HRK vs. WR | 3½ Fragen an Katharina Brinkert | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Große Fackel und kleine Funzel | Dear White People

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
wer bestimmt die Geschicke einer Hochschule – Studierende, Professoren, Wissenschaftsministerinnen, Beratungsgremien? Über diese Frage kann man streiten; Material finden Sie im heutigen CHANCEN Brief und in der aktuellen ZEIT. Da analysiert Jan-Martin Wiarda die sogenannte „Professorenmehrheit“ und erklärt, was das jüngste Urteil des Stuttgarter Verfassungsgerichtshofs mit der Geschichte der Studentenproteste zu tun hat. Seinen Kommentar zum Thema lesen Sie weitern unten – im Standpunkt. Die 3½ Fragen beantwortet heute Katharina Brinkert, die in Kürze eine neue Forschungsstelle am Caltech antritt. Wir wünschen guten Flug!
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
HRK-Empfehlung I: Keine Lehr-DFG
Oha. Die Hochschulrektorenkonferenz hat getagt und den jüngsten Vorschlag des Wissenschaftsrates – eine Art Lehr-DFG (ZEIT) – abgewatscht. „Wir brauchen jetzt und auch nach 2020 keine neuen Institutionen, sondern vor allem eine klar konzipierte, verlässliche Hochschulfinanzierung in gemeinsamer Verantwortung von Ländern und Bund“, kommentierte HRK-Chef Horst Hippler: Eine „dauerhaft wettbewerbliche Förderung von Lehre wäre ein zweifelhaftes Unterfangen“, weil es an einer „Grundsicherung“ der „Lehrkapazitäten“ fehle. Gut gebrüllt, Löwe! Aber hat nicht der Wissenschaftsrat höchstselbst in seinem Papier angemerkt, dass der Ausbau der Lehrförderung ohne eine gesteigerte Grundfinanzierung undenkbar sei? Steht auf S. 33. So oder so: Warum diesen Disput nicht zum Ausgangspunkt nehmen, um sich endlich mal ernsthaft der Lehrkapazitäten an den Hochschulen – Stichwort Lehrbeauftragte und Kapazitätsverordnung – anzunehmen? 
  
 
 
HRK-Empfehlung II: Mehr Internationalisierung
Interessant auch die zweite Empfehlung der HRK: Sie plädiert für eine Internationalisierung der Curricula. Heißt: Kein Student, keine Studentin soll die Hochschule verlassen, ohne dass ihnen „an ihrem deutschen Studienort interkulturelles Verständnis und globale Perspektiven vermittelt“ wurden. Diese sollen in die Kerncurricula aller Disziplinen „fest“ integriert werden. Das Ziel: „Kompetenzen aufzubauen, die die Studierenden zu einer kompetenten, empathischen interkulturellen Kommunikation befähigen“, schreibt die HRK. „Das stärkt auch ihre Fähigkeit, interdisziplinär und vergleichend zu arbeiten“, sagt dazu Horst Hippler: „Viele Hochschulabsolventinnen und -absolventen schlagen internationale Karrierewege ein. Darauf sind sie durch internationalisierte Curricula fachlich und persönlich sehr viel besser vorbereitet.“ – Klingt gut! Jedenfalls wenn auch die Lehrenden das ernsthaft wollen. Sonst steht demnächst in allen Lehrplänen neben der „Gender-Kompetenz“ noch die „International-Kompetenz“, und das klingt beides irgendwie nach Papiertiger... 
  
 
 
Im Gespräch: Jan-Hendrik Olbertz und Birgitta Wolff
Die typische bildungspolitische Karriere geht so: Erst Prof., dann Minister. Bei Jan-Hendrik Olbertz und Birgitta Wolff aber war es andersherum – beide wechselten von einem politischen Posten (dem Kultusministerium bzw. Wissenschaftsministerium in Sachsen-Anhalt) an die Uni; er an die HU Berlin (2010-2016), sie an die Uni Frankfurt (seit 2015). Thomas Kerstan und Martin Spiewak haben die beiden getroffen und gefragt: Wo lässt es sich besser regieren: in der Politik oder an der Uni? Im Gespräch – zu lesen in der neuen ZEIT – äußert sich Olbertz über die Grenzen des Bildungsföderalismus: „Wenn sich die Länder nicht einigen, dann sollte der Bund mitreden können“, man könne „im internationalen Wettbewerb nicht bestehen, wenn unsere Universitäten von den Wechselfällen der Lokal- oder Landespolitik abhängig sind.“ Fraglich sei aus seiner Sicht auch, ob man „wirklich 16 einzelne Wissenschaftsverwaltungen“ bräuchte, „die uns viel Steuergeld kosten“. Wolff äußert sich über das Selbstverständnis der Universitätsangehörigen. „Viele Studierende wünschen sich die Universität als Dienstleister und sehen sich selbst eher als Kunden“ – das sei allerdings „ein Missverständnis, denn am Ende zahlt ja der Steuerzahler.“ Deshalb sei die Universität dem Gemeinwohl verpflichtet, und die Studierenden seien Mitstreiter in der Produktion von Wissen und Bildung.
  
 
 
Die Zukunft Frankreichs
Emmanuel Macron wird neuer Präsident Frankreichs – und die Scientific Community ist erleichtert, wie Nature berichtet. Macron habe zugesagt, die Gelder für Bildung und Forschung zu sichern, um so die Innovationskraft zu fördern und gegen die hohe Arbeitslosigkeit anzugehen. Ob er dafür allerdings auch eine parlamentarische Mehrheit bekommen wird, ist noch offen. Ähnlich wie im Vorfeld der Brexit-Wahl hatten sich Universitätsverbände auch bei dieser Wahl deutlich positioniert und gegen den Nationalismus Marine Le Pens ausgesprochen. (Inside Higher Ed)
  
 
 
30 Jahre Erasmus
„Haben Sie auch Erasmus gemacht?“ Gutes Deutsch ist diese Wendung nicht unbedingt. Aber „Erasmus machen“ hat sich fest eingebürgert in den akademischen Jargon – und in den Lebensläufen einer ganzen Generation. Der Deutschlandfunk widmet dem Austauschprogramm anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums eine herzerwärmende Reportage.
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Personen
 
 
   
   
Marcel Machill in der Kritik
Wenn ein Studiengang vor die Wand fährt, hat das meist strukturelle Gründe, die über eine einzige Person hinausreichen. Marcel Machill, Leiter des jetzt geschlossenen Journalismus-Studiengangs an der Universität Leipzig, steht derzeit trotzdem im Fokus der Kritik. In der SZ und beim MDR kann man sich ein Bild von dem Vorgang machen; außerdem empfehlen wir die kress-Interviews mit Machill selbst sowie mit dem Studiendekan Thomas Kater. Auch ein Blick ins Archiv lohnt: „Das Institut kann keine schlechte PR mehr gebrauchen“, hieß es 2011 in der ZEIT...

Oliver Günther will bleiben
Zehn Bewerbungen waren bei der Universität Potsdam für die ausgeschriebene Stelle des Präsidenten eingegangen – darunter auch die des Wirtschaftsinformatikers Oliver Günther, der die Uni seit 2012 leitet. Die Findungskommission war von Günther überzeugt und nominierte ihn als einzigen Kandidaten. Die Wahl durch den Senat findet am 17. Mai statt. (BZ)

Wahl des GEW-Vorstands
Keine Überraschungen auch bei der Wahl des Vorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Andreas Keller, zuständig für die Wissenschaftspolitik, wurde mit knapp 90 Prozent der Stimmen zum Stellvertretenden Vorsitzenden wiedergewählt; auch Marlis Tepe wurde in ihrem Amt als Vorsitzende bestätigt.

Job: Hochschule Karlsruhe
Die Hochschulwelt ist eine Welt voll wundersamer Abkürzungen. Man bewirbt sich auf die ExStra, forscht im SFB, am liebsten aber nur am DiMiDo des SoSe. Die Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft sucht jetzt eine Geschäftsführerin des CC und der KOOR. Wer den Durchblick hat, kann sich bewerben; Details stehen auch im ZEIT-Stellenmarkt.
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Katharina Brinkert

Research Fellow der Division of Chemistry and Chemical Engineering am California Institute of Technology, USA
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Gravität ist zwar nur eine Theorie, aber eine ziemlich anspruchsvolle; sie kam mir nach einer Versuchsreihe am Fallturm Bremen am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM).

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Die Beurteilung guter Wissenschaft ohne Berücksichtigung von H-Faktor, ORC-ID und Zitationsdatenbank.

Lektüre muss sein. Welche?
Seit der Schulzeit: „Madame Curie“ (Eve Curie).
Seit letztem Jahr: „Italienska skor“ („Die italienischen Schuhe“, Henning Mankell)
Und seit letzter Woche: „The Culture Map: Breaking Through the Invisible Boundaries of Global Business“ (Erin Meyer).

Und sonst so?
„Keep up with the good stuff!“ (Hommage an meinen ehemaligen PhD-Betreuer, Prof. Bill Rutherford, Imperial College London).
„Jeder Mensch sollte mit seinem Leben die Welt ein klein wenig besser machen“ (aus: „Der kleine Lord“).
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Jan-Martin Wiarda
Große Fackel und kleine Funzel
Professoren sind eine besondere Spezies, und das bekommen sie in Deutschland sogar gerichtlich bescheinigt. „Grundrechtsträger“ nennt das Bundesverfassungsgericht sie. Schon 1973 hatten die Richter festgelegt: Wenn an Hochschulen Gremienentscheidungen zur Forschung anstehen, haben die Professoren immer die Stimmenmehrheit. Und bei der Lehre steht ihnen mindestens die Hälfte zu.
„Grundrechtsträger“ soll bedeuten, dass die Professoren an den Hochschulen diejenigen sind, die (lyrisch ausgedrückt) die heilige Fackel der Wissenschaftsfreiheit vor sich hertragen, wie sie das Grundgesetz garantiert. Eine kleine Funzel halten auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter in der Hand, aber das ist angesichts des professoralen Grundrechtsstrahlens kaum der Rede wert. Von den Studenten ganz zu schweigen.
Geht es in Ordnung, wenn die Professoren mit Verweis auf Artikel 5 GG ausbremsen können, was immer ihnen nicht passt? Ja, sagten die Bundesrichter 1973. Ja, sagte auch Baden-Württembergs Verfassungsgerichtshof vor ein paar Monaten, das müssten sie sogar: Als Grundrechtsträger müssten die Professoren das Grundrecht auch verteidigen können. Mit dem Ergebnis, dass der Stuttgarter Landtag ein neues Hochschulgesetz schreiben muss – das bisherige war zu professorenunfreundlich.
Wissenschaftsfreiheit gleich Professorenfreiheit: Ist das noch zeitgemäß? Im Südwesten der Republik grummeln nicht nur die Rektoren, die Angst um ihre Macht haben. Die Politik fürchtet um die „Handlungsfähigkeit“ der Hochschulen in Zeiten der Exzellenzstrategie. Auch die Studenten haben Grund zum Ärger – und die 91 Prozent der Wissenschaftler an Deutschlands Hochschulen, die nicht Professoren sind.
Zumindest für letztere gibt es einen Hoffnungsschimmer: In einem anderen Urteil zur Professorenmehrheit sprach das Bundesverfassungsgericht 2014 erstmals umfassender von „Wissenschaftlern“ anstatt von „Hochschullehrern“ als Grundrechtsträgern. Bei den Stuttgarter Richtern ist diese neue Sichtweise allerdings noch nicht angelangt.
Und genau das macht die Debatte in Baden-Württemberg so spannend für den Rest der Republik. Kann die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer eine Lösung finden, die in die Zukunft weist statt in die Vergangenheit? Die alle mitbestimmen lässt? Die den Profs trotzdem das Gefühl gibt, am Ende den Ausschlag zu geben? Und am wichtigsten: Eine Lösung, die die Hochschulen florieren lässt?
Fest steht: Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ist zu strahlend, als dass es nur für die Professoren leuchten sollte.
   
   
Sie stehen woanders? Schreiben Sie uns! chancen-brief@zeit.de
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Denken können wir selbst! Wie frustrierte Studenten der Volkswirtschaftslehre sich international vernetzen und für mehr Vielfalt kämpfen

Wer, wo, wie gut? Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) untersucht jedes Jahr beliebte Studiengänge. Hier sind die aktuellen Tabellen zu Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre Wissen, wo es langgeht Mit Angeboten zur besseren Orientierung wollen die Unis vor allem Frauen für technische Fächer begeistern Bildung wie beim Fußball Was Schulen, Hochschulen und Unternehmen von der Talentförderung des DFB lernen können Lasst die Schulen in Frieden! Das Gymnasium wieder zu verlängern wäre falsch Hier Wahrheit, dort Mehrheit Birgitta Wolff und Jan-Hendrik Olbertz waren Minister und wurden danach Uni-Präsidenten. In welchem Amt lässt sich besser für die Wissenschaft kämpfen? Bäm! Wer hat an den Hochschulen die Macht – Studierende, Professoren, Präsidenten? Der Verfassungsgerichtshof in Stuttgart hat ein folgenreiches Urteil gefällt

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Sind Sie fit in postkolonialer Theorie, kennen alle Diskurswinkel der Political Correctness-Debatten – und lieben Sie Filme über das Unileben? Dann empfehlen wir Ihnen die Netflix-Serie „Dear White People“!

Quelle: Netflix / Youtube
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Einen guten Rutsch durch die Restwoche wünscht Ihnen

Ihr CHANCEN-Team


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