Freitext: Florian Werner: Schleimspur zur Auferstehung

 
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16.04.2017
 
 
 
 
Freitext


Schleimspur zur Auferstehung
 
 
Der wahre Osterhase ist die Schnecke: Sie schleppt ihr Schicksal, ihr Kreuz, ergeben auf dem Rücken mit sich herum. Das ist ihre österliche Lehre!
VON FLORIAN WERNER

 
Copyright: Alberto Pizzoli/Getty Images
 
Gelobt seist Du, Schnecke, Du Königin unter den Schalenweichtieren! Meine Zunge ist nur eine unvollkommene Nachbildung Deines Kriechfußes, mein Geist ist gebrechlicher als die Kalkwand Deines Gehäuses. Dennoch will ich ein Lied auf Dich singen und erklären, weshalb Du die einzig legitime Nachfolgerin Christi auf Erden bist.
 
Zu den Mysterien der Ostermythologie gehört bekanntlich die biologisch unplausible Kombination aus Hase und Ei. Dass geschlechtsreife männliche Hasen Testikel haben, sei unbestritten. Aber erstens haben diese keinerlei Ähnlichkeit mit den Kalkschalen aus Hühnergedärm, die wir zu Ostern bemalen. Zweitens verstecken die Rammler ihre Klöten nicht im Unterholz. Und würden sie dies, aus welchen bizarren psychopathologischen Gründen auch immer, doch einmal tun, dann würde man, drittens, wohl kaum seine Kinder ermuntern, nach ihnen zu suchen. „Guck mal, Papa, was ich gefunden habe!“ „Äh … leg die Dinger bitte schnell zurück, Schatz. Meister Lampe kommt bestimmt gleich wieder, um sie zu holen.“
 
Würden meine Kinder aber beim Eiersuchen auf ein Gelege der Knoblauch-Glanzschnecke, der Schwarzmündigen Bänderschnecke oder gar des majestätischen Tigerschnegels stoßen, würde ich sie sofort ermuntern, vor der Eierpracht niederzuknien und sie eingehend zu betrachten. Mit der gebotenen Andacht, natürlich. Schließlich steckt in jedem der wunderweißen Eier ein Aufersteher.
 
Der Tigerschnegel (dessen Musterung, nebenbei bemerkt, eher dem Fell des Leoparden gleich) ist zwar eine Nacktschnecke, bringt aber im Gegensatz zu anderen unbehausten Schneckenarten dem Gärtner nur Erbauung und Segen. Er ernährt sich nämlich bevorzugt vom Gelege der Spanischen Wegschnecke – die zwar, wie wir inzwischen wissen, gar nicht in Spanien heimisch, aber unzweifelhaft eine Inkarnation des Antichristen ist. Daneben befleißigt sich der Tigerschnegel einer Liebeskunst, gegen die sich die Stellungen des Kamasutra züchtig und bieder ausnehmen. Bei der Paarung seilen sich beide Partner an einem knapp halbmeterlangen Schleimfaden ab und vereinigen sich dann kopfüber in der Luft schwebend wie zwei notgeile Hochseilartisten. Kein Frühlingstag, an dem ich nicht hoffe, beim Betreten des Gartens ein Tigerschnegelpärchen beim Liebesakt zu überraschen (auch wenn ich befürchte, beim Anblick dieses Spektakels, wie einst der mythische Teiresias beim Anblick zweier kopulierender Schlangen, umgehend zu erblinden).
 
Auch die Knoblauch-Glanzschnecke ist von erhabener Schönheit, spricht jedoch eher den Freund olfaktorischer Genüsse an. Berührt man sie, strömt die Schnecke ein angenehm lauchiges Aroma aus, und ich kann an keinem Exemplar dieser Art vorbeigehen, ohne mich durch kurzes Reiben und Schnuppern ihres Wohlgeruchs zu versichern.

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