In einer Rückschau auf den ersten G6-Gipfel, den er als Bundeskanzler 1975 mit seinem Freund angebahnt hatte, dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing, schrieb Helmut Schmidt, es sei falsch, ein internationales Treffen nur dann für sinnvoll zu halten, wenn von vornherein feststehe, dass "etwas dabei herauskommt". Den besonderen Wert solcher Treffen sah er darin, dass die Staats- und Regierungschefs "notgedrungen selber sprechen und einander zuhören und antworten müssen". Ein andermal sagte er: "Sie ermöglichen einen relativ zwanglosen Meinungsaustausch über akute Probleme, und sie wecken Verständnis füreinander, vor allem bei neu ins Amt kommenden Staats- und Regierungschefs. Dabei ermöglichen sie eine realistische Einschätzung des künftigen Verhaltens der anderen Führungspersonen." An diesem Maßstab gemessen waren die beiden Gipfeltreffen der vergangenen Woche – der Nato in Brüssel und der G7 in Taormina – ein voller Erfolg. Die Europäer wissen jetzt, dass auf den breitbeinig auftretenden neuen US-Präsidenten Donald Trump kein Verlass ist; dass seine Manieren dem diplomatischen Umgang unter Freunden Hohn sprechen; dass seine Lernfähigkeit begrenzt bleibt; und dass sein Begriff von fair auf eine bloße Umschreibung selbstsüchtiger amerikanischer Interessen hinausläuft. Kompromissdenken liegt ihm ebenso fern wie Faktentreue. Ganz so neu sind diese Erkenntnisse zwar nicht, doch die Chance, sie zu widerlegen, hat Trump krachend verpasst. Legt man freilich strengere Erfolgsmaßstäbe an, so lässt sich der Ausgang der jüngsten Gipfeltreffen nur als Debakel, Desaster oder Fiasko bezeichnen. Die bis zur Unkenntlichkeit mit sprachlichem Sandpapier abgeschliffenen Formulierungen der Abschlusskommuniqués können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wichtigsten Institutionen der westlichen Welt in einer tiefen Krise stecken. Donald Trump droht, sie beide zu spalten. Das gilt zum einen für die Nato. Sie war dem Präsidenten im Vorfeld weit entgegengekommen: Die Allianz will nun als Gesamtorganisation dem Kampf gegen den IS-Terror beitreten, in dem all ihre 28 Mitglieder sowieso schon engagiert sind; die Verbündeten haben die – erwiesenermaßen vage – Verpflichtung bekräftigt, bis 2024 Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent ihrer Bruttoinlandsprodukte anzustreben; alle werden künftig jährliche Fortschrittsberichte vorlegen, was sie an cash, capabilities und contributions zusätzlich geleistet haben. Was aber tut Trump? In einem Polterauftritt bei der Einweihung des neuen Nato-Hauptquartiers beweist er ein weiteres Mal, dass er den Beschluss von Wales nie gelesen oder verstanden hat. Er putzt die Alliierten herunter: Zwei Prozent seien "ein karges Minimum"; es müssten mehr sein. Kein Wort des Lobes oder wenigstens der Anerkennung über die überall steigenden Wehrausgaben. Wiederum verstieg er sich zu der hanebüchenen Behauptung, viele Nato-Partner schuldeten den USA "massive amounts of money" – "riesige Summen Geld", was absoluter Unsinn ist. Als erster amerikanischer Präsident stellte er sich nicht ausdrücklich hinter den Artikel 5 des Nato-Vertrags, wonach ein Angriff auf einen als Angriff auf alle gilt. Aufs Neue nährte er so den Eindruck, er sei nichts anderes als ein besserer Schutzgelderpresser, der amerikanischen Beistand abhängig macht von prompter Zahlung. Wozu Benjamin Prüfer in der Huffington Post ein treffender Vergleich einfiel: Trump benehme sich wie ein Kerl, der bei einem Date als Erstes feststellt, dass er getrennt zahlen möchte, sofern es nicht zum Beischlaf komme. Auch in Taormina präsentierte sich Donald Trump vor allem als Nein-Sager. Bei den drei großen Themen auf dem Gipfel im Schatten des Ätna konnte keine Einigkeit mit ihm erzielt werden: Freihandel, Pariser Klima-Abkommen und Flüchtlingspolitik. Wohl heißt es in der Abschlusserklärung: "Wir erkennen an, dass freier, fairer und gegenseitig vorteilhafter Handel der Schlüsselmotor für Wachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen ist." Aber das bedeutet exakt gar nichts, da Trump unter fairem und gegenseitig vorteilhaftem Handel etwas ganz anderes versteht als der Rest. Weiterhin behauptet er faktenwidrig, die Deutschen verkauften in den USA Millionen Autos (es sind 1,3 Millionen, wovon rund 817.000 auf amerikanischem Boden produziert werden; Deutschland sei bad, bad, very bad, wird er zitiert: schlimm, schlimm, sehr schlimm). Er droht: "Das werden wir stoppen." Nach wie vor verteufelt Trump die Welthandelsorganisation WTO und drängt die Europäer zu bilateralen Verhandlungen, obwohl er wissen müsste, dass Freihandelsabkommen nur noch von der Brüsseler EU-Kommission ausgehandelt werden. Wegen Trump musste auch das Konfliktfeld Flüchtlingspolitik gemieden werden. Und seine Haltung zum Klima-Abkommen kündigte er nach seiner Abreise aus Taormina per Twitter für diese Woche an – ein weiteres Indiz dafür, dass in seinem Weißen Haus das pure Chaos herrscht; in einem geordneten Regierungssitz hätte man den Beschluss auch rechtzeitig zum Taormina-Gipfel fassen können. Was nun? Drei Dinge erscheinen mir notwendig. | • | | Erstens: Machen wir uns nichts mehr vor. Donald Trump wird sich nicht mehr ändern. Was immer er politisch vorhat, sein unstetes Temperament wird es Mal um Mal wieder infrage stellen. Warten wir also auf den nächsten Präsidenten. Wer weiß, was aus Trumpgate noch wird. "Es ist inzwischen eine legitime Frage, ob Mr. Trump in einem Jahr noch im Amt sein wird", schreibt Gideon Rachman in der Financial Times. Seine Rüpelhaftigkeit, seine Manierenlosigkeit, seine mürrische Visage und seine Tiraden wird niemand vermissen. | | • | | Zweitens: Hüten wir uns davor, den geschliffenen Formulierungen der Abschlusskommuniqués Glauben zu schenken. Mit der Realität haben sie nichts zu tun. Konflikte lassen sich mit Worten zudecken, nicht aber lösen. Mit seinem Bemühen, das Brüsseler Konferenz-Desaster umzudeuten in ein Konsens-Fest, gab der Nato-Generalsekretär ein Beispiel jämmerlicher Unterwürfigkeit – als sei er ein Wasserträger Trumps, nicht der Vertreter aller Nato-Mitglieder. | | • | | Drittens: Sehen wir ein, dass auf die Amerikaner vorläufig kein Verlass mehr ist. Definieren wir also selbstbewusst die europäischen Interessen und vertreten wir sie schonungslos gegenüber der Trump-Regierung. Reden wir Fraktur: America first heißt America alone. Das Wort der Bundeskanzlerin sollte dabei die Leitlinie sein: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere verlassen konnten, sind ein Stück weit vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt", sagte sie nach der Rückkehr aus Taormina in München. Auf "andere"? Es war klar, dass sie nur einen meinte: Donald Trump. "Die Europäer müssen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und dafür kämpfen." | Angela Merkel hätte auch Helmut Schmidt zitieren können, der während seiner Regierungszeit einmal sagte: "Amerika hat noch nicht verstanden, dass rein nationale Wirtschaftsstrategien in der interdependenten Weltwirtschaft von heute ein Anachronismus sind. Sie (die USA) bedürfen zu ihrem wirtschaftlichen Wohlbefinden der Zusammenarbeit mit ihren Partnern." Auch der nächste Satz hätte gepasst: "Leider schrumpft die amerikanische Gesamtstrategie immer mehr auf militärische Rüstungs- und Aufmarschstrategien zusammen." |
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