Freitext: Mirna Funk: Lächelt die Kinder doch wenigstens an!

 
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10.05.2017
 
 
 
 
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Lächelt die Kinder doch wenigstens an!
 
 
Israel hat eine sehr viel höhere Geburtenrate als Deutschland. Kein Wunder. Dort sind Kinder Teil der Gesellschaft. In Deutschland stören sie. Wie kann das angehen?
VON MIRNA FUNK

 
Gabby Orcutt/unsplash.com/photos/9mzGpUpqUpw
 
Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren Mutter. In Deutschland und in Israel. Wir pendeln monatlich zwischen Berlin und Tel Aviv. Und immer, wenn wir zurück aus Tel Aviv kommen, sagt Ettas Tagesmutter: „Etta ist ja so gut drauf!“ Sie hat recht damit. Und die Antwort, warum Etta so wahnsinnig gut drauf ist, wenn wir aus Tel Aviv zurückkommen, ist einfach: Sie tankt Beziehung in Israel. So jedenfalls nenne ich das, was rund 4.000 Kilometer entfernt von Deutschland passiert.
 
Sobald wir das Flugzeug von El Al, der israelischen Fluglinie, besteigen, begrüßt man sie freundlich. Nein, nein. Nicht nur die Stewardessen. Alle. Wir laufen den Gang zu unserem Sitzplatz runter, und wirklich jeder, der Passagiere, jedenfalls alle, die Israelis sind, gucken ihr ins Gesicht, lächeln sie an und schreien hysterisch „Chamuda!“ Chamuda heißt „Süße“. Man fragt sie, wie es ihr geht, und mich, wie alt sie ist und wie sie heißt. Sobald der Flieger in der Luft ist und die Anschnallzeichen leuchten und uns darüber informieren, dass wir die Gurte ablegen dürfen, muss ich mich um Etta nicht mehr kümmern. Sie wird beschäftigt. Die israelische Stewardess nimmt sie auf den Arm und bedient gleichzeitig die Passagiere oder zeigt ihr das Cockpit. Die Studentin drei Sitze vor uns liest ihr aus einem Buch vor. Die ältere Dame fünf Reihen hinter uns erzählt ihr, während Etta auf ihrem Schoss sitzt, von ihrer Kindheit im sozialistischen Israel. Die Schüler, die einen Ausflug in die KZs Deutschlands gemacht haben und nun wieder ins Gelobte Land zurückfliegen, machen Selfies mit ihr. Und ich? Ich kann in Ruhe essen und lesen und aus dem Fenster schauen. Keiner ruft mir zu „Kümmern Sie sich mal um ihr Kind, das läuft den Gang hoch und runter und belästigt die anderen Passagiere!“ Beim Ausstieg verabschieden sich wieder alle bei Etta, geben ihr die Hand und Küsse auf die Wange.
 
Und was im Flieger beginnt, geht in Tel Aviv einfach so weiter. Ob wir nun einfach durch die Stadt spazieren und Passanten, die uns entgegenkommen, auf sie mit fröhlichem Winken oder begeistertem Lächeln reagieren oder ob wir in Cafés und Restaurants sitzen. Ich bin nicht allein mit Etta. Ich werde nicht allein gelassen. Weder wenn ich in Ruhe etwas essen will und die Kellnerin Etta schnappt und ihr erst mal Küche und Lagerraum zeigt, sodass ich ungestört und konzentriert in mein Croissant beißen kann, noch wenn Etta umherläuft und mich nicht mehr findet. Das Restaurant passt auf sie auf. Gäste nehmen sie auf ihren Schoss oder an die Hand und bringen sie nach erfolgreichem Mäandern zurück an unseren Tisch. Und wenn diese Gäste das machen, dann reagieren sie nicht genervt oder geschockt darüber, dass ich mein Kind rumrennen lasse, nein, sie erklären mir, wie süß Etta ist, und kommen mit mir ins Gespräch. Wenn wir in Tel Aviv sind, dann lächelt Etta mehr, sie plappert mehr, sie rennt frei herum und setzt sich bei Personen, die sie sich auswählt hat, einfach auf den Schoss. Und da bleibt sie dann sitzen und lauscht den Gesprächen, die geführt werden.

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