(Noch) kein DEAL | Wirtschaftswissenschaften | 3½ Fragen an Marion Schulte zu Berge | Gastkommentar Olaf Bartz: Gegenrechnung

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
in der letzten CHANCEN Brief-Ausgabe ging es um die Kosten der Studiengangakkreditierung, die laut einem Beitrag in Forschung & Lehre höher seien, als gedacht. Olaf Bartz, Geschäftsführer der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland, macht heute im Gastkommentar eine Gegenrechnung auf. Und apropos Akkreditierung: Der neue Staatsvertrag steht und soll in der KMK-Sitzung am Donnerstag unterzeichnet werden; alle Einzelheiten stehen bei Jan-Martin Wiarda. Die 3½ Fragen beantwortet heute Marion Schulte zu Berge, die seit kurzem die Geschäftsstelle der Jungen Akademie leitet.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Lizenzverhandlungen: DEAL knirscht
Im August hatte die HRK verkündet, gemeinsam mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen unter dem Projektnamen DEAL erstmals Lizenzverhandlungen mit Elsevier aufzunehmen; Sondierungsverhandlungen mit den anderen beiden Platzhirschen, Springer Nature und Wiley, sollten ebenfalls folgen. Ziel sind bundesweite Lizenzen für das gesamte elektronische Zeitschriftenportfolio, samt Open Access-Komponente. Der Hintergrund: Die Erwerbungsetats der Bibliotheken halten mit den Preissteigerungen der konzentrierten Großverlage nicht mehr mit; die HRK sorgt sich, dass die Wissenschaftseinrichtung nicht mehr ausreichend mit Fachliteratur versorgt sind. Klingt gut, ist aber komplizierter als gedacht. Am Freitag äußerte sich die Allianz wie folgt: Das Angebot, das Elsevier unterbreitet habe, „entspricht nach Überzeugung der Allianz nicht den Prinzipien von Open Access und einer fairen Preisgestaltung. Trotz der derzeit bei 40 Prozent liegenden Umsatzrendite setzt der Verlag weiter auf Preissteigerungen jenseits der bislang bezahlten Lizenzsummen“; auch lehne er „transparentere Geschäftsmodelle ab, die auf der Publikationsleistung basieren und Publikationen offener zugänglich machen würden“. HRK-Chef Horst Hippler kommentierte: „Elsevier versucht damit, seine marktbeherrschende Stellung zu nutzen und droht allen Wissenschaftseinrichtungen, deren Verträge Ende 2016 auslaufen, mit einem Abschalten aller Zugänge.“ Das Elsevier-Angebot lehne die Allianz folglich ab; sie „fordert den Verlag auf, ein transparentes und nachhaltiges Angebot vorzulegen und die Verhandlungen wieder aufzunehmen.“ Elsevier sendete noch am selben Abend ein Replik-Statement: „Wir sind über die Anschuldigung überrascht, wir würden Wissenschaftsorganisationen damit drohen, ihren Zugang abzuschalten. Vielmehr waren es diese Institutionen selbst, die uns über ihre Absicht informiert haben – basierend auf der Annahme, dass eine Nationallizenz bis Ende des Jahres 2016 erzielt würde – ihre auslaufenden individuellen Vereinbarungen nicht automatisch erneuern zu wollen. Selbstverständlich werden alle Institutionen, auch wenn sie ihre Verträge gekündigt haben, mit Zugang versorgt, so sie dies wünschen.“ Das Statement schließt: „Wir freuen uns darauf, die Gespräche mit der HRK im Jahr 2017 fortzuführen.“ – Eine kommentierende Einordnung finden Sie auf wisspub.net von Helmholtz-OA-Experte Heinz Pampel.
  
 
 
Philosophischer Fakultätentag: Resolution gegen den Dr. FH
Der Philosophische Fakultätentag (PhFT) – 1950 gegründet, als Zusammenschluss von heute rund 130 Fakultäten/Fachbereichen an 62 Hochschulen – hat getagt und drei Resolutionen verabschiedet: 1. Der PhFT spricht sich gegen die bürokratisierende Qualitätsprüfung durch „wissenschaftsfremde Institutionen“ aus und will diese in die Hände der Wissenschaftler/innen selbst legen (pdf); 2. der PhFT wendet sich „mit Nachdruck gegen Bestrebungen, die die wissenschaftlichen Standards von Promotionen gefährden“, konkret: gegen das Promotionsrecht an Fachhochschulen (pdf; siehe dazu auch ein Pro/Contra aus der ZEIT); 3. der PhFT ist gegen eine Reduzierung der fachwissenschaftlichen Anteile im Lehramtsstudium, um stattdessen mehr Studienanteile dem Inklusionsziel zu widmen – „dies stellt eine fachfremde, nicht der Wissenschaftlichkeit verpflichtete Steuerung der Lehre und damit einen Eingriff in die wissenschaftliche Freiheit von Forschung und Lehre an den Universitäten dar.“ (pdf)
  
 
 
Gehring, Gohlke, Rossmann für die Wissenschaftsfreiheit
Die wissenschaftspolitischen Sprecher von Grünen, Linker und SPD – Kai Gehring, Nicole Gohlke, Ernst-Dieter Rossmann – haben in einem gemeinsamen Tagesspiegel-Gastbeitrag angemahnt, sich angesichts des weltweit steigenden Drucks auf die Universitäten sowie einzelne Forscherinnen und Forscher stärker für deren Freiheit einzusetzen und damit ein Zeichen gegen „kleinräumige Egoismen“ zu setzen. Besonders in der Türkei sei die Lage derzeit dramatisch: „Es reicht nicht aus, die Lage dort bloß „mit Sorge“ zu beobachten, sondern es braucht tatsächlichen politischen Druck.“ Die Wissenschaftsfreiheit müsse expliziter Teil der Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung werden – indem „Erkenntnisse zur Bedrohungslage von Studierenden und Forschenden“ systematisch gesammelt würden. „Auch ein flexibler Fonds für Studierende und Promovierende aus Staaten mit gefährdeter Wissenschaftsfreiheit für die Mittlerorganisationen wie die Alexander von Humboldt-Stiftung, den Deutschen Akademischen Auslandsdienst und die Studierendenwerke könnte hier helfen.“
  
 
 
Pseudowissenschaft made by Putin
Dass letztere Meldung nicht nur warme Worte sind, kann man hier nachlesen: Foreign Policy schreibt über die Protegierung medial affiner Pseudowissenschaft durch den Kreml. Sehr beunruhigend.
  
 
 
Homogene Wirtschaftswissenschaften
Akademische Lehrpläne machen Politik – indirekt und langfristig. Heute in der Theorie gelernt, morgen in der Praxis umgesetzt. Vor diesem Hintergrund kann man derzeit einiges kritisches über die Wirtschaftswissenschaften lesen. Neoklassischer Mainstream werde unterrichtet, der „völlig realitätsfern ist und bis heute so tut, als ob es die Finanzkrise nie gegeben hätte“, kritisiert die taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann. Ihr Kollege am anderen Ende des Flures, Philip Plickert von der FAZ, schrieb vor kurzem ähnliches und berichtet von Studierenden, die gegen den „Ökonomen-Mainstream“ andenken wollen. Plickert weist außerdem auf die Schrumpfung der Disziplin Wirtschaftsgeschichte hin, die als Kleines Fach klassifiziert ist: seit 1997 hat sie (von 45 auf 37) acht Professuren verloren.
  
 
 
 
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
38,9 Prozent

Gewinnspanne des Unternehmens Reed-Elsevier
in der Wissenschaftssparte im Jahr 2013.

 
 
Quelle:
Vincent Larivière, Stefanie Haustein, Philippe Mongeon: The Oligopoly of Academic Publishers in the Digital Era, 2015 /
ORF
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Marion Schulte zu Berge

Leiterin der Geschäftsstelle der Jungen Akademie
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Nichts grundsätzlich Neues. Und doch: Während einer Dienstreise in den Iran wurde mir kürzlich wieder deutlich, dass das Gefühl der Fremdheit nicht nur durch das offenkundige Anderssein entsteht. Es ist auch ein Ergebnis der Projektion der eigenen Konzeptionen und Erwartungen auf das Andere. Das erlaubt selbst mitten in der Dominanz des Andersseins Momente der Vertrautheit – wie Sonnenstrahlen, die aufgrund des Kontrastes zur Fremdheit noch viel deutlicher leuchten.
 
Die aktuell größte Fehlinvestition der Wissenschaftslandschaft?
Jeder Euro, der aufgrund einer Verselbstständigung der politischen Ansprüche gegenüber der Wissenschaft ausgegeben wird und der dabei die Eigendynamiken und Funktionen von Wissenschaft außer Acht lässt.
 
Lektüre muss sein. Welche?
Nadja Tolokonnikowas „Anleitung für eine Revolution“, weil man darin erkennen/erfahren kann, wie im Hier und Jetzt aus akuter Unfreiheit Radikalität erwachsen kann – Radikalität in der Einstellung gegenüber sich selbst und anderen, eine Radikalität des kompletten Weltverhältnisses.
 
Und sonst so?
Ansonsten bin ich begeistert dabei, eine großartige wissenschaftliche Spielwiese zu erkunden.
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Gastkommentar
 
 
   
   
von Olaf Bartz
   
   
   
Gegenrechnung
Die Kosten der Akkreditierung, so ist in der aktuellen Ausgabe der „Forschung & Lehre“ zu lesen – und so wurde es auch im letzten ZEIT CHANCEN Brief wiedergegeben –, seien höher als bisher gedacht. Sie liegen jedoch deutlich niedriger als dargestellt.
Die direkten Kosten, d.h. die Zahlungen an die Agenturen, werden in jenem Beitrag mit 10.000 bis 15.000 Euro pro Studiengang beziffert. Tatsächlich beläuft sich dieser Wert auf durchschnittlich 6.000 Euro. Dies haben Untersuchungen von vier Landesrechnungshöfen, von Wissenschaftsrat und Akkreditierungsrat ergeben. Diese Einsparung rührt daher, dass fachlich oder strukturell (Lehramt) affine Studiengänge in Bündeln und damit effizienter akkreditiert werden können.
Für die indirekten Kosten führen die Autoren des Berichts eine Untersuchung des Thüringer Rechnungshofs an, die vor langer Zeit – nämlich im Sommersemester 2007 – vorgenommen wurde. Damals befand man sich in der Hochphase der Umstellung auf Bachelor/Master. Die Hochschulen waren mit der größten Studienstrukturreform der bundesrepublikanischen Geschichte beschäftigt: Stufung, Modularisierung, Einführung von ECTS-Punkten, Einführung von studienbegleitenden Prüfungen et cetera. Alle diese Aufwendungen wären auch ohne Akkreditierung angefallen. Insofern geben die 38.000 Euro aus Thüringen die Kosten der Studienstrukturreform wieder – nicht die Kosten der Akkreditierung.
Neuere Untersuchungen von Rechnungshöfen liegen nicht vor. Aus anderen vorhandenen Angaben und aus internationalen Vergleichen lässt sich ableiten, dass die internen Kosten pro Studiengangsakkreditierung in einem laufenden System, d.h. ohne Strukturreform, bei 15.000 Euro liegen. Plus der externen Kosten von 6.000 Euro ergeben sich 21.000 Euro, die sich auf einen Reakkreditierungszeitraum von sieben Jahren verteilen, also 3.000 Euro Vollkosten pro Jahr. Die Systemakkreditierung ist nochmals günstiger, da die externen Kosten stark sinken.
Auf alle Studiengänge hochgerechnet, nimmt die externe Qualitätssicherung (Vollkosten) in Relation zu den gesamten Hochschulausgaben in Deutschland einen Anteil von ca. 0,1 Prozent ein.
 
Dr. Olaf Bartz ist Geschäftsführer der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland
   
   
Sind Sie anderer Meinung? Dann schreiben Sie an: chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Die Nächsten, bitte Bald gehen die Babyboomer in Rente, und die unter 40-Jährigen drängen nach oben. Was bewegt die neuen Entscheider? 
 
Die neuen Entscheider Eine Chefin, ein Prof, eine Gründerin und ein Politiker erzählen, wie sie die Weltverändern wollen Nehmt die Schwachen mit! Die Leistungen deutscher Grundschüler in Mathe und Naturwissenschaften stagnieren »Die Unis haben visionäre Ideen« Ursula Gather, Dortmunds Uni-Chefin, über den Elite-Wettbewerb Das darf doch nicht wahr sein! An Fachhochschulen steigt die Zahl der Studienabbrecher dramatisch. Eine bislang unveröffentlichte Studie nennt Gründe

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Trust me, I’m a scientist! – Erster Platz bei Fast Forward Science 2016 in der Kategorie „Scitainment“
 
Quelle: The Secret Life of Scientists
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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