10 nach 8: Anne Waak über den "Bachelor"

 
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24.02.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Welche Frau will eigentlich "Lady" genannt werden?
 
Die Frau im Angesicht ihres eigenen Euphemismus: Die Kuppelshow "Der Bachelor" sagt lieber "Lady". So richtig gut kann man das nicht finden.
VON ANNE WAAK

Paarung in bürgerlichem Ambiente: Die "Lady" in Gelb trinkt Champagner, der "Bachelor" greift zur Bierflasche. © RTL
 
Paarung in bürgerlichem Ambiente: Die "Lady" in Gelb trinkt Champagner, der "Bachelor" greift zur Bierflasche. © RTL
 
 

Derzeit läuft auf RTL wieder die Datingshow Der Bachelor. Da trifft ein dreitagebärtiger Junggeselle mit guten Zähnen und Nebenberuf Model in einer sogenannten Traumlocation (diesmal: Miami) auf knapp zwei Dutzend mit langem, sanft gewelltem Haar ausgestattete alleinstehende Frauen – oder wie sie in der Sendung heißen: Single-Ladys.

Damit vermehrt sich im deutschen Fernsehen nicht nur der Gebrauch des öden Romantikklischees langstielige Rose, sondern auch der des Wortes "Lady". Allein in der ersten Folge fiel es sieben Mal und damit etwa genauso oft wie "Frauen" oder "Mädels". Im Gegensatz dazu klingt "Ladys" nach Höflichkeit und Ehrerbietung, gar nach Gleichberechtigung und fröhlichem Feminismus. Nicht vergleichbar mit den omahaften "Damen".

"All the single ladies", sang Beyoncé dem Ex hinterher und dass er ihr schließlich einen Ring hätte anstecken können, um sie zu halten. Und auch im Deutschen werden Frauen seit einiger Zeit "Ladys" genannt oder sprechen von sich selbst als solchen. Es gibt die (orthografische Katastrophe) "Lady's Night" in Clubs und Kinos, und auf einem Aushang in einer Bürotoilette bat neulich jemand: "Ladys, bitte die Klobürsten benutzen!"

Die Anrede "Lady" stellt im Deutschen allein durch den Anglizismus eine Distanz her, gleichzeitig lässt sich damit Respekt zum Ausdruck bringen. "Lady" hebt die Frau auf ein Podest, ohne dass sie dadurch unerreichbar würde. Scheinbar eine rundum gute Sache. Um herauszufinden, ob das aber tatsächlich so ist, lohnt ein Blick auf die Geschichte des Wortes. Schon 1973 zeigte die Linguistin Robin Lakoff am Beispiel von "Lady", dass sich die Rolle von Frauen in einer Gesellschaft sowohl in der Sprache ausdrückt, die von ihnen erwartet wird, als auch in der Art und Weise, wie über sie gesprochen wird.

"Lady" geht auf das altenglische Wort hlæfdīge zurück. Hlāf oder hlæf bedeutet Brotlaib, der verwandte Begriff dæge bezeichnete die Magd. Die Lady war also mal diejenige, die das Brot herstellte. Seitdem hat sie eine erstaunliche Karriere hingelegt. Aus der Bediensteten wurde mit der landlady die schon sehr viel mächtigere Vermieterin und irgendwann die Dame und damit das, was uns heute an Türaufhalten und Handkuss denken lässt.

Immer wieder tauchte die Lady in Songs auf, zum Beispiel in Kool & the Gangs Ladies Night, bei den Commodores in Once, Twice, Three Times a Lady und in Chris de Burghs Lady in Red. Irgendwann kamen dann die Beastie Boys mit ihrem Hey Ladies um die Ecke und ironisierten, was da schon längst der Standardanmachspruch der Highschool-Aufreißer geworden war.

Frank Sinatra schien eine kleine Obsession mit der Lady gehabt zu haben. Mitte der fünfziger Jahre coverte er mit The Lady Is A Tramp einen Musical-Klassiker, der sich über die strenge Etikette der New Yorker High Society lustig macht. Es geht um eine unangepasste Frau, die standesungemäß nicht mit Pelz und Perlen nach Harlem fährt oder mit den anderen Frauenzimmern lästert, und deswegen als tramp gilt. Das heißt so viel wie Landstreicher oder Strauchdieb, und wenn eine Frau gemeint ist: Schlampe oder Flittchen.

Die Erzählung ist immer die gleiche: Du, Frau, bist entweder Lady oder Schlampe, deinem Mann treu, bis dass der Tod euch scheidet, oder ein leichtes Mädchen. Diese Lose-Lose-Situation galt so zumindest noch im vergangenen Jahrtausend, mittlerweile haben sich einige Frauen "Schlampe", "Bitch" oder "Slut" als Eigenbezeichnung angeeignet und die Beleidigung positiv umgedeutet.

2001, im selben Jahr, in dem das schmachtende Lady (Hear Me Tonight) des französischen House-Duos Modjo ein Charthit war, coverten die Popstars Christina Aguilera, Pink, Lil’ Kim und Mýa Lady Marmelade, Patti LaBelles Diskohit aus dem Jahr 1974. Der Originalsong handelte von einem Geschäftsmann im grauen Anzug, der sich bei der aufregenden Straßenprostituierten ein bisschen Farbe ins Leben holt. In der Coverversion von 2001 heißt es auf einmal: "We independent women, some mistake us for whores / I’m saying, why spend mine when I can spend yours". Dazu räkeln sich die Musikerinnen in einem Moulin-Rouge-Setting. Aus Prostitution ist Burlesque-Tanz geworden, aus der Stricherin die unabhängige, selbstbewusste Frau, die mit den Männern und deren Geld spielt und sagt: "Aber eine Hure bin ich nicht! Nenn' mich Lady."

Die "Lady" glättet die "Frau"

"Das Sprechen über Frauen impliziert ein Objekt, dessen sexuelle Verfasstheit Euphemismen erfordert und dessen soziale Rolle von seiner Beziehung zu Männern abhängt", schrieb die Linguistin Lakoff. Begriffe, die eine unangenehme Assoziation haben, werden demnach durch Euphemismen ersetzt. So fungiert "Lady" im Deutschen als ein Euphemismus für "Frau". Die "Lady" glättet die "Frau", der etwas Sprödes anhaftet, nimmt ihr den Ernst und erhebt sie. "Ich habe gestern Abend eine Frau kennengelernt" klingt nach Problemen. "Ich habe gestern Abend eine Lady kennengelernt" dagegen verheißungsvoll. Im Englischen ist die Putzfrau die cleaning lady, eine Obdachlose heißt bag lady. Niemand käme auf die Idee, eine Ärztin lady doctor zu nennen, das hat sie nicht nötig.

"Ladys" sagt man, wenn man Frauen höflich daran erinnern möchte, doch bitte ihre Scheiße wegzumachen. "Ladys" nennt man Frauen, die in einer Datingshow einem Mann an die Wäsche wollen – als wäre das etwas Ungehöriges.

Wer "Lady" sagt, denkt "Schlampe" immer mit

Mein eigenes, lange diffuses Unbehagen damit, mich selbst Lady nennen zu lassen, rührt aber von der eigenartigen Doppelbedeutung des Begriffs. Zum einen wird mit ihm die respektvoll Umworbene bezeichnet, die vom Podest auf die Welt herunterschaut (und von da aus nicht als Handelnde an ihr teilhaben kann; Statuen können bekanntlich weder sprechen noch sich rühren), gleichzeitig schimmert durch den euphemistischen Gebrauch immer auch die Abwertung mit. Im Englischen ist das offensichtlicher als im Deutschen. Die lady of the night ist genauso wie die fancy lady eine Prostituierte. Wer "Lady" sagt, denkt "Schlampe" immer mit.

Trotzdem wird "Lady" heute tatsächlich in ehrerbietiger Absicht benutzt, auch von Leuten, die des Sexismus eher unverdächtig sind. Neulich etwa gratulierte Rebecca Solnit, feministische Denkerin und Erfinderin des Jahrtausendbegriffs "Mansplaining", der regierenden Königin der Popwelt, Beyoncé, zu deren Schwangerschaft und adressierte sie als "Lady Bey".

Vielleicht ist es Zeit für ein neues Wort. Eines, das erwachsene Frauen ernst nimmt, ohne sie emporzuheben, zu infantilisieren oder zu diffamieren. "Gesellschaftliche Veränderungen führen dazu, dass Sprache sich verändert", so Lakoff, "nicht andersherum". Bis es so weit ist, ziehe ich es vor, nicht geladyt zu werden.

Anne Waak, 1982 in Dresden geboren, ist Journalistin und Buchautorin. Sie gehört zu den Gastgebern des Talk-Formats "NUN – Die Kunst der Stunde" und zu den Gründern von waahr.de, einem Online-Archiv für Kulturjournalismus. Sie lebt in Berlin. Anne Waak ist Gastautorin von "10 nach 8".

 

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