen Jahr. 
2015 erschienen dort 28.106 Artikel, im Jahr 2016 waren es nur noch 22.054. Seit 2013 ist die Zahl der Publikationen in Plos One um 30 Prozent zurückgegangen. Grund sind deutlich weniger eingereichte Manuskripte aufgrund der Konkurrenz auf dem wachsenden Open Access-Markt.
Plos One ist die weltweit größte wissenschaftliche Zeitschrift.
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Ali Aslan Gümüsay

DAAD Prime Fellow an der Wirtschaftsuniversität Wien und Universität Hamburg
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen? 
Ich habe mich in einer LEAD-Studie gerade dem Thema Religion & Führung gewidmet. In Zeiten des Post-Faktischen  hilft  vielleicht  eine  Rückbesinnung  auf  Gegenpole  wie  ein  kulturelles  oder religiöses Pre-Faktische. Link: https://www.lead.ngo/ideas/research-series/religion-leadership.html

Die aktuell größte Fehlinvestition der Wissenschaftslandschaft? 
Nach fünf Jahren an der Universität Oxford spüre ich leider an vielen Stellen in Deutschland, dass es an Ressourcen für blühende Wissenschaftslandschaften mangelt und dass bürokratische Strukturen die Akteure einengen. Daher: mehr (Budget-)Freiheit, mehr Unterstützung bei der Lehrgestaltung, mehr Gelder für den Forschungsaustausch, und mehr Ressourcen für die Dissemination von Forschungsergebnissen – Stichwort: wie vermittle ich    wissenschaftliche Erkenntnisse und beantworte diese 3½ Fragen hier?  

Lektüre muss sein. Welche? 
Muße  und  Kult von  Josef  Pieper – für  affirmative Kontemplation! Dazu noch eine Prise Der  leere Spiegel von Janwillem van de Wetering; und etwas aufbrausend besinnlich: Siddhartha von Hermann Hesse. Immer wieder ein Genuss. 

Und sonst so? 
Vielleicht können wir von Zeitungen lernen und universitäre Bildungsabos einführen. Der  Slogan: Die Universität, die Sie bis an Ihr Lebensende begleitet. Schummerig-hoffnungsvoll – wie  der Blick in die Zukunft. 
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Gastkommentar
 
 
   
   
von Michaela Gugeler
   
   
   
Schluss mit dem 24/7-Worker!
Plötzlich hört man es allerorten, in Studien und Zeitungsartikeln (etwa in der ZEIT): Die Arbeitswelt der Babyboomer, die kulturell noch im vorletzten Jahrhundert wurzelt, sei nicht mehr kompatibel mit der heutigen Lebenswelt. Das ist nur logisch. Ein System, in dem die Arbeitszeit von Männern mit rund 70 Stunden pro Woche alleine deshalb möglich war, weil die Frauen ihnen mit Haus- und Fürsorgearbeit den Rücken frei gehalten haben, kann heute so nicht mehr funktionieren.
Alle wissen das – und doch dominiert unterschwellig weiterhin eben dieses alte Leistungsstereotyp, das der Männerforscher Michael Kimmel (Stony Brook University, New York) beschreibt als “’unencumbered worker’, the worker who is completely dedicated to his job, available to work 24/7”. Litten darunter früher meist nur Frauen, trifft es heute auch Männer – aus einem klassischen Gleichberechtigungsthema ist damit eines von genereller Relevanz geworden.
Das gilt auch in der Hochschulwelt. Wer nicht in die 24/7-Matrix passt, wird als leistungsschwach aussortiert. Erinnert irgendwie an Bourdieus These von der sozialen Reproduktion, finden Sie nicht? 
Es fehlt an persönlichen und beruflich etablierten Role Models mitten aus der Berufsrealität, zumal in der Wissenschaft. Wer heute auf einem Entscheiderposten sitzt, sollte sich also fragen, ob er das Stereotyp reproduzieren, oder Alternativen vormachen und ermöglichen will. Zum Beispiel so: 
Klare Grenzziehungen! Keine Sitzung nach 17 Uhr, flexible Skalierung der Arbeitszeit je nach Lebensphase. Dual Career-Angebote! Gerne auch derart, dass ein Wissenschafts-Paar sich bei geeigneter Qualifikation eine Professur zeitweise teilt. Und ein weiteres zentrales Schräubchen muss gedreht werden: Berufungskommissionen und Besetzungsverfahren müssen sich vom Kriterium der Quantität verabschieden und darauf verpflichtet werden, wissenschaftliche Qualität auch in Relation zu eventueller Erziehungs- und Pflegezeiten zu bewerten: Weniger Publikationen und Drittmittel können, etwa bei zwei Jahren Elternzeit, in Wahrheit nämlich eigentlich „mehr“ sein.

Michaela Gugeler ist Kunsthistorikerin und Politikwissenschaftlerin, sie arbeitete zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Form und Emotion“ und als wiss. Assistentin an der JGU Mainz.
   
   
Sind Sie anderer Meinung? Dann schreiben Sie an: chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
»Ich bin ein Prolo« Die Autorin Stefanie Sargnagel hat geschafft, was weiblichen Stars sonst verwehrt bleibt: Sie bestimmt die Spielregeln 

Auf der Suche nach der Heldenformel Eine Studentin, die einem Hooligan entgegentritt, ein Polizist, der Misshandlungen nicht akzeptiert – warum stehen manche Menschen gegen Unrecht auf? Die glücklichen 4,8 Prozent Noch nie war es so schwer, an einer Elite-Uni angenommen zu werden Not my president! Donald Trumps Sieg hat die Studenten geschockt. Aktivisten in Harvard, an der Columbia und der City University in New York müssen die erste Entrüstung in langfristigen Protest umwandeln. Kann das gelingen?

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Bald auch auf Ihrem Smartphone.

Quelle: Jorge Cham / PhD Comics
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Einen sonnig-frostigen Start in den Januar wünscht Ihnen

Ihr CHANCEN-Team

PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
   
Anzeige
Jobs im ZEIT Stellenmarkt
Jetzt Branche auswählen und Suche starten: