10 nach 8: Rosa Yassin Hassan über Demokratie in Syrien

 
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20.01.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Der Preis der Frauen
 
Gegen Vielehe und staatliche Diskriminierung: Wir wollten der weiblichen Bevölkerung in Syrien zu mehr Rechten verhelfen. Es war wie ein Gang durchs Minenfeld.
VON ROSA YASSIN HASSAN

Eine Syrerin auf dem Balkon ihrer Wohnung in Aleppo im Januar 2017 © George Ourfalian/AFP/Getty Images
 
Eine Syrerin auf dem Balkon ihrer Wohnung in Aleppo im Januar 2017 © George Ourfalian/AFP/Getty Images
 
 

Ende 2005 beschlossen wir, eine Gruppe aktiver syrischer Frauen, die Gründung eines Vereins namens Frauen für Demokratie. Wir wollten die Rolle von Frauen zur Stärkung der Demokratie untermauern, gemäß dem Grundsatz, dass es ohne die Beteiligung von Frauen keine echte Demokratie geben kann, und um zu betonen, dass Frauen ein Recht auf Freiheit und Demokratie haben – also genau das, was ihnen in unseren Gesellschaften verwehrt blieb. Frauen sind nicht nur die Hälfte der Bevölkerung, sondern sie ziehen auch noch die andere Hälfte auf, kurz: Sie formen die Gesellschaft maßgeblich.

Damals betrug der Frauenanteil im syrischen Parlament 12 Prozent; 30 von 250 Abgeordneten waren weiblich. Aber auch sie spielten nur eine formale Rolle wie fast alle anderen Volksvertreter, deren einzige Aufgabe darin bestand, die Beschlüsse der Führung von Staat und Partei abzunicken. Trotzdem gab es in Syrien mehrere aktive Frauenvereine, denen es gerade so gelang, die vielen roten Linien zu umgehen, um nicht verboten und aufgelöst zu werden. Anderen war bereits jede Tätigkeit untersagt worden, wie der 1957 gegründeten Vereinigung Syrischer Frauen, die auf eine Änderung frauenfeindlicher Gesetze hingearbeitet hatte.

So ist es bis heute nicht möglich, dass syrische Frauen, die einen Ausländer heiraten, die syrische Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weitergeben. Der genannte Verein setzte sich zudem dafür ein, dass Syrien dem Cedaw-Abkommen zur Beseitigung jeder Diskriminierung gegen Frauen beitritt. Syrien ratifizierte das Abkommen zwar, brachte aber Vorbehalte gegen fünfzehn seiner Artikel vor, die nach Meinung der syrischen Regierung gegen die Scharia verstießen, womit es wirkungslos wurde.

Alle Aktivistinnen zum Verhör

2007 wurde die Vereinigung verboten und ihre führenden Mitglieder waren Repressionen ausgesetzt. Ebenso erging es im selben Jahr dem Verein für Soziale Initiative, der für eine Änderung des frauenfeindlichen Personenstandsrechts eingetreten war und immerhin erreicht hatte, dass bei einer Scheidung die Mutter das Sorgerecht für Mädchen bis 15 und für Jungen bis 13 Jahre behalten durfte, ehe es auf den Vater überging. Im alten Personenstandsrecht waren es zwei Jahre weniger gewesen.

Als die Vereinsaktivistinnen jedoch gegen die Vielehe mobilisierten, reagierte der Moscheeklerus: Die Vorsitzende wurde in Predigten zur Ungläubigen erklärt und ihr Verein daraufhin von den Behörden aufgelöst. Menschenrechtsgruppen protestierten gegen die Maßnahme und beriefen sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, doch blieb ihr Protest folgenlos.

Unser Verein Frauen für Demokratie bestand aus politisch erfahrenen Frauen, die aus der linken Opposition kamen, etwa aus dem Umfeld der Kommunistischen Arbeitspartei. Viele von ihnen waren bereits unter dem Diktator Assad Senior für Jahre inhaftiert oder verfolgt gewesen. Wir entschlossen uns daher, als zivilgesellschaftliche Gruppe zu arbeiten und bemühten uns gar nicht erst um eine offizielle Zulassung, denn der Ausnahmezustand, mit dem die Baath-Partei seit ihrem Putsch 1962 regiert, schloss eine staatliche Genehmigung quasi aus. Aber kaum hatten wir uns über unsere Website vorgestellt und erste Arbeitsplanungen angestellt, wurden alle Gründerinnen zum Verhör in der Staatssicherheit einbestellt.

Demokratie auch in der Familie

Wir gaben gegenüber unseren Befragern offen an, dass es uns nicht nur um politische Demokratie gehe – was sie schlimm genug fanden –, sondern um Demokratie auch in der Familie und im öffentlichen Leben. Die Reaktion erfolgte in Gestalt von Entlassungen, sofern wir im öffentlichen Dienst arbeiteten, Ausreiseverbot (was mich betraf) und verschärfter Überwachung. Den Traum von einer öffentlichen Betätigung mussten wir somit zu Grabe tragen und machten geheim weiter, bis zum Beginn der Revolution von 2011.

Alle Frauen, die in Syrien versuchten, sich unabhängig zu betätigen, machten dieselben Erfahrungen. Es war wie eine Arbeit in einem Minenfeld und man musste zu großen Opfern bereit sein. Schließlich hatten wir es nicht nur mit einer Diktatur zu tun, sondern zusätzlich noch mit einer religiösen Machtinstanz, die mit dem Regime im Bunde stand und es nicht zuließ, dass jemand ihren Einfluss auf die Gesellschaft untergrub. Das Regime versuchte seinerseits seit Jahrzehnten, den Bereich Frauen für sich zu monopolisieren, indem es staatstreue Vereine gründete, wie 1967 die Generalunion für Frauen, deren Arbeit immer auf Regierungslinie lag. Später gründete Baschar al-Assads Ehefrau Asma die Syrische Organisation für Familienangelegenheiten, die ebenfalls zum Ziel hatte, jede Aktivität für Frauen auf sich selbst zu beschränken.

Die unabhängigen Frauen, die sich nicht bändigen lassen wollten, mussten dafür einen hohen Preis zahlen, und sie tun dies bis heute, da die Revolution zu einem Krieg geworden ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Aus dem Arabischen von Günther Orth



Rosa Yassin Hassan wurde in Damaskus, Syrien, geboren. Sie arbeitete sieben Jahre lang als Architektin, seit 2007 widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, zuletzt "Die vom Zauber berührten" (2016). "Wächter der Lüfte" wurde 2011 ins Deutsche übersetzt. Rosa Yassin Hassan hat 2006 die syrische Vereinigung Frauen für Demokratie begründet. Seit 2012 lebt sie mit ihrem Sohn in Deutschland. Sie ist Mitglied im deutschen PEN und Gastautorin von "10 nach 8". 
 

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10 nach 8
 
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