Befristungen | Hochschullehre | 3½ Fragen an Eva von Contzen | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Falsch verstandene Solidarität

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
 
   
 
 
 
 
 
 
 
 
   
   
Liebe Leserinnen und Leser,
dass Weltpolitik und Wissenschaft nicht zu trennen sind, kann man gerade am Fall der CEU beobachten; gestern gab die EU-Kommission bekannt, gegen des neuen Hochschulgesetzes von Victor Orbán ein Verfahren einzuleiten (Tagesschau). Innenpolitisch kann man sich außerdem am Befristungs(un)wesen und dem Tenure Track-Programm abarbeiten, das Jan-Martin Wiarda im Standpunkt kommentiert. Und Eva von Contzen von der Uni Freiburg zitiert Lewis Carroll.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Befristungen: Schon okay so?
Das Hochschulbarometer des Stifterverbands gibt jährlich Auskunft über den wissenschaftspolitische Puls der Zeit. Interessante Einsichten in die Köpfe der Hochschulleitungen gibt es diesmal zum Thema Befristungen. Rektorinnen und Präsidenten sehen sie weiterhin als notwendig: Aus ihrer Sicht sollte mehr als die Hälfte (57%) der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befristet angestellt sein; sie bewerten die Flexibilität durch Zeitverträge laut Stifterverband als positiv. Wir ahnen: Wenn Sie zustimmend nicken, sind Sie schon im sicheren Hafen der Professur angekommen; wenn Ihnen gerade die Halsschlagader pocht, füllen Sie mit Ihren Arbeitsverträgen schon einen Regalmeter. Da hilft nur: Einander gesonnen und im Gespräch bleiben! Hier geht es zum Hochschulbarometer; ausführlich berichten SpOn; Tagesspiegel; Deutschlandfunk
  
 
 
Manfred Prenzel: Die Hochschullehre aufwerten
Die Einheit von Forschung und Lehre wird an den Hochschulen hochgehalten – im Alltag gilt Letztere aber oft genug als Stiefkind. Wie kann man das ändern?, hat ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz den ehemaligen Wissenschaftsrat-Vorsitzenden Manfred Prenzel gefragt; am Freitag diskutiert der WR nämlich über ein von ihm verfasstes Papier über die Zukunft der Lehre. Bislang, sagt Prenzel, habe es einfach „keinen Druck“ gegeben, nachzudenken, was eigentlich gute Hochschullehre für die immer diverseren Studierenden sei. Die Fixierung auf das reine Lehrdeputat sende „falsche Signale“, so Prenzel: „Wer einen Studiengang entwickelt, Lehrpläne oder gemeinsame Prüfungen konzipiert, muss honoriert werden.“ Der Einsatz für gute Lehre müsse es endlich auf den Lebenslauf schaffen und, so Prenzel, „zu einem Leistungskriterium in Berufungsverfahren“ werden: „In Zukunft sollte niemand mehr berufen werden, der sich nicht in der Lehre nachweislich qualifiziert, engagiert und gute Ideen entwickelt hat.“ Und wie gelingt das? Für ein strukturelles Anreizsystem via eigener Institution – eine Art Lehr-DFG – hat Prenzel Sympathien: „Ich kann mir eine solche Einrichtung sehr gut vorstellen.“ Das ganze Gespräch lesen Sie in der aktuellen ZEIT.
  
 
 
DFG über die Replikationskrise
Weist es auf einen generell problematischen Zustand der Forschung hin, wenn eine große Anzahl wissenschaftlicher Forschungsergebnisse nicht wiederholbar ist? Die DFG mischt sich jetzt in dieses Thema ein und hat eine Stellungnahme veröffentlicht, die der „Replikationskrise“ differenziert beikommen will. Die wichtigsten Punkte: „Replizierbarkeit ist kein generelles Kriterium wissenschaftlicher Erkenntnis“, heißt es darin, außerdem: „Die Feststellung der Replizierbarkeit oder Nicht-Replizierbarkeit eines wissenschaftlichen Ergebnisses ist ihrerseits ein wissenschaftliches Ergebnis.“ Nicht-Replizierbarkeit sei „kein genereller Falsifikationsbeweis“ und „kein genereller Hinweis auf schlechte Wissenschaft“. Hier lesen Sie die ausführliche Stellungnahme; außerdem empfehlen wir zum Thema einen Artikel aus unserem Archiv mit dem Titel: „Rettet die Wissenschaft!“ (ZEIT 01/2014).
  
 
 
March for Science. Und jetzt?
Die Mobilisierung am Wochenende war beachtlich. Zum Schwelgen empfehlen wir die Sozialen Medien – bei Twitter können Sie sich durch #sciencemarch und #marchforscience scrollen; empfehlenswert ist auch der Account von @luckytran. Schöne Plakate finden sich im Augenspiegel-Blog und bei motherboard. Und die epistemologischen Differenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern hat gestern lesenswert die FAZ durchdekliniert (nicht online). Aber wie geht es jetzt weiter? Manuel J. Hartung kommentiert im Leitartikel der neuen ZEIT: „Die Science Marches waren beeindruckende Symbole der Selbstvergewisserung. Wissenschaftler haben erkannt, dass sie nach außen wehrhaft sein müssen, um nach innen wissenschaftlich bleiben zu können. Sie werden selbst politisch, politisieren aber nicht die Wissenschaft. Das rüstet sie für die Auseinandersetzung mit ihren Kritikern.“ Das neu gewachsene Selbstbewusstsein sei wichtig: „Nur eine selbstbewusste Wissenschaft erhält sich den Raum für die Selbstirritation – für den Zweifel, ohne den auch sie nicht existieren kann.“ Unsere Eindrücke vom Wochenende aus Hamburg, Heidelberg, Leipzig und Berlin lesen Sie in den CHANCEN auf S. 66. 
  
 
 
Ein Leben zwischen Gefängnis und Universität
Zum Schluss noch ein Schmankerl aus der Washington Post: Dort können Sie die Geschichte eines Mannes lesen, der mit 23 Jahren zum Bankräuber wurde, im Gefängnis seine Leidenschaft für Jura entdeckte – und heute Professor an der Georgetown University ist. What a life!
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Personen
 
 
   
   
Neue Leitung der UB Kiel
Die Universitätsbibliothek Kiel hat in Leuchtbuchstaben einen schönen Satz auf ihren Mauern stehen: „Manche leuchten, wenn man sie liest“. Neue Direktorin wird hier ab Mai Kerstin Helmkamp, die seit 2012 an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen tätig ist. Die promovierte Germanistin folgt auf Else Maria Wischermann, die in den Ruhestand tritt.

Kommunikation am WZB
Harald Wilkoszewski ist neuer Leiter der Kommunikationsabteilung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Wilkoszewski wechselt aus Brüssel, wo er am von der Max-Planck-Gesellschaft getragenen Kommunikations-Thinktank Population Europe gearbeitet hat.

Die Zukunft Europas erforschen
Europa! Ja klar, aber wie genau? Die Stiftung Mercator gibt jetzt 2,34 Millionen Euro zur Erforschung und Beantwortung dieser Frage. Gefördert wird das Projekt „Zukunft Europas“ des Dahrendorf Forum, einer gemeinsamen Initiative von Hertie School und London School of Economics. Das Projekt startet im September; es werden vier Stellen für Postdoktoranden und drei für wissenschaftliche Mitarbeiter vergeben.

Job: Imagine!
Neulich hatten wir in unserer ZEIT-Donnerstagskonferenz eine Managerin für eine Blattkritik zu Gast. Sie sagte, sie lese nicht nur die CHANCEN gerne, sondern auch den Stellenmarkt – das Schweifen über die Anzeigen sei wie Träumen von den Lebenswegen, die man auch hätte gehen können. Schön, nicht wahr? Diese Woche können Sie tagträumen, sich auf eine „Professur für Gitarre“ (Hochschule für Musik Freiburg) zu bewerben. Oder wie Ihr Blick auf die Welt wohl aussähe, wenn Sie Professorin für „Geschichte der Physik mit Schwerpunkt Wissenschaftskommunikation“ an der Uni Jena wären. Bestimmt auch interessant: Die W3-Professur für Urologie um Uniklinikum Bonn. 
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Eva von Contzen 

Akademische Rätin am Englischen Seminar der Universität Freiburg
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
1) Die Liste ist DIE Form unserer Zeit, um Wissen zu ordnen und zu präsentieren.
2) Wenn Informationen in Listen verdichtet werden, lesen wir sie lieber.
3) Als Literatur scheinen Listen wenig zu taugen – wer liest schon gern lange Listen?
4) Aber: Die Liste und die Erzählung sind eng miteinander verknüpft. Das Telefonbuch ist eine Liste, aber auch Ihr Lebenslauf. Nur aus letzterem lässt sich eine Erzählung konstruieren.
5) Wenn Sie das nächste Mal eine To-do-Liste schreiben, denken Sie über die Form nach!
6) Denn: siehe 1).

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Zwei Probleme fallen mir ein: zum einen die Erhöhung des Frauenanteils auf Professuren – durch konsequente Nutzung der bereits bestehenden Strukturen und Vorgaben; zum anderen die Aufwertung der Lehre, indem wir sie zu einem weit größerem Maße als bisher zur Grundlage und zum Aushängeschild hervorragender universitärer Arbeit machen. Ein Umdenken in den Köpfen kostet nichts weniger als kreative Energie.

Lektüre muss sein. Welche?
Hanya Yanagihara, A Little Life und Paul Auster, 4 3 2 1 – zwei große amerikanische Romane, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide nach der Unausweichlichkeit des Schicksals fragen; bei Yanagihara die voyeuristische, einen faszinierenden Sog ausübende Verdichtung auf den Charakter eines traumatisierten Protagonisten in einem jeglichen politischen und historischen Kontexts entleerten Amerikas als Idee, bei Auster eine coming-of-age-Geschichte als poetisches Spiel mit narrativer Möglichkeit im Spiegel der 50er und 60er Jahre.

Und sonst so?
Ich empfehle den Rat der Königin aus Through the Looking-Glass:
‘There’s no use trying,’ Alice said: ‘one can’t believe impossible things.’
‘I daresay you haven’t had much practice,’ said the Queen. ‘When I was your age, I always did it for half-an-hour a day. Why, sometimes I’ve believed as many as six impossible things before breakfast.’
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Jan-Martin Wiarda
Falsch verstandene Solidarität
In gut zwei Monaten ist Deadline für die erste Antragsrunde im so genannten Tenure-Track Programm, und es gibt kaum einen Rektor und keine Rektorin, die nicht auf die Nachkommastelle genau sagen könnten, wie viele der bundesweit 1000 zusätzlichen Professuren auf ihre jeweilige Universität entfällt. So wie laut Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern die Fördergelder nach Länderproporz verteilt werden sollen, so wollen die Universitäten innerhalb der Länder gleich weiter verteilen.
Es gibt da nur ein Problem. In der Förderbekanntmachung kann man nachlesen, dass der Zuschlag für die Bewerbungen „in einem wettbewerblichen Verfahren“ erfolgen soll. Entscheidend ist die „Qualität des Gesamtkonzepts“, kurz gesagt: Wollen die Unis nur mehr Stellen haben, oder sind die Laufbahnprofessuren Teil einer in sich stimmigen Strategie zur Personalentwicklung? Können die Rektoren nachweisen, dass die mit den beantragten Fördergeldern die Karrierewege ihrer Wissenschaftler wirklich und dauerhaft transparenter und planbarer machen?
Nimmt man die Logik des Programms ernst, liest man die Bekanntmachung wörtlich, dann muss, dann wird es Gewinner und Verlierer geben. Wer glaubt, es müssten lediglich ein paar Formulare ausgefüllt und ein paar Buzzwords in der verlangten Vorhabenbeschreibung auftauchen, der irrt also – hoffentlich. Denn dafür müssten erstmal die Wissenschaftsminister selbst ihr Programm ernst nehmen und bereit sein, massenweise Verlierer zu akzeptieren. Mit der letzten Konsequenz, dass die Universitäten anderer Bundesländer am Ende mehr abbekommen. Doch genau diese Bereitschaft lassen im Moment viele Minister, womöglich aus falsch verstandener Solidarität mit ihren Rektoren, nicht erkennen.
Für einen Wettbewerb spricht übrigens mehr, als dass er nun mal so in der Vereinbarung steht. Denn nur wenn die Universitäten wirklich die Gefahr spüren, leer auszugehen, werden sie sich so reinhängen, wie sie das zum Beispiel gerade erst bei den Exzellenzclustern getan haben. Und nur wenn (wenig genug!) Universitäten mit ihrer Bewerbung erfolgreich sind, werden die siegreichen Konzepte so gefördert, dass sie angesichts des schmalen Programmvolumens mehr sein können als eine leichte Personalaufstockung. Dass sie wirklich einen Wendepunkt in der universitären Personalstrategie markieren und Modellcharakter entwickeln können.
Es ist verständlich, dass die Universitäten wettbewerbsmüde sind. Es ist nachvollziehbar, dass die Länder vor allem auf das zusätzliche Bundesgeld schielen. So steigt der Druck besonders auf die zwölf Wissenschaftler in der Jury, dem so genannten „Auswahlgremium“. Doch: Wenn das Proporzdenken siegt, dann ist das Tenure-Track-Programm kaputt.
   
   
Sie stehen woanders? Schreiben Sie uns! chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Müssen Elfjährige wissen, was Transgender ist? Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident, Sylvia Löhrmann Schulministerin – beide grünen Politiker waren früher Lehrer. Hier streiten sie über Noten und grüne Bildungspolitik, die es nicht mehr gibt

Sind ihre Gedanken frei? Zehntausende demonstrierten am Wochenende in Deutschland für die Freiheit der Wissenschaft. Beobachtungen aus vier Städten Über viele Klippen musst du gehen Martin Schulz und Bodo Ramelow leben es vor: Auch ohne Abitur kann man sehr erfolgreich sein. Wie haben sie sich weitergebildet? »Da sind schöne Pflänzchen gewachsen« Sollten Professoren weniger forschen und sich dafür mehr um die Lehre kümmern? Ein Gespräch mit Manfred Prenzel, dem langjährigen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates Kolumne Scheinselbstständig Brennen, um zu strahlen? Der Chef bin ich. Und das ist das Problem, sagt Daniel Erk

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 

„Like him or not, you have to admire his success in getting a visa“

Beth Gazley, Professorin im US-Staat Indiana, hat mit dieser Cartoon-Beschriftung im Wettbewerb von Inside Higher Ed gewonnen. Er findet monatlich statt, alle können mitmachen. Viel Spaß beim Texten!


Quelle: Inside Higher Ed
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Wir wünschen ein sonniges Wochenende – bis nächsten Donnerstag!

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
 
   
Anzeige
Jobs im ZEIT Stellenmarkt
Jetzt Branche auswählen und Suche starten: