Stuttgart beschließt Studiengebühren | Stimme für die Lehre | 3 ½ Fragen an Felix Günther | Standpunkt Alina Oehler: Lächerliche Theologie

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
das unterschreiben alle: Die akademische Lehre muss besser werden! Geht es dann aber ums Geld, wird es kompliziert. Wer kommt für gute Lehre auf? Neue Denkanstöße dazu gibt es vom Wissenschaftsrat, aber auch aus Baden-Württemberg und GroßbritannienVor der Stichwahl am Sonntag in Frankreich bietet das Portal Bildung weltweit eine Übersicht zu bildungsrelevanten Aussagen der Präsidentschaftsanwärter Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Der in Frankreich und Deutschland tätige Mathematiker Felix Günther berichtet in den Dreieinhalb Fragen von einem Erfolgserlebnis, und Alina Oehler rät im Standpunkt dazu, den Wert des eigenen Fachs nicht klein zu reden.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Stuttgart beschließt Studiengebühren
Demonstrationen, Petitionen und Offene Briefe – entgegen aller Proteste führt Baden-Württemberg zum Wintersemester Gebühren für Studierende aus Nicht-EU-Staaten ein. Gestern verabschiedete die grün-schwarze Mehrheit im Stuttgarter Landtag das umstrittene Gesetz von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (SWR, Stuttgarter Zeitung). Gegen die Gebühr von 1500 Euro pro Semester hatten sich zuletzt auch einzelne Hochschulen gewandt. Der Senat der Uni Freiburg begründete sein Nein mit einem „hohen Verwaltungsaufwand“. Das Gesetz enthält vielfältige Ausnahmen, etwa für Studierende aus besonders armen Ländern.
  
 
 
Briten reformieren Hochschulgesetz
Es war ein Wettlauf mit der Zeit. Wenige Tage vor seiner Auflösung zu den Parlamentswahlen am 8. Juni hat das britische Unterhaus die seit Monaten umstrittene Hochschulnovelle verabschiedet (Independent, THE). Das Gesetz gilt als richtungsweisend und hochschulpolitisch einschneidend. Es forciert die Ökonomisierung der Hochschulen; Unis dürfen ihre Studiengebühren bis 2020 jährlich erhöhen, ohne zugleich die Lehrbedingungen verbessern zu müssen. Die Einführung des Teaching Excellence Frameworks ist bis 2020 vertagt. Das umstrittene Office for Students wird dagegen sofort errichtet und künftig auf Augenhöhe mit der mächtigen Quality Assurance Agency for Higher Education den Markt mit regulieren dürfen. Reaktionen auf die Novelle in THE und auf Twitter. Wie Premierministerin Theresa May zu Studiengebühren und Universitäten steht, findet sich im Studierendenmagazin der University Birmingham Redbrick: "It’s so important not to just think that university is the right route for everybody or that it is the only route."
  
 
 
Eine Stimme für die Lehre
Der Wissenschaftsrat macht sich bei den Freunden guter Hochschullehre beliebt und fordert eine eigenständige Förderorganisation für die Lehre (B.Z., Tagesspiegel, Südwestpresse, Oberbayerisches Volksblatt). In dem nunmehr verabschiedeten Positionspapier "Strategien für die Lehre" sind keine konkrete Zahlen zur Finanzierung der Lehrgemeinschaft genannt, doch ist ein Jahresbudget von rund 200 Millionen Euro angedacht. Eine klare Ansage findet sich in einer der vielen Fußnoten. Dort werden Bund und Länder aufgefordert, jährlich mindestens 1,1 Milliarden Euro zusätzlich für die Qualität der Lehre auszugeben. Die Idee, analog zur DFG eine Lehrgemeinschaft zu schaffen, ist nicht neu. Mit dem Wissenschaftsrat erhält sie nun aber einen besonders einflussreichen Befürworter. Der bekommt dafür tüchtig Applaus, vom Stifterverband beispielsweise, aber auch von der GEW.
  
 
 
Konfuzius in den USA
In Deutschland und Europa werden Konfuzius-Institute zwar kritisch beäugt, aber nicht alle wittern mit deren Einrichtung ein Anfang vom Untergang der wissenschaftlichen Freiheit. Die Uni Bonn hat erst kürzlich eins der Institute, denen in den USA nun ein eisiger Wind entgegen bläst. Die National Association of Scholars (NAS) ruft Universitäten zur Schließung der Institute auf (Inside Higher Ed, THE, University World News). Weltweit gibt es aktuell etwa 450 Konfuzius-Institute, 15 davon sind in Deutschland, 100 in den USA. Noch. “Institutions should have full control over who they hire, over what they teach, and Confucius Institutes basically act like class-in-a-box kits that come ready-made for universities to use”, erklärte Rachelle Peterson, die im Auftrag der NAS die Studie erstellte, mit der die Schließungsforderung begründet wird. Die NAS stellt sich selbst als eine Organisation dar, die sich unabhängig für geistige Freiheit an Hochschulen einsetzt. In der US-Wissenschaftsszene gilt sie jedoch als Verband, der dem konservativen politischen Lager nahesteht.

Uni Bonn https://www.uni-bonn.de/neues/118-2017
  
 
 
Masterplan Lehramtsstudium
Noch keine 100 Tage aus dem Amt, zeigt der ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats Manfred Prenzel öffentlich Meinungsfreude und Streitlust wie seit Jahren nicht. Im Blog von Jan-Martin Wiarda legt er sich mit der Kultusministerkonferenz an. Ihre Grundsätze zum Lehramtsstudium seien „zu allgemein“, „wenig verbindlich“ und ermöglichten eine „fast beliebige Interpretation vor Ort“, kritisiert Prenzel und fordert in Analogie zum Ende März beschlossenen Masterplan Medizinstudium einen eben solchen für das Lehramtsstudium. Er müsste „kein Hirngespinnst bleiben“, schreibt Prenzel, um schließlich ein konkretes Modell vorzuschlagen. Wie schade, dass er dafür erst WR-Chef a.D. werden musste.
  
   
   
   
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Erste Holocaust-Professur in Deutschland
Die Zeithistorikerin Sybille Steinbacher hat am Montag an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main die bundesweit erste Holocaust-Professur und mit ihr die Leitung des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts übernommen (Deutschlandfunk, Süddeutsche Zeitung, n-tv). Die gebürtige Münchnerin lehrte und forschte zuletzt an der Universität Wien.
 
TU Braunschweig erhält Präsidentin
Anke Kaysser-Pyzalla ist seit dieser Woche offiziell Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig. Die 50-Jährige löst Jürgen Hesselbach ab, der die TU seit 2005 führte. Kaysser-Pyzalla war bislang wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Material und Energie in Berlin. Zur Amtseinführung kündigte die erfahrene Wissenschaftsmanagerin die Förderung der „internen Diskussionskultur“ an.

Fit für die Spitze
Kümmerliche 17,6 Prozent der Hochschulen in Deutschland werden von Frauen geführt. In den Präsidien und Rektoraten beträgt der Frauenanteil aktuell zwar immerhin 25,7 Prozent, doch auch hier ist noch viel Luft nach oben. Eine Möglichkeit zum Aufstieg ins Management bietet die Leadership Academy der German Scholars Organization.Teilnehmen können deutsche Forscherinnen und Forscher im Ausland, die sich auf eine Führungsaufgabe in bundesdeutschen Wissenschaftseinrichtungen vorbereiten wollen. Bewerbungsschluss ist der 6. Juni. Weitere Informationen zum Stipendienprogramm finden sich hier.
 
Musikhochschule sucht Kanzler/in
Ganz aktuell sucht zum Beispiel die Musikhochschule Lübeck eine Wissenschaftsmanagerin oder eben auch einen Wissenschaftsmanager. Denn natürlich können sich auf die Kanzlerposition Männer und Frauen bewerben. Aber: In der Ausschreibung steht explizit, dass bei "gleichwertiger Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Frauen vorranging berücksichtigt" werden. Interessiert? Ein Klick führt Sie zum ZEIT-Stellenmarkt.
 
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Felix Günther

DAAD-Stipendiat an den Mathematikinstituten der TU Berlin und der Université de Genève
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Es ist äußerst wichtig, Mädchen schon früh für MINT-Fächer zu begeistern. Auf einem Auswahlseminar der Studienstiftung begegneten mir mehrere Kandidatinnen, die exzellente Mathematiknoten in ihrem Abiturzeugnis hatten – doch stattdessen studierten sie Medizin oder Jura! Der Mathematik und den Naturwissenschaften gehen auf diese Weise viele kreative Köpfe verloren. Umso mehr freute es mich, 2014 auf der MINT-Forscherwerkstatt der START-Stiftung und der Deutsche Telekom Stiftung den teilnehmenden Schülerinnen Mut zum Mathematikstudium zu machen. Eine von ihnen traf ich vor drei Monaten in Frankfurt am Main, wo sie nun Mathematik und Informatik studiert.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Die wenigsten Schülerinnen und Schüler bekommen in der Schule einen Eindruck davon vermittelt, was sie in den einzelnen Studiengängen erwartet und sie mit dem erlernten Wissen später anfangen können. Gleichzeitig möchten immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (zumindest zeitweise) den Elfenbeinturm verlassen. Wenn es uns gelänge, einen entsprechenden organisatorischen Überbau zu schaffen, könnten wir nicht nur die Abbruchquoten in den Studiengängen senken, sondern auch der in der ersten Frage angesprochene Problematik begegnen!

Lektüre muss sein. Welche?
Passend zur zweiten Frage möchte ich allen das Buch „Warum eigentlich genug Geld für alle da ist“ von Stefan Mekiffer ans Herz legen. Auf persönliche und sehr sympathische Weise beschreibt der Autor, den ich zuletzt auf dem von ZEIT ONLINE veranstalteten Z2X-Festival in Berlin traf, die Geschichte des Geldes, erklärt die Defizite des aktuellen Finanzsystems und zeigt eine Alternative auf, wie wir dem Teufelskreis von immer mehr Wachstum entfliehen könnten.

Und sonst so?
Mit zwei lachenden Augen und einem Lächeln auf den Lippen kommen einem die besten Forschungsideen. "Lachen und Lächeln sind Tor und Pforte durch die viel Gutes in den Menschen hineinhuschen kann", sagte schon Christian Morgenstern.
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Alina Oehler
Lächerliche Theologie
Wann hat das angefangen, dass Studenten wie Kinder behandelt werden? Ist mal wieder die Bologna-Reform schuld? Vielleicht. Mit Schrecken denke ich an Professoren zurück, die uns »Studis« nannten, oder an unangenehm-kuschelige Gruppenarbeiten, bei denen die Aufgaben einfach nur banal waren. Das neue »Kommentierte Vorlesungsverzeichnis« der katholischen Fakultät meiner Alma Mater Tübingen weckt schaurige Erinnerungen an mein Theologiestudium. Halten sich dort auf der Titelseite doch tatsächlich acht Comicfiguren an der Hand, lachen, führen ein Tänzchen auf – und recken dabei ein Transparent in die Höhe, auf dem steht: »KindergartenVoll-Versammlung«.
Ich bin fassungslos. Kann das das offizielle Aushängeschild der Fakultät sein, an der einst Größen wie Guardini, Ratzinger und auch Küng lehrten? Welches Bild vermittelt das jemandem, der Theologie studieren will? Und was sagt das über die Absolventen, also auch über mich?
Ich schicke einem Freund das Bild via WhatsApp. Der amüsiert sich: »Ist doch bestimmt ironisch gemeint!« Doch für mich ist das Titelbild ein Symptom, das auf eine Krankheit deutet: Wer soll uns Theologen denn noch ernst nehmen, wenn wir es selbst gar nicht mehr tun? Wenn wir uns (und unsere Lehrer) als Kinder definieren, die nicht wissen, was gut ist und was böse, was richtig ist und was falsch. Gerade das ist doch unser Kerngeschäft!
Dabei hat sich doch schon in genug Köpfen das falsche Bild vom weltfremden, sensiblen Öko-Theologen festgesetzt, der nicht über seinen Stuhlkreis (selbstverständlich mit gestalteter Mitte) hinausdenken will. Natürlich ausgestattet mit Birkenstocks (aber selbstredend nicht die hippe Variante) und Funktionskleidung in allen Farben des Regenbogens. Wir sind aber keine grünen Ökozausel! Warum machen wir uns selbst so klein? Das wird dem Theologiestudium nicht gerecht! Natürlich gibt es auch in der Theologie genug junge Menschen, die nicht erwachsen werden wollen oder für ein Studium eigentlich ungeeignet sind. Doch im Kern ist es eine ernsthafte, eine anspruchsvolle Wissenschaft, angesiedelt zwischen Philosophie, Geschichte, Recht, Pädagogik, Archäologie und alten Sprachen wie Griechisch und Latein.
Ein befreundeter älterer Priester fällt mir ein, der in der Nachkriegszeit bei Romano Guardini studierte. Guardini forderte absolute Disziplin. »Hat einer auch nur gehüstelt, musste er den Hörsaal verlassen«, erzählte mir mein Freund einmal. Diese Strenge ist heute nicht mehr einzufordern – ein wenig mehr Ernsthaftigkeit stünde dem akademischen Selbstbewusstsein aber sehr gut zu Gesicht. Damit auch andere verstehen: Theologie ist keine peinliche Privatsache, auch kein schwülstiger Wohlfühl-, sondern ein vernünftiger Sehnsuchtsort.

Alina Oehler (26) ist katholische Theologin und Publizistin. Ihr Kommentar erschien zuerst in der ZEIT-Beilage Christ & Welt #18 vom 27. April 2017.
   
   
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Wissenschaftlerin bei der Arbeit: Das Siegerbild der Kategorie „Die Frauen und Männer der Wissenschaft“ im diesjährigen Fotowettbewerb des Schweizer Nationalfonds hat Jürg Sigrist.

Quelle: tierwelt.ch
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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