Lieber Dr. acad. Sommer,
ich forsche auf einem Gebiet, das an unserem Institut zunehmend zum Randthema wird. Mit den Kolleg/innen verstehe ich mich gut, aber meine Vorschläge finden immer weniger Beachtung, Gelder aus internen Fördertöpfen gehen an andere Personen, und meine Projekte finden gegenüber Presseabteilung und Präsidium kaum noch Erwähnung. Was kann ich tun, um aus dieser Marginalisierung herauszukommen?
Liebe(r) X,
eigentlich beschreiben Sie hier etwas sehr Positives: Die wissenschaftliche Community steuert sich in erster Linie selbst. Eine bemerkenswerte Errungenschaft! Aber auch die Wissenschaft ist natürlich von Trends und Moden beeinflusst: Oft sind ganze Forschungsgebiete zeitweise „in“ oder „out“. Hinzu kommt, dass der Druck auf alle wissenschaftlichen Institutionen steigt, sich klare Forschungsprofile zu geben, und das minimiert den Raum für thematische Ausreißer. In diesem Prozess sind Sie also in die Außenseiterrolle geraten und passen nicht mehr richtig ins Profil des Instituts. Dies sollten Sie jedoch auf keinen Fall als Gesamturteil über Ihre Forschung betrachten, sondern stattdessen die Gelegenheit nutzen, Ihre eigene Positionierung am Markt zu überprüfen. Dafür haben Sie drei Möglichkeiten:
a) Sie machen weiter. Denn das „Recht auf Außenseitertum“ ist ebenfalls heilig, und solange Ihnen niemand bestimmte Forschungsthemen verbietet und Sie von Ihrer Arbeit überzeugt sind, sind Sie in Forschung und Lehre: frei!
b) Sie suchen sich eine andere Institution, zu der Ihr Forschungsthema besser passt. Das ist keine persönliche Niederlage, sondern ein völlig normaler Teil des Wissenschaftssystems.
c) Sie überdenken Ihr Profil und passen sich Ihrem Institut an.
Option c) kostet etwas Überwindung, aber Sie können zum Glück verschiedene Wege gehen:
- Ein neues Forschungsthema können Sie sich z.B. über Postdocs erschließen, die eine bestimmte Expertise in Ihre Arbeitsgruppe mitbringen. Auch studentische Abschlussarbeiten sind eine gute Gelegenheit, um neue Themenfelder zu betreten.
- Eine verstärkte Zusammenarbeit am Institut können Sie z.B. mit gemeinsamen Drittmittelanträgen erreichen. Oder Sie „teilen“ sich einen Doktoranden, dessen Projekt sowohl bei Ihnen als auch bei einer anderen Professur angesiedelt ist.
- Je nach Disziplin sind bestimmte Technologien, Arbeitsmethoden oder technische Ausstattung besonders gefragt – aber nicht immer breit verfügbar. Wenn Sie sich genau darauf spezialisieren, haben Sie jede Menge Anknüpfungspunkte für interessante Kooperationen.
Die gute Nachricht ist also: Die gleichen Mechanismen, durch die Ihre Forschung etwas an den Rand der Aufmerksamkeit geraten ist, können Sie jetzt nutzen, um sie wieder in den Fokus zu rücken.
Dr. Uli Rockenbauch ist Persönlicher Referent der Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft und berät die Scientific Community im ZEIT CHANCEN Brief als "Dr. acad. Sommer".