Lektionen zur EntfristungEs ist eine unfassbare Zahl: 93 Prozent aller Wissenschaftler unter 45 Jahren sind an deutschen Hochschulen befristet angestellt. Ihre Lage ist bisweilen so prekär, dass bei den ersten Politikern das Gewissen zwickt. Zeitverträge seien nicht dazu da, »die Leute kleinzuhalten«, mahnte etwa Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer kürzlich in Berlin. Und Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium, wurde noch deutlicher: »Ich erwarte von den Hochschulen, dass sie ihre Befristungspraktiken überdenken.«
Soll das alles sein? So gut solche Plädoyers bei jungen Forschern und Gewerkschaftern auch ankommen mögen, Haushaltsexperten und Personalentscheider an Hochschulen müssen an der Stelle zwangsläufig die Stirn runzeln. Die extrem hohe Befristungsquote ergibt sich aus der Finanznot an den Hochschulen. Sie ist eine Quittung für die Drittmittelpolitik, die Bund und Länder seit Jahren beharrlich betreiben. Ginge es nach dem Willen der Hochschulchefs läge die Quote deutlich niedriger, bei 57 Prozent nämlich. Diesen Anteil halten Führungskräfte nach dem jüngsten
Hochschulbarometer des Stifterverbands für sinnvoll.
Manche Hochschulen steuern auch schon in diese Richtung. Heinz-Joachim Henkemeier, Kanzler der Fachhochschule Südwestfalen, versucht seit Jahren, Kollegen fest anzustellen, die an seiner Hochschule fortgesetzt Drittmittel einwerben, sich dabei aber von Vertrag zu Vertrag hangeln müssen. Allein es klappt nicht, jedenfalls nicht so leicht. Denn wer in der Wissenschaft unbefristete Anstellungen aus eingeworbenen Drittmitteln schaffen will, muss »sehr genau aufpassen, nicht gegen die jeweiligen Förderrichtlinien zu verstoßen«.
Das Fazit von Kanzler Heinz-Joachim Henkemeier ist interessant für alle Hochschulen, die aus dem großen Pool der eingeworbenen Drittmittel wenigstens ein paar feste Stellen finanzieren wollen. Manche Zuwendungsrichtlinien stehen dem schlicht entgegen. Beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM), einem 550-Millionen-Euro-Förderfonds des Bundeswirtschaftsministeriums zum Beispiel, ist die Übernahme der Personalkosten für Projektmitarbeiter mit festem Arbeitsvertrag an der Hochschule ausgeschlossen. Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn die Hochschule für die Zeit, in der ihre Festangestellten im Projekt tätig sind, Ersatzpersonal engagiert. Die Logik dahinter: Drittmittel sollen keine Löcher in der Grundfinanzierung der Hochschulen stopfen.
Henkemeier aber will keine Löcher stopfen, sondern nur Drittmittelkünstler an seiner Hochschule mit einem unbefristeten Vertrag belohnen und ihre Expertise halten. Das Ansinnen wird tatkräftig unterstützt von der Vorsitzenden des Personalrats der wissenschaftlichen Beschäftigten an der FH Südwestfalen, Bernadette Stolle. Sie machte Bundestagsabgeordnete auf die Richtlinien-Knebel aufmerksam, informierte die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze und bat beim Bundeswirtschaftsministerium ganz konkret um Änderung der ZIM-Förderregel. Vergeblich.
Eine Provinzposse? Eher eine Lektion für die gesamte Wissenschaft. Nachhaltige Personalpolitik hängt eben auch nicht nur am Willen einer Hochschulleitung.