Die Nachrichten werden öffentlich kaum noch wahrgenommen, aber sie sind dramatisch: Die Zahl afrikanischer Flüchtlinge, die derzeit übers Mittelmeer nach Europa kommen, ist drastisch gestiegen. Im vergangenen Jahr strandeten rund 170.000 von ihnen an Italiens Küste, dieses Jahr könnten es bis zu 300.000 werden. Besonders schlimm: Nach Auskunft der zwischenstaatlichen Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen zwischen Anfang Januar und Ende April schon 1.009 Frauen, Kinder und Männer während der Überfahrt übers zentrale Mittelmeer ums Leben. Zehntausende schiffbrüchige Menschen wurden von Booten der Marine und privater Hilfsorganisationen aufgenommen und glücklicherweise gerettet. Aber es bleibt ein Dilemma: Die meisten dieser Menschen sind Migranten und haben keinen rechtlichen Anspruch auf Flüchtlingsschutz. Doch einmal in der Europäischen Union werden viele von ihnen lange, wahrscheinlich auf Dauer bleiben, weil es häufig unmöglich ist, sie zurück in ihre Heimat zu schicken.
Zwangsläufig nach Europa gebracht Genauer: Die meisten Afrikaner aus Staaten südlich der Sahara (und auch nahezu alle Menschen aus Bangladesch, die seit einigen Wochen ebenfalls in größerer Zahl diesen gefährlichen Weg in die EU wählen) entfliehen Armut, Dürre, Umweltkatastrophen, sozialer Not und ihren unfähigen und korrupten Regierungen. Das ist menschlich verständlich, aber es macht sie nach den Buchstaben des Gesetzes nicht zu politisch Verfolgten oder Bürgerkriegsflüchtlingen. Ihnen stehen also kein Asylrecht oder Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zu. Das heißt, sie haben keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme und Schutz in der Europäischen Union. Dennoch werden derzeit alle Schiffbrüchigen, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, zwangsläufig nach Europa gebracht. Das ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass die Geretteten von europäischen Schiffen an Bord genommen werden. Zum anderen dürfen sie aus rechtlichen Gründen nicht dorthin zurückgebracht werden, wo sie die Schlepperboote bestiegen haben, also nicht nach Libyen, Tunesien oder Ägypten. Denn dort kann niemand um Asyl bitten, diese Länder gewähren keinen internationalen Flüchtlingsschutz, sie haben dafür keine Verfahren eingerichtet. Kurzum: Niemand kann dort einen Asylantrag stellen – mit der Folge, dass selbst jene schutzlos bleiben, die einen Anspruch auf Protektion hätten. Außerdem laufen gerade in Libyen Flüchtlinge und Migranten Gefahr, ins Gefängnis gesteckt und misshandelt oder per Kettenabschiebung in ihre Heimat zurückbefördert zu werden. Das kann und das darf niemand wollen. Doch Europa hat ein gravierendes Problem: Wer einmal hier ankommt, bleibt meist für lange Zeit, oft für immer. Das gilt auch für die vielen Migranten, die keinen Asylanspruch haben. Oft besitzen sie keine Ausweispapiere mehr, es ist schwer, ihre Nationalität nachzuweisen. Selbst wenn das gelingt, weigern sich viele Heimatländer, ihre Staatsangehörigen wieder aufzunehmen. Die EU bräuchte Hoheitsrechte in Nordafrika Abschiebungen und Rückführungen sind extrem schwierig. Weil die meisten Flüchtlinge und Migranten das wissen, weil sie also die durchaus realistische Hoffnung auf eine Zukunft in Europa haben, wagen sie die lebensgefährliche Überfahrt. Auch das ist menschlich sehr verständlich, aber politisch unhaltbar. Denn wenn es nicht gelingt, jene Migranten ohne Schutzanspruch so schnell wie möglich wieder zurück in ihre Heimat zu schicken, wird die Unterstützung für das Asyl- und Flüchtlingsrecht weiter sinken. Was also müsste geschehen? Der verhängnisvolle Kreislauf zwischen der Rettungspflicht im Mittelmeer und der Aufnahme in Europa lässt sich nur durchbrechen, wenn die schiffbrüchigen Männer, Frauen und Kinder zurück nach Nordafrika gebracht werden. Wenn ihre Asylanträge dort geprüft werden und nur noch jene Menschen über das Mittelmeer nach Europa kommen, denen Flüchtlingsschutz gebührt. Oder die ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studentenvisum für die EU in der Hand halten. Vier Voraussetzungen Dieses wünschenswerte Ergebnis setzt aber Viererlei voraus: Die nordafrikanischen Aufnahme- und Transitzentren müssten erstens für Flüchtlinge und Migranten ein sicherer Ort sein. Das heißt, dort müssten menschenwürdige Verhältnisse herrschen und sie müssten unter Aufsicht und Führung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und europäischer Organisationen stehen. Zweitens: Europäische Behörden müssten die Asylanhörungen durchführen und Schutzentscheidungen treffen. Das aber setzt voraus, dass die EU in den Transitzentren Hoheitsrechte ausüben darf. Was nur im Einklang mit den nordafrikanischen Staaten und dem Einsatz von sehr viel Geld klappen kann. Drittens müssen die EU-Staaten auch wirklich all jene aufnehmen, denen ihre Behörden in den Transitzentren die Überfahrt nach Europa gestatten. Was bedeutet, dass sich die Mitglieder der Europäischen Union über einen Verteilungs- und Kompensationsmechanismus einigen müssen. Jene, die nicht zur Aufnahme von Flüchtlingen bereits sind, müssen die Willigen finanziell unterstützten. Und viertens müssen die Europäer dafür Sorge tragen, dass jene Menschen, denen der Weg in die EU versperrt bleibt, aus den nordafrikanischen Transitzentren zurück in ihre Heimat gebracht werden. Denn Libyen, Tunesien oder Ägypten sind verständlicherweise nicht willens – und auch nicht in der Lage –, den Europäern dieses Problem abzunehmen. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat in seinem vor Kurzem vorgelegten Jahresgutachten 2017 darauf hingewiesen, dass die Idee von Aufnahmezentren in Nordafrika nicht neu ist. Dänemark schlug bereits 1986 in den Vereinten Nationen vor, Asylverfahren dorthin zu verlagern. Auch die Niederländer, der ehemalige britische Premier Tony Blair und der deutsche Ex-Innenminister Otto Schily liebäugelten damit. Eine Zukunft hat diese Idee allerdings nur, wenn auch die eben genannten vier Voraussetzungen erfüllt werden. Denn nur dann stehen solche Einrichtungen auch im Einklang mit dem Recht, namentlich mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Aber der Einsatz dafür würde sich lohnen. |
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