Berliner Posse | 3½ Fragen an Benjamin Becker | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Machtinstinkt | Dokumentation: Zukunft auf Pump?

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
manchmal gehen wir – der CHANCEN Brief – von falschen Prämissen aus. Das diagnostiziert heute Benjamin Becker, der Direktor des Amerika Hauses in NRW, im Fragebogen. Jan-Martin Wiarda nimmt im Standpunkt ein Experiment der TU Berlin unter die Lupe, da wird jetzt besonders wertschätzend kommuniziert
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Berliner Posse
Wo viele Universitäten, Hochschulen, Forschungsinstitute und -verbünde sich auf wenig Raum tummeln, wird es schon mal eng. Posten werden gewechselt, der Flurfunk hallt und schallt. Wissenschaft ist eben ein einziges Waschhaus. Aktueller Aufreger: Das Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG). Vorstand Erwin Böttinger verlasse seinen Posten, konnte man im Tagesspiegel lesen, um an ein Projekt der Uni Potsdam und des Hasso-Plattner-instituts zu wechseln. Nein, nein, ja, ja, sagte daraufhin Böttinger ebenda: „Ich habe nicht gekündigt, mir wurde nicht gekündigt und ich habe mich nicht wegbeworben, wie geschrieben wird.“ Allerdings, schob er nach: „Ich bestätige, dass es Gespräche mit HPI und ein Berufungsverfahren für ‚Digital Health’ der Uni Potsdam gibt. Der Ausgang der Gespräche ist offen.“ Auch Charité-Dekan Axel Pries meldete sich zu Wort und reagierte auf den Vorwurf, dass sich die Berufungsverfahren an Charité, BIG und Max-Dellbrück-Centrum gegenseitig ein Bein stellen. – Blicken Sie noch durch? Eben. Das ist ja das Problem.
  
 
 
Glück, Wissenschaft und Politik
Bhutan. Etwa so groß wie die Schweiz, zwei Drittel des Landes sind bewaldet (Google Maps). 1999 wurde das Fernsehen eingeführt, 2008 die Demokratie, 2016 die erste Law School (NYT). Funfact: Das Bonmot von König Jigme Singye Wangchuk, der 1986 sagte: »Das Bruttoinlandsprodukt interessiert mich nicht. Mich interessiert das Bruttoinlandsglück.« (Wir empfehlen den Reisebericht von Amrei Coen aus der ZEIT 49/2011.) Bhutan ist ein Land im Wandel, und entsprechend eifrig wird an den diplomatischen und wirtschaftlichen Netzwerken gestrickt. Der DAAD verkündete jetzt, die Zusammenarbeit mit Bhutan weiter auszubauen, konkret: die Partnerschaft der Universität Rostock, der Royal University of Bhutan und zwei bhutanischen Energieunternehmen. Das Ziel: Führungskräfte, Lehrer und Juristen ausbilden sowie den Wasserkraftbau ausbauen. Das Geld für diese „Praxispartnerschaft“ kommt vom Bundesentwicklungsministerium.
  
 
 
Österreich hat einen neuen Wissenschaftsminister
Österreich hat einen neuen Minister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (!). Harald Mahrer von der christlich-konservativen ÖVP wurde vergangenen Mittwoch „angelobt“ – und kam prompt ein wenig zu c.t. zu seiner eigenen Vereidigung (oe24). Zuvor war der 44-Jährige studierte Ökonom bereits in diesen Ressorts als Staatssekretär unterwegs – und dabei manchmal auch als Darth Vader verkleidet, wie Florian Gasser in einem ausführlichen Portrait beschreibt, das vor anderthalb Jahren auf den Österreich-Seiten der ZEIT erschienen ist. 
  
 
 
Wanka-Legislatur: top oder flop?
Die Bundestagswahl rückt näher, und die Medien gehen allmählich in den Rekapitulationsmodus über: Was hat die zur Neige gehende Legislaturperiode gebracht, waren die Ministerinnen und Minister top oder flop? Im Tagesspiegel ist ein großes Portrait über Johanna Wanka erschienen. Die Bilanz? Naja.  „Auf der politischen Langstrecke“, schreibt Anja Kühne, „war Wanka nicht besonders häufig auf der Überholspur unterwegs. Andere, auch Parteifreunde, ließen sie einfach stehen – oder Wanka bremste sich selbst aus.“ 
  
 
 
Inklusive Hochschulen?
Über dem Stichwort „Inklusion“ werden Wahlen entschieden. Meist geht es dabei um Schulpolitik. Dabei geht die Frage, wie etwa Gebäude und Curricula Menschen mit Behinderungen offenstehen, auch an die Hochschulen. Times Higher Education berichtet darüber; die Autorin Kate Sang schreibt: „I was told frequently that, for academics, being disabled is 'like having a second job'. For starters, disabled academics have an additional layer of work to do to explain their condition or 'impairment' to colleagues and to navigate the frustrating and onerous bureaucracy around making necessary adjustments to their working environment.“
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
11

Studierende werden derzeit vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) wegen Verdachts des Rechtsextremismus bzw. Unterhaltung eines rechtsextremen Netzwerks geprüft; vier von ihnen befinden sich mutmaßlich an der Bundeswehr-Universität München. 

 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Benjamin Becker

Direktor des Amerika Hauses e.V. NRW
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Nichts ist selbstverständlich und es lohnt stets, sich dessen bewusst zu sein und entsprechend zu leben. Persönlich: Zeit mit geliebten Menschen verbringen, Freundschaften pflegen, Raum für eigene Hobbys lassen; beruflich: die eigene Nische finden, vorankommen, dabei aber niemals vergessen, wo man hergekommen ist; transatlantisch (mein Wirkungsfeld): herausfordernde Zeiten nutzen und (jetzt erst recht!) für gegenseitiges Verständnis, Dialog und Austausch werben. Letzteres zum Beispiel bei einem Vortrag des Amerika Haus e. V. NRW.
 
Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Die Frage geht meines Erachtens von einer falschen Prämisse aus. Zahlreiche NGOs im Bildungs- und Kulturbereich zeigen ja zunächst einmal, was mit wenig Geld möglich ist – kurzum: eine ganze Menge! Aber sollten knappe oder gar keine Ressourcen die Orientierungsgröße sein, wenn es um Wissenschaft oder Bildung und somit die Zukunft unserer Gesellschaft geht? Daher mein Vorschlag zur utopischen Positivorientierung: Lasst uns weder nach der “größten Fehlinvestition” noch nach Problemlösung “ohne Geld” fragen, sondern vielmehr danach, in welchem Bereich noch mehr investiert werden sollte.
 
Lektüre muss sein. Welche?
Neben der selbstverständlichen Tages- und Wochenlektüre gerne und häufiger etwas aus dem Bereich der Near-Future Science Fiction – auch hier mit  persönlicher utopischer Lesart. Akute Lesetipps: Ready Player One von Ernest Cline sowie Daemon und Darknet von Daniel Suarez – jeweils mit Blick auf eine nahe Zukunft, in der Augmented Reality ein selbstverständlicher Bestandteil des Alltags geworden ist. Daniel Suarez veröffentlicht dieser Tage übrigens sein neues Werk Change Agent, das brandaktuell Fragen von Genveränderungen durch CRISPR und Co. aufgreift. Freue mich schon sehr auf die Lektüre!
 
Und sonst so?
Lektüre muss sein, Binge Watching aber auch dank Netflix, Amazon Prime und Co. Große Vorfreude auf die neuen Staffeln von Fargo, House of Cards und Game of Thrones. Keine Ahnung, wie/wann ich das alles schauen soll, aber auch hier möchte ich utopisch-optimistisch bleiben.
 
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Jan-Martin Wiarda
Gesunder Machtinstinkt
Gelegentlich kann man den Eindruck bekommen, als herrsche in manchen Hochschulsenaten der Republik nichts als Gezerre. Neulich schrieb ich an dieser Stelle darüber: Hier der Block der Professoren, die mit ihrer verfassungsrechtlich garantierten Dominanz die Rektoren zum Stöhnen bringen. Da die anderen „Statusgruppen“, von den Studierenden bis zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern, die als Gegenmaßnahme die Drittel- oder Viertelparität fordern. Und dann streitet man sich monate- oder jahrelang über Stimmrechte und Verfahrenswege, und zur Not zweifelt man auch mal die Rechtsverbindlichkeit getroffener Entscheidungen an.   
So geschehen etwa an der Technischen Universität Berlin. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet von dort jetzt andere Nachrichten kommen. Der Akademische Senat der TU will sich einen Kommunikationskodex geben, berichtet der Tagesspiegel. Die AG „Kommunikation“ habe entsprechende Vorschläge entwickelt. Um einen „Kulturwandel“ zur „Wertschätzung“ soll es gehen, die Senatsmitglieder sollen besser auf die Sitzungen vorbereiten, einen respektvollen Ton miteinander üben und – aha – die jeweiligen Zuständigkeiten akzeptieren.
Darüber könnte man jetzt grinsen und sagen: Da haben sich ein paar Funktionäre müde gekämpft. Oder aber man stellt ganz unzynisch fest: Hier will ein Gremium einen neuen Aufbruch wagen.
Nicht der Streit an sich ist in manchen Hochschulgremien das Problem, nicht die aufrichtig formulierten Meinungsgegensätze, sondern zu viel wurstige Uninformiertheit, der Hang zum gegenseitigen Missverstehenwollen und die Unsitte, sich vor den eigenen Leuten inszenieren zu müssen. Und das gilt gleichermaßen für die Gruppe der Professoren (die in Wirklichkeit oft selbst in mehrere Gruppen zerfällt), für die Mitarbeiter und für die Studierenden.
Das Problem: Eine solche Diskussionskultur endet im Machtverlust für alle, für das Gremium, für die Hochschule insgesamt – egal, welche Stimmenverhältnisse herrschen und in welcher Form Verfassungsgerichte Professorenmehrheiten vorgeben.
Der Berliner TU-Senat muss die Vorschläge erst noch diskutieren und (hoffentlich!) für gut befinden. Er wäre sicher auch nicht der erste Senat in Deutschland mit einem solchen Kodex. Doch schon jetzt geht von den Plänen ein Signal aus in Richtung anderer im Hickhack erlahmter Hochschulsenate: Ermächtigt euch selbst, indem ihr zivilisiert streiten lernt. Lasst das beste Argument herrschen und nicht die einfallsreichste Blockadeidee. Erreicht all das, indem ihr euch auf explizite Regeln diskursiven Anstands einigt.
Ein durch und durch idealistisches Signal. Und gerade deshalb eines, das von einem gesunden Machtinstinkt der Senatsmitglieder zeugt.
Hätten sich damit Diskussionen um Drittel- oder Viertelparität oder um die Professorenmehrheit erledigt? Keineswegs. Aber womöglich stellten die Senate auch anderswo fest, dass schon so eine Menge gemeinsamen Gestaltens möglich wird.
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Kopfschuss: Glatte Eins! An einer norwegischen Schule stehen Ballerspiele auf dem Stundenplan. Ist das Wahnsinn oder eine bildungspolitische Vision?
 
Wir unterrichten mitten im Chaos
Noch ist die deutsche Schule in Venezuelas Hauptstadt Caracas geöffnet. Hier beschreibt Schulleiter Werner Fabisch seinen Versuch, den friedlichen Ort zu erhalten »Sie wollen nur spielen« Der frühere Basketball-Star Henning Harnisch möchte den Schulsport revolutionieren. Dafür will er Profitrainer in den Unterricht schicken. Wie soll das gehen? Nietzsche in Teheran Über die Zukunft des Irans wird auch auf dem Campus entschieden. Wie Studierende für eine Öffnung ihres Landes streiten 


Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
200 Millionen Studierende weltweit. Hochschulen, die zu Firmen werden. Und die Frage: Was bedeutet das alles? Die Dokumentation "Studium – Zukunft auf Pump?" ist jetzt in der ARTE-Mediathek zu sehen.

Quelle: arte
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Am Donnerstag genießen wir die Feiertagssonne, Sie hoffentlich auch. (Die neue ZEIT erscheint schon am Mittwoch.) Bis nächsten Montag!

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