10 nach 8: Stephanie Fezer über Namensänderungen

 
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03.02.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Namensfreiheit für alle!
 
Es gibt viele Gründe, den Familiennamen des Ehepartners anzunehmen. Ebenso viele, ihn abzulehnen. Alle Frauen auf der Welt sollten darüber selbst entscheiden.
VON STEPHANIE FEZER

Ein Hochzeitspaar vor der Standesbeamtin © Patrick Pleul/dpa
 
Ein Hochzeitspaar vor der Standesbeamtin © Patrick Pleul/dpa
 
 

Eine meiner westfälischen Tanten heiratete in den sechziger Jahren nach Niederösterreich ein. Die zahlreichen Kinder der Verwandtschaft – darunter auch ich – verbrachten unendlich lange, schöne Sommer auf ihrem großen Gutshof, inmitten von Schafen, Hunden, Hühnern und Fasanen, die sie züchtete. Eine unserer Lieblingsbeschäftigungen war es, beim Unkrautjäten oder Obstpflücken unsere glanzvolle Zukunft zu bereden: Würden wir einst reich sein? Berühmt? Wie viele Kinder würden wir haben? Wen würden wir heiraten, wie würden wir dann heißen? Die infrage kommenden entfernt verwandten Cousins sagten mir alle nicht besonders zu. Obwohl manche von ihnen sogar richtig glamouröse Namen hatten.

In meiner Kindheit war eine Namensänderung in Deutschland noch sehr unüblich. In einem Fachkommentar zum BGB argumentierten Juristen noch 1976: "Der Frau ist ein Namenswechsel im Zweifel eher zumutbar, da sie als die zumeist Jüngere vor der Heirat weniger lang im Berufsleben stand, nachher zur Versorgung der Kleinkinder oft einige Jahre aus dem Beruf ausscheidet sowie überdies in ihm häufig weniger hohe Positionen einnimmt als im Durchschnitt der Mann." Erst 15 Jahre später konnte der Geburtsname der Frau auch der Familienname sein.

Einfach war diese Gesetzesänderung nicht durchzusetzen. Dem Verfassungsgerichtsurteil vom März 1991 gingen Klagen von Einzelpersonen, Anfragen der Fraktionen an den Bundestag und Anträge einzelner Bundesländer voraus. Der Deutsche Juristinnenbund kämpfte jahrelang für diese Novellierung des Namensrechts. Auch in anderen Ländern zählte die freie Namenswahl lange zu den Kernpunkten feministischer Forderungen. In Japan, wo seit 1896 ausnahmslos gilt, dass sich verheiratete Paare für einen Namen entscheiden müssen – und 96 Prozent der Frauen dann den Namen des Mannes übernehmen, was Bände über den sozialen Druck spricht –, wird seit vielen Jahren gegen die veraltete Regelung geklagt. Erfolglos.

Verflechtung von Persönlichkeit, Namen und Identität

In den USA bildete sich 1921 die Lucy Stone League, unter deren Mitgliedern viele einflussreiche Journalisten und Journalistinnen waren. Die Lucy Stoner setzten sich vehement dafür ein, dass Frauen ihren Namen behalten durften. In den USA ist das seit 1972 möglich. Dennoch entscheidet sich nur eine von fünf Frauen bei der Heirat dafür.

Dass Frauen in diesem Land dank des zähen Engagements von verschiedensten Initiativen und Feministen/innen die Wahl haben, ihren Geburtsnamen zu behalten, bedeutet auch, dass sie heute die Freiheit haben, ihren Namen zu ändern – den Namen, den sie wohlgemerkt immer von ihrer Familie väterlicherseits vererbt bekamen. Die innere Distanz zu meinem Namen war wohl schuld daran, dass er dauernd falsch geschrieben wurde. Ich glaube, ich habe ihn nie gut aussprechen können. Ich kam nie gut mit ihm zurecht.

Vor ein paar Wochen saß ich dann in einem prächtigen neogotischen Standesamtszimmer in Berlin-Neukölln, neben meinem langjährigen Lebenspartner, flankiert von meinen zwei Töchtern, im Rücken drei kichernde Freundinnen. Der Standesbeamte spulte sein Programm ab – Begrüßung, Belehrung, Gedicht –, und fast hätte ich es überhört: Hatte er gerade gefragt, ob noch eine/r von uns den Nachnamen des anderen annehmen wolle? Tatsächlich. Wenn, dann jetzt, dachte ich, und bejahte. Das war's. Ich wunderte mich, dass er es überhaupt gehört hatte. Er eilte aus dem Zimmer, um die Formulare zu ändern, Bob Marley sang "Is this love?" in Schleife, und als wir fünfzehn Minuten später verheiratet waren, hieß ich offiziell Fezer.

Das ging schnell. Erst danach fing ich an, über die Bedeutung einer Namensänderung nachzudenken und über die enge, oft unlösbar erscheinende Verflechtung von Persönlichkeit, Namen und Identität. Ich wette, auch Hettie Jones hat viel darüber nachgedacht, als sie in den späten 1980er Jahren ihre Autobiografie How I became Hettie Jones verfasst hat. Hettie Jones war mit dem Jazzpoeten LeRoi Jones verheiratet. Mit Joyce Johnson, Helene Dorn, Lenore Kandel, Diane DiPrima und Ruth Weiss gehörte sie zur US-amerikanischen Boheme der 1950er und 1960er Jahre, zur Beat Generation, und einige dieser Frauen waren mit dem legendären Black Mountain College assoziiert. Eine schöne Ausstellung im Karlsruher ZKM stellt einige von ihnen zurzeit vor – sechs, genauer gesagt, sechs von insgesamt 80 Protagonisten/innen der Zeit.

Frauen wurden namentlich ausgelöscht

Fast alle von ihnen haben Autobiografien über ihr Leben in der Boheme verfasst. Joyce Johnson nannte ihre Memoiren über die Zeit mit Jack Kerouac bezeichnenderweise Minor Characters – Randfiguren. Während die männlichen Beatniks Gedichtbände veröffentlichten, abends durch die Bars zogen, nach Tanger und Paris reisten und bewusstseinsverändernde Drogen nahmen, waren die meisten dieser ebenfalls kreativen Frauen gezwungen, zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern – und meist auch noch das Geld zu verdienen. Sie schrieben im Geheimen. "Die Frauen", erinnerte sich Joyce Johnson 2014 während eines Panels in New Jersey, "diskutierten ihre Sachen nie. Es war schon komisch, das Schreiben war fast etwas Geheimes".

Als "Babe in Boyland" beschrieb Hettie Jones ihre Situation scherzhaft. So ist es nachzulesen im gerade erschienenen Briefwechsel mit ihrer Freundin Helene Dorn, ebenfalls Ehefrau eines Dichters – Love, H, erschienen bei Duke University Press. Jones fragte sich, ob es ihr gelingen würde, ein Kleid zu schneidern, das schick genug war, damit sie als Muse des Dichters durchgehen würde und sexy genug, um klarzumachen, dass es ihr egal war. Bis heute findet sie sich offensichtlich immer wieder unfreiwillig in solchen zweideutigen Situationen wieder. Beispielsweise, wenn ihr Ex-Mann, der sich 1966 auf Druck des Black Power Movements von ihr scheiden ließ, sie in seiner Autobiografie von 1984 durchweg als Nellie Kohn bezeichnet. Hettie Jones fühlte sich als Person ausgelöscht – "Nellie'd". Alle männlichen Beatniks in LeRoi Jones' Buch behalten übrigens ihre echten Namen, die Credits gehen nur an sie. "Wie verblüffend, verschwunden zu sein", schreibt sie. Mal wieder.

Oder, wenn Hettie Jones in einem Sammelband zu den weiblichen Beatniks fälschlicherweise als Mother Jones bezeichnet wird – "Mother" Jones alias Mary Harris Jones war eine 1830 geborene Gewerkschafterin; die gleichnamige linksliberale Zeitschrift beruft sich auf sie. Dabei hatte sich Hettie Jones in den 1980er Jahren längst einen eigenen Namen als Herausgeberin, Autorin und Lehrende gemacht.

Zurück zu mir. Hätte ich meinen Geburtsnamen behalten, wenn ich vorher gründlich über die feministischen Komplikationen einer Namensänderung nachgedacht hätte? Hätte ich ihn behalten, wenn ich Hettie Jones' Autobiografie vorher gelesen hätte? Ich denke nicht. Ich mag meinen neuen Namen, und manche Dinge muss man spontan tun, wenn man sie schon spontan tun kann.

Stephanie Fezer, die vor Kurzem noch Wurster hieß, lebt als freie Autorin und Redakteurin in Berlin. Sie studierte deutsche und englische Literaturwissenschaften in Freiburg, Köln und Berlin. 2015 erschien ihre Übersetzung des Romans "Torpor" von Chris Kraus im b_books-Verlag. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".

 

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10 nach 8
 
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