| | Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron am 15. Mai in Berlin © Guido Bergmann/Reuters |
Ein neuer Wind weht auf den beiden Seiten des Rheins. Nach vielen Jahren der politischen Anspannung möchte Frankreich endlich mit Deutschland eine neue Phase ihrer Beziehung beginnen. Deutschland hat Grund zur Freude. Nicht unbedingt deshalb, weil ein Präsident gewählt wurde, der den festen Willen zu Reformen hat – den hatte eigentlich auch Nicolas Sarkozy 2007. Sondern vielmehr, weil im Gefolge von Emmanuel Macron eine neue Generation von Politikern an die Macht kommt, die germanophil und germanophon ist. Neben dem deutschsprachigen Premierminister Édouard Philippe spricht unter anderem die Verteidigungsministerin Sylvie Goulard fließend Deutsch, und der außenpolitische Berater des Präsidenten, Philippe Étienne, war bis vor Kurzem ein sehr beliebter Botschafter in Berlin. Noch wichtiger ist jedoch, dass diese Frauen und Männer auch ein anderes Verhältnis zu Deutschland pflegen – ein Verhältnis, das nicht mehr durch einen Minderwertigkeitskomplex gekennzeichnet ist.
Macron und seine Regierung werden in Frankreich deshalb oft spöttisch "génération modèle allemand" genannt – die Generation, die das deutsche Modell bewundert. So hatte Anfang Mai der damals noch nicht gewählte Präsident während eines Fernsehduells mit Marine Le Pen auf deren Vorwurf, dass Frankreich so oder so von einer Frau regiert werden würde – entweder von ihr oder von Frau Merkel – mit den Worten reagiert: "Ich stehe Frau Merkel nicht gegenüber, ich stehe neben ihr." Macron hat als einer der wenigen in der französischen Politik die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin unterstützt und im letzten Januar an der Berliner Humboldt-Universität mit großer Selbstverständlichkeit betont, dass Paris die Verantwortung dafür trage, im Verhältnis zu Deutschland wieder Vertrauen herzustellen.
All diese Aussagen bedeuten nicht, dass Macron den Interessen Frankreichs weniger Bedeutung zumisst als seine Vorgänger. Oder dass er Konflikte mit Berlin weniger deutlich ansprechen wird. Nur kann er diese Beziehung in anderem Bewusstsein gestalten. Macron gehört zu einer Generation, die noch im Kindesalter war, als die Mauer fiel und die den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg fast ausschließlich aus den Geschichtsbüchern kennt. Gleichzeitig ist er alt genug, um noch mit Zeugen dieser Vergangenheit gesprochen zu haben, und er ist in Nordfrankreich aufgewachsen, einer Region, die vielerorts die schmerzlichen Spuren der zwei Weltkriege aufweist. Er gehört jener Generation an, die als erste die Vorzüge eines grenzenlosen Europas mit einer gemeinsamen Währung, der Freizügigkeit, dem Erasmus-Programm und vielem anderen genießen konnte. Daher weiß er das teure Erbe der europäischen Väter wie Robert Schumann und Konrad Adenauer zu schätzen.
Die Angst, sich den Deutschen zu unterwerfen
Nicht zufällig betitelte die Tageszeitung Le Monde ihren Leitartikel zwei Tage nach Macrons Wahl: "Paris – Berlin: der Mythos der Unterwerfung". In diesem Artikel beklagte sie eine Haltung, man könnte fast Neurose sagen, die im vergangenen Jahrzehnt einen großen Teil des öffentlichen und medialen Diskurses in Frankreich bestimmt hat: die Angst, sich den Deutschen zu unterwerfen. Diese Angst lässt sich zunächst mit den tiefen sozialen Rissen und wirtschaftlichen wie identitären Unsicherheiten der französischen Gesellschaft erklären. Hinzu kommen die 1989 grundsätzlich veränderten Rahmenbedingungen zwischen Paris und Berlin. Bis zum Mauerfall herrschte ein implizites Gleichgewicht zwischen beiden Ländern: Frankreich konnte seine politische Macht nutzen, während Deutschland sich der Wirtschaft widmete.
Der Fall der Mauer, die deutsche Vereinigung und die Osterweiterung haben zu einem anderen Kräfteverhältnis geführt: Frankreich musste schmerzlich spüren, wie sein Einfluss in der Welt und in Europa schwand, während Deutschlands Bedeutung wuchs. Seit der Eurokrise wirkte die Beziehung noch asymmetrischer. Deutschland erschien in der Führungsrolle, Frankreich als Juniorpartner. Der Umgang mit dieser Angst nahm skurrile Züge an. Entweder schwärmten die Franzosen so sehr vom deutschen Modell und der Agenda 2010, dass ihnen auch Gerhard Schröder und Peter Hartz fast wie Heilige erschienen – was wiederum aus deutscher Sicht sehr merkwürdig wirkte – oder sie ließen sich auf billige antideutsche Ressentiments ein.
Für viele proeuropäische Franzosen meiner Generation waren die vergangenen zwölf Jahre, seit Frankreich 2005 mit einem Nein auf das Volksreferendum über die EU-Verfassung antwortete, eine Zeit der politischen Einsamkeit. Der Europadiskurs wurde in Frankreich immer rauer, ein sehr großer Teil des politischen Establishments machte Europa zum Sündenbock, und als überzeugter Europäer kam man sich fast naiv oder als Exot vor. Als Französin in Deutschland, wie die Autorin, war es auch nicht einfach. Jahr für Jahr schien die Liste der französischen Probleme und Konflikte länger zu werden: Terrorismus, Wirtschaftskrise, mangelnde Reformen, die Debatte um den Laizismus, die Banlieues in Aufruhr. Der Fakt, dass Marine Le Pen fast gewählt worden wäre, ist ein weiterer Punkt in dieser düsteren Reihe.
"Deutschland vertraut Frankreich"
Am 7. Mai hat eine Mehrheit der Franzosen doch Vernunft und Aufklärung statt Chaos gewählt. Und tatsächlich scheint sich etwas Grundsätzliches in Frankreich zu verändern. Der neue Präsident will das rechte und linke Lagerdenken überwinden, das die politische Landschaft seit mehreren Jahrzehnten prägt, er will einen kulturpolitischen Wandel einleiten, und er will Europa neu gestalten. Die deutschen Verantwortlichen haben das auch erkannt und wollen Paris darin so weit wie möglich unterstützen. Selbst der spröde Finanzminister Wolfgang Schäuble verkündete anlässlich eines Treffens mit dem neuen französischen Wirtschaftsminister Le Maire am 22. Mai: "Deutschland vertraut Frankreich."
Diese Worte haben auch deshalb so viel Gewicht, weil der Ton der Deutschen gegenüber Frankreich in den letzten Jahren oft herablassend war. Allerdings setzt sich diese Herablassung jetzt mitunter fort. Manche sind skeptisch wegen Macrons jungen Alters, aufgrund seiner Erfahrung als Bankier oder seiner Elite-Laufbahn. Andere verweisen auf die "Reformunfähigkeit" Frankreichs: "Die Gewerkschaften werden sowieso alles blockieren", hört oder liest man regelmäßig in deutschen Medien. Vielleicht sollte man Macron eine Chance geben, und nicht alles nur durch die deutsche Brille betrachten. Der Vorwurf, das viele Mitglieder der neuen Regierung ehemalige Absolventen von Eliteschulen sind, ist zwar verständlich, aber er lenkt von weit wichtigeren Problemen ab. Das Vertrauen in die politischen Eliten ist vor allem wegen der zunehmenden Ungerechtigkeiten so erschüttert: der hohen Arbeitslosigkeit, einer dysfunktionalen Schule, die schon lange keine gleichen Chancen mehr garantiert, und einer politischen Elite, die zu oft ihre Vorbildfunktion vergaß.
Andererseits ist das Unbehagen vieler deutscher Beobachter gegenüber dem republikanischen, ja fast monarchischen Prunk mit Militärparaden, Machtinszenierungen und sehr großen Machtbefugnissen, die der Präsident laut Verfassung bekommt, durchaus verständlich. Doch ob man es mag oder nicht – die Sehnsucht nach einem homme providentiel, also einer Autorität, die durch einen Mann der Stunde verkörpert wird, ist in der französischen Gesellschaft sehr präsent. Viele Umfragen und Studien haben gezeigt, dass die Hälfte der Franzosen so einen starken Mann an der Macht sehen möchte. Macron weiß um diese Sehnsucht, er behauptete sogar, dass die Franzosen immer noch um ihren während der französischen Revolution geköpften König trauerten. Nicht zufällig verwies er während des Wahlkampfes auf den römischen Gott Jupiter, wenn er gefragt wurde, was für ein Präsident er sein möchte.
Bis jetzt hat Macron noch keine Fehler gemacht. Und ihm ist klar, dass er keine Gnadenfrist hat. Er muss eine Mehrheit bei den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni erringen. Und nach der Bundestagswahl am 24. September wird er dann auch einen handlungsfähigen Partner in Deutschland haben. Erst danach werden wir die Effizienz und Kreativität des neuen deutsch-französischen Tandems bemessen können.
Cécile Calla, 38 Jahre alt, ist eine deutsch-französische Journalistin und Autorin. Sie war Korrespondentin der französischen Tageszeitung "Le Monde" und Chefredakteurin des deutsch-französischen Magazins "ParisBerlin". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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