Die Präsidentschaftswahl in Südkorea hatte zwei Sieger: den linksliberalen Moon Jae In, der als Kandidat der oppositionellen Demokratischen Partei das Rennen machte – und die Demokratie. Denn die musste sich bewähren. Nebenan, in Nordkorea, testet ein junger Diktator unablässig Atomwaffen und Raketen. Im eigenen Land wanderte die bisherige Präsidentin gerade ins Gefängnis. Es ist nicht selbstverständlich, dass unter solchen Umständen eine Wahl vollkommen friedlich und geordnet abläuft, noch dazu in einem Land, in dem vor dreißig Jahren noch das Militär regierte. Moon setzt auf Entspannung gegenüber Nordkorea Park Geun Hye, bis vor wenigen Wochen Präsidentin, wartet in der Haft auf ihren Prozess. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Erpressung, Bestechlichkeit, Machtmissbrauch und Verrat von Staatsgeheimnissen vor. Erst ging das Volk gegen Park auf die Straße, mit Kerzen statt mit Krawall, dann stimmte das Parlament nach gründlicher Debatte für Parks Amtshebung, schließlich bestätigte das Verfassungsgericht nach weiteren Ermittlungen das Votum der Volksvertreter: Beim Umgang mit dem skandalösen Amtsgebaren seines Staatsoberhauptes hat Südkorea im Lehrbuch der Demokratie ein neues Kapitel geschrieben. Darauf können die Bürger des Landes stolz sein. Südkorea hat den demokratischen Test also bestanden. Zugleich und konsequenterweise hat es dabei für den politischen Wechsel gestimmt. Auf die Konservative Park folgt der progressive ehemalige Menschenrechtsanwalt Moon. Er war ein enger Mitarbeiter des früheren liberalen Präsidenten Roh Moo Hyun, an dessen "Sonnenscheinpolitik" des Dialogs und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Nordkorea er anknüpfen will. Moon ist vor allem von den Jungen gewählt worden, die sich von ihm bessere berufliche Perspektiven versprechen. Das Wirtschaftswachstum hat sich in den vergangenen Jahren verlangsamt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Auch die beste Ausbildung garantiert keinen sicheren Job mehr. Und auch keine bezahlbare Wohnung in Seoul. Natürlich wird von Moon erwartet, dass er sich daran macht, die Macht der Chaebols zu beschneiden, jener Großkonzerne in Familienhand wie Samsung und Hyundai, die aufs engste mit der Politik verbandelt sind. Auch Präsidentin Park hat von ihrer politischen Landschaftspflege profitiert. Mit ihr sitzt nun auch der Erbe des Samsung-Konzerns im Gefängnis. Keine Illusionen über Atomwaffen Je länger der Wahlkampf dauerte, umso mehr rückte die Sicherheitspolitik in den Mittelpunkt. Dafür sorgte Nordkoreas Diktator Kim Jong Un mit seinen Atomversuchen und Raketentests. Der künftige Präsident Moon und seine Leute glauben nicht daran, dass Kim seine Atomwaffen jemals wieder aus der Hand geben wird. Für möglich halten sie allenfalls einen freeze – ein Einfrieren des nuklearen Potentials auf dem jetzigen Stand. Eine solche Politik aber würde Moon Jae In unweigerlich auf Kollisionskurs mit der Regierung Trump bringen. Die will keinen freeze, sondern eine Denuklearisierung Nordkoreas. Kim gilt ihr als zu unberechenbar, als dass man ihm gegenüber – wie bei Russland oder China – auf Abschreckung setzt. Und niemals werden es die Amerikaner dulden, dass Kim eine Interkontinentalrakete entwickelt, mit denen er die Vereinigten Staaten bedrohen könnte. Keine zu große Nähe zum Norden riskieren Hier liegt also beträchtliches Konfliktpotenzial zwischen den Regierungen in Seoul und Washington. Zu einer offenen Konfrontation wird Moon Jae In es nicht kommen lassen. Südkorea kann auf den Schutz seines wichtigsten Verbündeten nicht verzichten. Deshalb dürfte Moon auch das von ihm eigentlich abgelehnte Raketenabwehrsystem Thaad akzeptieren, das die USA mit Zustimmung der bisherigen Regierung in Windeseile installiert haben und das nach Auskunft der US-Streitkräfte seit der vorigen Woche einsatzbereit ist. Nordkorea hat in den vergangenen Wochen auf weitere Atom- und Raketentests verzichtet, wohl auch, um den Wahlsieg Moons nicht zu gefährden. Denn mit ihm wird es eher eine Verständigung geben, als mit den Konservativen. Umso mehr muss der neue Präsident darauf achten, dass er sich nicht angreifbar macht durch eine zu große Nähe zum Norden. In der Sicherheitspolitik denken die Südkoreaner in ihrer Mehrheit immer noch konservativ. Südkoreaner fühlen sich übergangen Schwer vorstellbar deshalb, dass Moon seine frühere Ankündigung wahr macht, zunächst nach Pjöngjang zu reisen und erst dann nach Washington. Aber er wird die Interessen Südkoreas selbstbewusst vertreten. Das verlangen nicht nur seine Wähler von ihm, das erwartet das ganze Land. In den vergangenen Wochen haben die Amerikaner den Eindruck erweckt, den Atomkonflikt mit China allein lösen zu wollen – über den Kopf Südkoreas hinweg. In Südkorea hat dies Entrüstung ausgelöst. Moon Jae In ist in einer ungewöhnlichen Wahl mit einem eindrucksvollen Mandat ausgestattet worden. Und das wird er brauchen. Um die Demokratie in Südkorea weiter zu festigen. Um die Wirtschaft des Landes wieder in Schwung zu bringen. Und um den Frieden auf der Halbinsel zu sichern – wenn möglich durch Dialog. |
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