Freitext: Ulrike Draesner: Denken bis zur Schmerzgrenze

 
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16.02.2017
 
 
 
 
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Denken bis zur Schmerzgrenze
 
 
Zweifel kann etwas Produktives sein. Die derzeit grassierende Billigversion des Bedenkens ist aber allzu selbstgewiss. Sich selbst zu hinterfragen, gehört unbedingt dazu.
VON ULRIKE DRAESNER

 
© Peter Lloyd/unsplash.com (https://unsplash.com/@plloyd)
 
„Das möcht‘ ich mal bezweifeln“ ist ein Partysatz. Man streckt die Beine, sagt’s, und erledigt ist die Sache. Niemand ist vor den Kopf geschlagen. Ein nettes kleines Selbstbild entsteht zudem, die Spiegelung lacht von der Front des edelmetallischen Kühlschranks: als reflektierter, cooler, nicht dominanter oder auf Einmischung drängender Zeitgenosse hat man sich gezeigt. Ein wenig arrogant? Aber nein. Wenn der andere möchte, könnte er nachfragen. Dann sagte man vielleicht mehr.

Etymologien führen gern in die Irre. Bei dem Wort „Zweifel“ indes hat sie mir immer gefallen. Während das englische doubt so gar nichts sagt, außer seine lateinische Herkunft in eigenwilliger Schreibung anzudeuten, evoziert „Zweifel“ ein Bild: zwei Felle, zwei Farben, zwei Häute bringen sich ins Spiel.

Das ist schnell weitergedacht: wer zweifelt, spaltet sich. Er erwägt, denkt in Pro und Contra, weiß nicht, was tun. Einer, der zweifelt, beherrscht die Kunst, sich auf verschiedene Seiten zu stellen – er vermag die Welt auch mit den Augen eines anderen, unter anderen Aspekten, in anderen Ketten von Ursachen und Wirkungen zu sehen.

So richtig das ist, so finde ich es doch erst spannend, wenn es auf den Zweifel seinerseits angewendet wird. Er ist, was er sagt – jeden Zweifel wert. Zweifarbig allemal, erscheint er doch in einer billigen Version, die wenig bis nichts bis kostet, und in einer teuren bis sehr teuren. Die, wenn man es so weit treibt wie der berühmteste aller dänischen Prinzen, zu Verzweiflung führen mag.

Welch Spektrum. Wer an der Stichhaltigkeit nationaler Unterschiede zweifelt und sich daher Differenzen zwischen Gesellschaften und Menschengruppen eher als über Staatsgrenzen über unterschiedliche Sprachen und die von ihnen geschaffenen Bilder aufzuschlüsseln sucht, stößt hier auf ein erstaunliches Gefühlsphänomen: im Deutschen bildet „Zweifel“ einen beachtlichen Sack. In ihn lässt sich so manches stopfen: vom Existenzzweifel bis zur Qual der Wahl vor dem Käseregal.

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